© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kampf um die deutsche Sprache
Marcus Schmidt

Johannes Singhammer kann es nicht lassen. Seit Jahren setzt sich der Vizepräsident des Bundestages dafür ein, daß die deutsche Sprache in der EU und ihren Institutionen zu ihrem Recht kommt. Denn, so kritisiert der CSU-Politiker, noch immer werde Deutsch, immerhin die am häufigsten gesprochene Muttersprache in der EU, gegenüber Englisch und Französisch vernachlässigt.

Diese Hartnäckigkeit im Einsatz für die deutsche Sprache, die Singhammer im vergangenen Jahr den Titel „Sprachwahrer des Jahres“ der Deutschen Sprachwelt einbrachte, hat einen ernsten Hintergrund. Immer häufiger muß sich das Parlament mit Dokumenten aus Brüssel befassen – und das nicht nur, wenn es darum geht, wieder einmal den Euro zu retten. In der vergangenen Legislaturperiode sind laut Aufzeichnungen des Bundestages 1.510 Dokumente der EU-Kommission an Bundestagsausschüsse zur Beratung überwiesen worden, rechnete die Süddeutsche Zeitung jetzt vor. Davon seien zwar nur zwölf vollständig in englischer Sprache verfaßt gewesen. Die 1.510 Dokumente hatten aber insgesamt 1.202 Anhänge und sonstige Anlagen, die nur auf englisch vorlagen.

Unterstützung erhielt der CSU-Politiker nun durch ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes. Dieses kommt zu dem Schluß, daß die Bundestagsabgeordneten einen grundsätzlichen Anspruch darauf haben, wichtige Dokumente in deutscher Sprache zu erhalten, berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf die Studie. Nach Ansicht Singhammers müsse das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes Konsequenzen für die Arbeit im Parlament haben. Bisher würden „Bundestagsausschüsse regelmäßig die Beratung von Dokumenten verweigern, weil sie nur auf englisch vorliegen, und damit auf Mitwirkungsrechte des Bundestags verzichten“, kritisierte Singhammer.

Die Reaktion der EU-Kommission kam prompt. „Natürlich hat jedes Parlament das Recht, Dokumente in der jeweiligen Landessprache zu erhalten – das ist ein Grundprinzip der Demokratie“, versuchte der Vertreter der Kommission in Deutschland, Richard Kühnel, zu besänftigen. Er präsentierte eindrucksvolle Zahlen: Die Generaldirektion Übersetzung beschäftige 111 Deutsch-Übersetzer. Im vergangenen Jahr seien 135.566 Seiten ins Deutsche übersetzt worden. Damit liege Deutsch an dritter Stelle hinter Englisch und Französisch. Kühnel verwies jedoch darauf, daß Brüssel Übersetzungen in die jeweilige Landessprache nur für die Dokumente bereitstellen könne, die für sie rechtlich und politisch bindend seien. Bei Papieren der Eurogruppe oder des ESM gelte diese Verpflichtung nicht. „Die Verantwortung dafür, Dokumente dieser Gremien zu übersetzen, liegt bei den nationalen Regierungen und Finanzministern“, spielte Brüssels Mann in Berlin den Ball zurück.

Doch mit dieser Reaktion hatte der Wissenschaftliche Dienst offenbar gerechnet. Falls das „Sprachenregime“ der EU eine solche Übersetzung nicht vorsehe, sei die Bundesregierung verpflichtet, selbst „Übersetzungen für den Bundestag anzufertigen“, heißt es in dem Gutachten.