© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Geschäfte mit dem Schwarm
Crowdfunding: Wie Online-Finanzierungsplattformen den Markt revolutionieren
Cassian Heidt

Was dem Schwarm nicht nützt, das nützt auch der einzelnen Biene nicht“, das wußte schon der Philosophenkaiser Mark Aurel. Nicht ganz zweitausend Jahre später dient diese Erkenntnis einer innovativen neuen Finanzierungsform. Crowdfunding bedeutet soviel wie Massen- oder Schwarmfinanzierung. Das Grundprinzip aller Crowdfunding-Projekte ist dabei ein denkbar einfaches: Es bringt Menschen, die Geld brauchen, mit denen, die Geld haben, via World Wide Web zusammen. Auf einer der zahlreichen Internetplattformen bewerben selbständige Unternehmer ihre Pläne zu einem Produkt und legen einen Gesamtkostenvoranschlag vor. Potentielle Kunden können nun in das Vorhaben einsteigen und einen Teilbetrag zum Finanzierungsziel beitragen. Je nach Art des Projektes erhalten sie am Ende entweder ein fertiges Produkt, oder ihr Beitrag hat mehr einen Spendencharakter. Wenn dabei noch ein lustiges T-Shirt als Dankeschön für die Hobbyfinanciers herausspringt, haben alle gewonnen, so der idealistische Gedanke. Dadurch entsteht eine völlig neue Form der Kapitalgebung, die unkompliziert und schnell arbeitet. Und nicht die Banken füttert.

Das Ziel klar definieren   und gut anpreisen

Aber was ist Crowdfunding denn nun eigentlich: eine linke Utopie, die den Weg in eine konzernfreie Welt weist oder innovativer Turbo-Kapitalismus, der alle lästigen Zwischenschritte ausblendet und direkt Kunde und Hersteller in Kontakt bringt? Den Anfang machte die Internetplattform Artistshare.com, die 2003 als Antwort unabhängiger Musiker auf den Verlust ihrer Einnahmen durch illegale Raubkopien konzipiert wurde. Dahinter stand der Gedanke, daß Musiker künftig im voraus finanziert werden und danach ihre Platten frei zur Verfügung stellen. Wirkliche Bekanntheit erlangte die Finanzierungsform jedoch erst, nachdem die beiden Unternehmen Indiegogo und Kickstarter nahezu jeder Geschäftsidee die Möglichkeit boten, ihre Unterstützer zu erreichen. Seitdem sind den Einfällen kreativer Unternehmer keine Grenzen mehr gesetzt.

Das Wachstumspotential ist enorm. Für das Geschäftsjahr 2015 wird das weltweite Volumen aller Crowd-Projekte auf über 34 Milliarden US-Dollar geschätzt. Im Vergleich zu den Zahlen von 2014 (16 Milliarden Dollar) wäre das mehr als verdoppelt. Die Massenfinanzierung belebt das Geschäft, und die unerwartete Konkurrenz aus dem Internet setzt manchen herkömmlichen Branchenprimus unter Druck. Noch nie war es so einfach, sich mit eigenen Ideen Kapital zu erwerben und auf dem Weltmarkt selbständig zu machen.

Voraussetzung ist dabei hauptsächlich eine klare Definition des angestrebten Ziels und ein gutes Produktmarketing, welches das Vorhaben ins Gespräch bringt. Der Schwarm regelt den Rest. Von Laser-Cut-Visitenkarten aus Holz bis hin zur eigenen Bierbrauerei, nahezu jede Idee wurde schon per Crowdfunding verwirklicht. So waren bis zum Juni 2015 mehr als 900.000 begeisterte Anhänger des futuristischen PC-Spiels „Star Citizen“ bereit, über 85 Millionen Dollar Anschubfinanzierung zu leisten. Die abgefahrene Mehrzweck-Kühlbox des amerikanischen Erfinders Ryan Greeper – sie hat unter anderem einen Mixer, eine USB-Ladestation und ein Keramikmesser zum Schneiden von Cocktailfrüchten integriert – erreichte einen Wert von 13,2 Millionen US-Dollar.

Daß die prinzipiell gegenüber Kuriositäten aufgeschlossene Netzgemeinschaft nicht jede Vision unterstützt, mußte der amerikanische Student Chris B. feststellen. Sein Plan eines Kalenders, in welchem er vor zwölf Naturpanoramen der USA mit nacktem Hintern posieren wollte, konnte nur eine Summe von 184 Dollar einsammeln.

Mittlerweile ist sogar mit einem Ableger namens Crowdinvesting eine Geschäftsmöglichkeit im Bereich der Wagnisfinanzierung entstanden. Dort schießen private Anleger nicht mehr Geld für den Erhalt eines Produkts vor, sondern erwerben direkt eine stille Beteiligung oder Genußrechte an einem Startup-Unternehmen. Die Investitionssummen sind dabei prinzipiell gering gehalten, um möglichst vielen Anlegern den Einstieg zu ermöglichen. Allein für das Geschäftsjahr 2014 erhielten deutsche Firmengründer insgesamt etwa 30 Millionen Euro Anschubfinanzierung. Daraus läßt sich was machen. Ob sich der Schwarm indes auch als kluger Investor erweist?