© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

„Wie ein rasender Mob“
Organisierte Kriminalität: Clans der Mhallami-Kurden verbreiten in Deutschland Angst und Schrecken. Polizei und Justiz scheinen machtlos zu sein
Hinrich Rohbohm

Orhan B. (Name von der Redaktion geändert) ist wütend. „Diese Leute bringen uns doch alle in Verruf, die müssen hier weg, einsperren, abschieben oder sonstwas. Die Behörden müssen da viel konsequenter vorgehen“, redet sich der 44 Jahre alte Inhaber eines Döner-Imbisses in der Innenstadt von Essen in Rage.

Grund für seinen Ärger sind Familienclans der Mhallami-Kurden, die die Stadt mit diversen Straftaten überziehen und Polizei sowie Justiz in Atem halten. „Das ist heftig, du glaubst nicht, was hier manchmal abgeht. Hier im Laden bekommst du so einiges mit, und ich sage, das ist einfach nicht in Ordnung, was hier passiert.“ Er spricht von Raubüberfällen am hellichten Tag, von Jugendlichen, die von Cliquen der Mhallami grundlos Prügel beziehen, nur weil einer aus der Gruppe spontan Lust verspüre, jemanden zusammenzuschlagen. 

„Einige von denen kommen in mein Geschäft, bestellen was und gehen, ohne zu bezahlen. Einfach so.“ Orhan kennt sie. Doch die Polizei ruft er schon lange nicht mehr. „Da passiert nichts, da kannst du sicher sein. Die haben auch bei der Polizei ihre Leute.“ Wenn, dann erreiche man nur etwas durch Gespräche mit Autoritäten innerhalb der Clans. „Alles andere hat keinen Zweck, mit Behörden erreichst du nichts.“ 

Die Mhallami sind eine arabischsprachige Volksgruppe, die aus dem südostanatolischen Teil der Türkei sowie aus dem Libanon stammt. In der Türkei werden sie den Arabern zugeordnet, in Beirut hingegen als libanesische Kurden bezeichnet. In den siebziger und achtziger Jahren waren sie aus ihren Wohngebieten im Osten von Beirut durch christliche Milizen vertrieben worden. Sie schlossen sich der nasseristisch ausgerichteten Murabitun-Miliz an, kämpften im libanesischen Bürgerkrieg für die linksradikale Terrororganisation „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ und unterstützten die zur PLO gehörende marxistisch-leninistisch ausgerichtete „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“.

Brutal bekämpfen sie, wer ihnen in die Quere kommt

Während des libanesischen Bürgerkriegs waren Tausende von ihnen als Asylbewerber nach Westeuropa gekommen, neben Dänemark, Schweden und den Niederlanden auch nach Deutschland, wo sie bis heute leben; 8.000 allein in Berlin. Die Hauptstadt gilt damit als Schwerpunktgemeinde der Mhallami in Europa. Weitere Hochburgen sind Bremen mit etwa 2.500 und Essen mit 2.000 Mhallami-Kurden. Insgesamt sollen 15.000 von ihnen in Deutschland leben.

Zumeist führen sie ein abgeschottetes Leben, gelten als schlecht integriert. Streit wird stets innerhalb der Familie geregelt, die Polizei bleibt außen vor. Schon vor elf Jahren warnte die Kommission Organisierte Kriminalität des Bundeskriminalamts vor den nicht mehr zu kontrollierenden mafiösen Clans der Mhallami-Kurden. Die Gerichte hätten aus falsch verstandener Toleranz heraus das Problem noch erheblich verschlimmert. „Ethnisch abgeschottete Subkulturen“ hätten sich „unter erheblichem Mißbrauch der vorhandenen Schwachstellen des bundesdeutschen Ausländer- und Asylrechts bereits fest etabliert“, hieß es schon damals.

Aufgrund der hohen kriminellen Energie zahlreicher Mhallami-Kurden sind ihre Clans gefürchtet. Sie sind im Drogenhandel involviert, im Rotlicht-Milieu ebenso wie in der Schleuserkriminalität. Hinzu kommen Waffenhandel, Schutzgelderpressung, Raub, Diebstahl, Körperverletzungen. Die Polizei, die nach Erkenntnis einiger Experten selbst längst von den Clans infiltriert ist, steht dem Treiben oft machtlos gegenüber. Allein in Bremen wird gegen 1.100 Mhallami-Kurden ermittelt, 66 stuft die Polizei als Intensivtäter ein. In der Weser-Metropole kontrolliert der sogenannte Miri-Clan neben dem Drogenhandel und der Prostitution auch die Türsteherszene der Diskotheken. Wer ihnen in die Quere kommt, wird mit brutalsten Mitteln bekämpft, Schießereien und Messerstechereien sind keine Seltenheit.

