© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

„Eine Auseinandersetzung findet nicht statt“
Integration: Der islamische Religionsunterricht, den Hessen vor zwei Jahren als erstes Land eingeführt hat, ist nach Ansicht eines Experten nicht kritisch genug
Elena Hickman

Der Islamunterricht an den Grundschulen in Hessen ist nach Auffassung eines Experten nicht kritisch genug. „Eine Auseinandersetzung mit problematischen Stellen findet nicht statt“, kritisierte der Leiter des Fachbereichs für Islamische Theologie an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, Abdel-Hakim Ourghi. Außerdem werde der muslimische Religionsunterricht zu stark von konservativen Dachverbänden gelenkt, sagte er der Welt am Sonntag.

Auf Bitte eines Mitglieds des Arbeitskreises der christlich-demokratischen Lehrer erstellte der Religionspädagoge ein neunseitiges Gutachten. Darin überprüfte er den Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht in Hessen, der von konservativen muslimischen Verbänden erstellt wurde, insbesondere der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib).

 Ourghi bemängelte, die Ditib unterstehe der Kontrolle der Regierung in Ankara und verfolge in Deutschland religiöse und politische Ziele. Der türkische Staat ­­– und damit auch die Ditib – störe sich an der Emanzipation der türkischen Muslime in Europa.

In den Richtlinien wird beschrieben, wie den Schülern muslimischen Glaubens ihre Religion nähergebracht werden soll. Jedoch sei der Lehrplan der Ditib für hessische Grundschüler „keineswegs konstruktiv oder kritisch“, sagte Ourghi. „Im Lehrplan werden Koranverse, aus denen eine Ungleichheit der beiden Geschlechter abgelesen werden kann, weder angesprochen noch kritisch hinterfragt.“

Insbesondere eine Auseinandersetzung mit problematischen Stellen, wie der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, der Legitimation von Polygamie oder dem Schlagen von Ehefrauen fände nicht statt. „Ebensowenig wird das Thema der Identitätsfindung der Schüler zwischen islamischem Glauben und ihrer westlich geprägten Lebenswirklichkeit angesprochen“, beanstandet der Experte.

Der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) beschreibt die Einführung des Fachs jedoch als „Erfolgsgeschichte“ und weist die Kritik von Ourghi zurück. Ein Sprecher des Ministeriums schreibt, der Autor hätte „offenkundig einen ‘überkonfessionellen‘ islamischen Religionsunterricht vor Augen“. Dieser sei „der Ausdruck eines ‘humanistischen und modernen’ Islams“ und solle gerade nicht „dem ‘konfessionellen’ Islamverständnis einer bestimmten islamischen Religionsgemeinschaft entsprechen“. Der islamische Unterricht in Hessen sei aber ein „ausdrücklich konfessioneller“.

Liberale Verbände bleiben außen vor

Das Gutachten von Ourghi ist im Ministerium bekannt, seine Kritik gilt dort jedoch als nicht „stichhaltig“ genug. Zudem sei befunden worden, schrieb der Sprecher der Behörde, daß die Ditib Hessen in hinreichendem Maße von der staatlichen türkischen Religionsbehörde unabhängig sei. Bereits im vergangenen Jahr zeigte sich Lorz über die Entwicklung des muslimischen Religionsunterrichts zufrieden. Die Zahl der Schulen, die Islamunterricht anbieten, stieg von 11 auf mittlerweile 38. Inzwischen werden 1.180 Schüler im muslimischen Glauben unterrichtet, lernen Koranverse auswendig und studieren das Leben des Propheten Mohammed.

 „Damit nimmt der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht eine natürliche organische Entwicklung“, sagte Kultusminister Lorz auf einer Veranstaltung in der hessischen Landesvertretung in Berlin 2014. „Der Weg verläuft bislang völlig harmonisch und ist für mich Anlaß, mit Optimismus auf die zukünftige Entwicklung zu schauen“, freute sich Lorz.

Nachdem Hessen als erstes Bundesland vor zwei Jahren den bekenntnisorientierten Islamunterricht einführte, gibt es ihn inzwischen in fast allen westlichen Bundesländern. Jedoch ist der Einfluß der konservativen Ditib auf den Lehrplan in Hessen besonders hoch. Liberale Verbände werden dagegen zur Zeit in keinem Bundesland an der Aufstellung des Curriculums beteiligt.

Der Religionsexperte hält es für „gefährlich“, die muslimischen Dachverbände den Kirchen gleichzustellen – ihnen also auch eine Lehrerlaubnis für den Religionsunterricht zu geben. Seiner Meinung nach habe sich durch die Macht der Dachverbände ein konservativer Islam in Deutschland verbreitet. Dieser sei nicht in der Lage, kritisch mit seiner Vergangenheit umzugehen. „Niemand weiß genau, was eigentlich in deutschen Grundschulen im Islamunterricht passiert“, warnt Ourghi.