© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Land unter in Traiskirchen
Österreich: Zwar ist das Aufnahmelager in der Kleinstadt überfüllt, doch immer mehr Illegale kommen
Billy Six

Wo geht’s hier zum Aufnahmelager?“ Am Steuer des Van sitzt ein Beamter, hinten eine Gruppe Dunkelhäutiger. Bis eben herrschte eine erstaunlich ruhige Nacht über der 18.000-Einwohner-Kleinstadt Traiskirchen in Niederösterreich. Im Schutze der Dunkelheit werden nun neue illegale Migranten gebracht – trotz des offiziellen Aufnahmestopps vom 5. August. Und die lokale Polizei registriert sie, ohne zu murren. Seit Mai steigen die Zahlen von Tag zu Tag und ein Ende ist nicht abzusehen. Das seit dem Ungarn-Aufstand von 1956 bestehende Flüchtlingsheim, eine ehemalige Kadettenschule, war für 480 Menschen ausgelegt – nun leben hier 4.000 bis 5.000. Genaue Zahlen werden nicht genannt. Vielleicht gibt es sie schon gar nicht mehr: Dutzende Zelte und provisorische Schlafstätten im Freien vermitteln den Eindruck fehlender Organisation. Für 1.000 bis 2.000 Ankömmlinge aus Afghanistan, Syrien, dem Irak, Eritrea  oder Somalia fehlen Betten. 

„Es kam uns vor wie eine Affenfütterung im Zoo“, beklagen Mitglieder der Freiwilligen-Organisation „Schweigende Mehrheit“ ihre Essenvergabe über den Zaun. Linke Gutmenschen, besorgte Bürger und Muslimfamilien bringen täglich Güter auf eigene Kosten. „Ich kann nachts nicht schlafen, wenn ich weiß, daß diese armen Menschen im Freien kampieren“, sagt eine blonde Studentin mit feuchten Augen im Gespräch. Dem von Emotion getriebenen Einsatz stehen die Müllberge entgegen, die erst nach Sonnenaufgang von der Stadtreinigung entfernt werden: Kuscheltiere, Decken, Schuhe und Wasserflaschenpakete sind darunter. Sogar ein Hemd von „Hugo Boss“, sauber und unbeschädigt.

„Die Spendenlager sind voll“, beklagt Kurt Wagner, Kommandant der Polizeiinspektion. Die Privatspender würden mit gutgemeintem Einsatz Menschentrauben und Raufereien auf der Straße erzeugen. 

Viele Migranten haben Karten, das Lager bei Tage verlassen zu dürfen. Andere klettern schlicht über den Zaun. Wagner sieht die Sicherheitslage unter Kontrolle, „aber grenzwertig“. Als „Sturm auf die Bastille“ bezeichnet der Polizeichef die Straßenrangelei vom 14. Juli vor der örtlichen Türken-Moschee. 2.500 Moslems hätten bei der kostenlosen Essensausgabe zum Fastenbrechen zusammengestanden. Um das „Raufhandl“ einer Männergruppe zu beenden, habe er eingegriffen, so Wagner, und sei dabei gestürzt. Die gebrochene Schulter sei „Folge eines Unfalls, keines Angriffs“, wie der Krankgeschriebene beim Besuch am Privathaus betont. „Für 5.000 Leute passiert wenig“, so der Staatsdiener. Ein Problem sei vielmehr, daß seine Polizei ständig auf der Hut sein müsse – und so reguläre Kriminalitätsverfolgung leide. 

Immerhin: Der innerislamische Krieg zwischen Sunniten und Schiiten scheint in Traiskirchen keine Rolle zu spielen. Am Zaun stehen Immobilienhändler Hamid (34) und Dachdecker Hussam (31) aus dem Großraum Bagdad zusammen. Beide warten seit über zwei Wochen auf Ergebnisse ihres Asylverfahrens. Hamid ist Schiit, Hussam Sunnit. Hier sind sie sich einig: „Unser gemeinsames Problem ist der Krieg. Und die irakische Regierung eine Mafia.“ 

Anwohner fühlen sich verraten und verkauft

„Mir tun diese Leute auch leid“, erklärt Anwohner Berndhard Lentner im Gespräch. Die eigenen Landsleute würden das Problem verschärfen, so der 41jährige Karosseriebauer. Das Durcheinander würde genutzt, um vor seinem Grundstück illegal Sperrmüll zu entsorgen. Außerdem liegt ihm noch die laute und schrille Protestaktion der linken „Hochschülerschaft“ aus Wien im Magen, der sich Hunderte Studenten und Asylbewerber angeschlossen hatten. Unter den Mottos „Geflüchtete bleiben – Rassist*innen vertreiben“ und „Bunt ist schön“ waren sie am 26. Juli über Stunden durch die Stadt gezogen – und hatten sich Rededuelle mit wütenden Einwohnern geliefert. Für Lentner ist klar: „Ich will mein Haus verkaufen.“  

SPÖ-Ortsbürgermeister Andreas Babler will „das Massenlager abschaffen“. Gegenüber der Zeitung Österreich kritisiert er gar Bundeskanzler Werner Faymann, einen Parteigenossen, wegen ausbleibender Unterstützung. Ob das früher bewährte Zentrallager zeitnah um sieben weitere Aufnahmezentren ergänzt wird, daran gibt es in Traiskirchen große Zweifel. Ein Anwohner fühlt sich verraten und verkauft: „Wir sind eine unbedeutende Menge an Wählern. Und die Mehrheit der Österreicher ist doch froh, daß das Problem nicht bei ihnen ist. So funktioniert Demokratie.“

Foto: Zeltlager auf dem Areal des Auffanglagers: Für 450 geplant und mit bis zu 5.000 Zuwanderern belegt