„Mein Freund ist mit denen mal aneinandergeraten“, erzählt eine Bremer Schülerin der JUNGEN FREIHEIT. Das war vor einem Jahr. Eine kurze verbale Auseinandersetzung hatte gereicht, daß er zusammengeschlagen wurde. „Ich war nur froh, daß keiner ein Messer gezückt hatte oder Schlimmeres“, erinnert sich die 18jährige an eine Begebenheit in einem Bistro im Bremer „Viertel“, bei der es um so etwas Banales wie einen Sitzplatz gegangen war. „Steh auf, da am Fenster sitzen nur wir“, habe einer von drei etwa 20 Jahre alten Männern auf ihn eingeredet. „Als mein Freund sagte, daß er den Platz zuerst belegt hatte und am Nachbartisch noch alles frei ist, haben die drei sofort auf ihn eingeprügelt. Aber er war mit blauen Flecken und einer aufgeplatzten Lippe davongekommen.“ Die drei seien stadtbekannt, jeder wisse, daß sie zur Miri-Familie gehören, meint die Schülerin. Ihr Freund hatte Anzeige erstattet, doch das Verfahren wurde eingestellt, sagt sie.

Meist ergeben sich erst Ermittlungsansätze, wenn sich die Clans untereinander bekriegen. So wie zu Beginn des Jahres in Essen, wo eine Fehde zwischen zwei verfeindeten Familien mehrfach Großeinsätze der Polizei zur Folge hatte. Die Polizei mußte Verstärkung aus dem gesamten Ruhrgebiet anfordern, um die Lage unter Kontrolle bringen zu können. Bei den Fehden geht es um die Vorherrschaft im kriminellen Milieu. Morde, Massenschlägereien und Messerstechereien sind dabei keine Seltenheit. Verletztes Ehrgefühl und Rache sind oft die Auslöser dafür.

Berüchtigt ist auch der in Berlin-Neukölln ansässige Abou-Chaker-Clan, dem Polizeiangaben zufolge etwa 300 Mitglieder angehören. Auch diese Familie ist tief im Rotlichtmilieu verstrickt, betreibt Drogen-und Waffenhandel sowie Schutzgelderpressung. Der Clan soll auch mit der Bremer Miri-Familie zusammenarbeiten. Zu den bekannteren von ihnen gehört etwa Mohammed Abou-Chaker, der 2010 zu den Drahtziehern eines spektakulären Raubüberfalls auf ein Pokerturnier im Berliner Hyatt-Hotel gehörte. Zwar wurde er für die Tat zu sieben Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Doch seit zwei Jahren ist er bereits Freigänger im offenen Vollzug. Als mutmaßlicher Kopf des Clans gilt Nasser Abou-Chaker, der weite Teile des Berliner Rotlichtmilieus kontrollieren soll. Einem weiteren Clanmitglied, Abdallah Abou-Chaker, soll sogar ein eigener nur für ihn zuständiger Sachbearbeiter zugeteilt sein, so zahlreich seien die Vergehen des als Intensivstraftäter geltenden Mannes. Der Rapper Bushido soll sich einem Bericht des Stern zufolge mit dem Clanmitglied Arafat Abou-Chaker wechselseitig Generalvollmachten über ihr gesamtes Vermögen erteilt haben.

Zum Prozeßauftakt gleicht die Innenstadt einer Festung

Neben Berlin, Bremen und Essen sind die Mhallami-Kurden vor allem in diversen Kleinstädten Niedersachsens ansässig. Nach Angaben des Landeskriminalamts sind es rund 2.000. Auch hier haben nicht wenige von ihnen im Bereich der Gewaltkriminalität deutliche Spuren hinterlassen. Im Januar dieses Jahres hatte sich ein 26 Jahre alter mutmaßlicher Tankstellenräuber – ein Mhallami-Kurde – vor dem Hamelner Amtsgericht zu verantworten. Der Mann wollte aus dem Gerichtsgebäude flüchten, nachdem er erfahren hatte, daß er entgegen seinen Erwartungen in Untersuchungshaft genommen werden sollte. Bei der Flucht stürzte er aus dem siebten Stock, trug lebensgefährliche Verletzungen davon und verstarb später im Krankenhaus. 

Zwei Wochen später versuchten knapp 30 Clanmitglieder die Klinik zu stürmen. Steine flogen, Pfefferspay zischte, Scheiben gingen zu Bruch. Als die Polizei eingriff, wurden 15 Beamte verletzt. „Die waren wie ein rasender Mob, total emotionalisiert“, schildert eine Augenzeugin das Geschehen der JF. Als später ein Spezialeinsatzkommando sechs Wohnungen von Mitgliedern der Großfamilie auf Waffen durchsucht, kommt es erneut zu Handgreiflichkeiten.

Im September vorigen Jahres gab es auch vor einer Lüneburger Klinik Tumulte mit Großfamilien. Vorausgegangen war eine Massenschlägerei zwischen zwei verfeindeten Clans – einer libanesisch-kurdischer und einer türkisch-kurdischer Herkunft. Zwei Beteiligte wurden verletzt, kamen ins Krankenhaus. Sieben Männer entschlossen sich zur Blutrache, gingen tags darauf mit Schlagstöcken, Baseballschlägern, einer Pistole und einem Revolver bewaffnet zum Hospital, um dort verfeindete Clanmitglieder zu überfallen. Acht Mitglieder der überfallenen Familie wurden schwer verletzt, drei Männer angeschossen.

Seit März dieses Jahres müssen sich die sieben Männer vor dem Lüneburger Landgericht verantworten. Im Vorfeld der Hauptverhandlung war es immer wieder zu Drohungen und Einschüchterungsversuchen gekommen. Entsprechend hoch sind die Sicherheitsvorkehrungen in dem Prozeß. 

Zum Verhandlungsauftakt gleicht die Lüneburger Innenstadt einer Festung. Straßen werden abgesperrt, etwa hundert Polizisten haben sich um das Gebäude herum postiert. Sie tragen Maschinenpistolen und schußsichere Westen, nehmen in der Fußgängerzone bei verdächtig erscheinenden Personen Ausweiskontrollen vor. Leibesvisitationen vor dem Gerichtssaal, selbst Journalisten müssen ihre Mobiltelefone abgeben. Im Saal sitzen noch einmal rund 30 Justizvollzugsbeamte, dicht hinter den Angeklagten postiert. Bis März kommenden Jahres soll der Prozeß andauern. Es ist nicht der erste, der am Landgericht Lüneburg im Zusammenhang mit den Mhallami-Kurden geführt wird. Im sogenannten Douglas-Prozeß waren vor drei Jahren Mitglieder einer Uelzener Jugendbande wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen zwischen 16 und 36 Monaten Haft verurteilt worden, unter ihnen auch zwei Mhallami-Kurden, die der El-Zein-Familie angehören. „Einer von denen sitzt eigentlich immer im Knast“, erzählte damals ein Uelzener Einzelhandelskaufmann, der mit einem Mitglied der Familie einst zur Schule gegangen war (JF 21/12).

„Die haben nur vor starken Autoritäten Respekt“

In zahlreichen anderen Städten Niedersachsens gibt es ähnliche Erfahrungen mit Angehörigen der Volkgruppe. Im November vorigen Jahres griffen mehrere Clanmitglieder eine Polizeiwache in Peine an, bedrohten die Beamten. Beim sogenannten Ampel-Mord in Sarstedt bei Hildesheim erschoß 2012 ein Mhallami-Kurde den Liebhaber seiner Frau. Nach seiner Verurteilung wurde der Hildesheimer Richter von der Großfamilie mit dem Tode bedroht. In Osnabrück ist es in diesem Jahr zu verschärften Auseinandersetzungen zwischen Rockern der „United Tribuns“ und einer Mhallami-Großfamilie gekommen, nachdem der Rocker Mustafa G. mit zwei Clanmitgliedern in einen Streit geraten war. Die Clanmitglieder schlugen auf den Rocker ein, der mit schweren Kopfverletzungen ins Krankenhaus gebracht wurde. Gespräche zwischen Rockern und der Großfamilie eskalierten, die Polizei spricht von einem „Pulverfaß“, nachdem sich die beiden Gruppen zuvor stets miteinander arrangiert hätten. Und in Walsrode ist es zu Beginn dieses Jahres zu Auseinandersetzungen zwischen einem libanesischen Clan und den Hells Angels gekommen. Als Grund nennt die Polizei Verteilungskämpfe im Rotlichtmilieu.

Über all das kann Imbißinhaber Orhan B. nur noch den Kopf schütteln. „In Deutschland redet man immer nur von Toleranz und so. Aber damit kommst du bei denen nicht weiter. Die haben nur vor starken Autoritäten Respekt“, meint er und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. Dann hält er kurz inne und dreht sich noch einmal um. „In der Türkei geht man mit diesen Leuten ganz anders um, da kann Deutschland mal was von der Türkei lernen“, ist er überzeugt und lächelt vielsagend.




M-Kurden

Die  „Mhallami(ye)-Kurden“ – in Sicherheitskreisen auch als „M-Kurden“ bezeichnet – sind eine ethnische Gruppe, die ursprünglich aus der heutigen türkischen Provinz Mardin stammt. Beim Untergang des Osmanischen Reiches nach Ende des Ersten Weltkriegs begann ihre Emigration in den neu entstehenden Libanon. Während des dortigen Bürgerkriegs kamen sie vor etwa 30 Jahren nach Deutschland.  Der Großteil von ihnen lebt „in einer durch große Familienverbände und teils archaisch geprägten Gemeinschaft. Von diesen wird das deutsche Rechtssystem grundsätzlich abgelehnt, ein Angriff auf ein Familienmitglied wird als Angriff auf die gesamte Großfamilie verstanden und führt zu entsprechend exzessiven Solidarisierungsaktivitäten“, beschreibt die niedersächsische Landesregierung das Phänomen. Nach Meinung von Experten ist die Bekämpfung dieser kriminellen Strukturen nur noch teilweise möglich. So konnte nach einem blutigen Straßenkampf zweier rivalisierender Clans im Juli 2013 in Salzgitter der Täter nur deswegen verurteilt werden, weil es in diesem Fall (ausnahmsweise) unabhängige Zeugen gab.

Foto: Tatort mit Opfer des „Ampel-Mords“ von Sarstedt: Am 2. Januar 2012 erschoß ein Angehöriger der Mhallami auf offener Straße den Liebhaber seiner Frau