© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/15 / 14. August 2015

„Ruinieren sie sich nicht“
Asyl: Eine Abschreckungskampagne soll Antragsteller vom Balkan abhalten
Christian Schreiber

Die Szene des Videos ist düster. Das Wetter ist schlecht in Deutschland. Es nieselt, es ist grau, es ist ungemütlich. Man sieht Erwachsene und Kinder, die Koffer in einen Bus laden und abfahren. Es handelt sich um abgelehnte Asylbewerber. „Nicht wenige haben den falschen Versprechungen von Betrügern geglaubt, daßes einfach wäre, in Deutschland und anderen EU-Staaten als Asylbewerber zu bleiben und viel Geld zu verdienen“, heißt es in dem von der Bundespolizei aufgenommenen Video. Das Innenministerium spricht offiziell von einem „Rückführungsvideo“, das dazu beitragen soll, daß vor allem die drastisch gestiegene Zahl der Asylbewerber vom Balkan wieder eingedämmt wird. 

Denn angesichts immer neuer Rekorde bei den Antragsstellern hat die Flüchtlingsdebatte längst eine neue Dimension erreicht. In den ersten sechs Monaten wurden in den Ländern der Europäischen Union 400.000 Asylanträge gestellt, damit hat sich die Zahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. In Deutschland ist der Anstieg noch gravierender, hier wurden bisher 190.000 Anträge gezählt, was einem Zuwachs von mehr als 130 Prozent entspricht. Und es sind nicht nur Menschen aus Kriegsregionen, die ihr Glück in Europa suchen, vor allem innerhalb des Kontinents findet derzeit eine regelrechte Völkerwanderung statt. Mehr als 42 Prozent der Asylanträge in Deutschland werden von Menschen aus dem Kosovo oder anderen Balkanstaaten gestellt. Doch diese Länder sollen demnächst als sogenannte sichere Herkunftsländer eingestuft werden, Asylanträge haben in aller Regel aber bereits jetzt keine Aussicht auf Erfolg. Dennoch gestaltet sich das Verfahren schleppend, Ressourcen werden gebunden und finanzielle Mittel verbraucht. Die Regierung setzt nun in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei auf Abschreckung. Das produzierte Video soll sich in den jeweiligen Landessprachen vor Ort über die Medien in der Öffentlichkeit verbreiten. Es richte sich an potentielle Asylbewerber aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien. „Ruinieren Sie nicht sich und ihre Familie finanziell und wirtschaftlich für ihre Schleusung nach Deutschland“, heißt es in dem Film: „Vertrauen Sie keinesfalls Versprechungen, in Deutschland würde man aus wirtschaftlichen Gründen Asyl erhalten.“ 

Außerdem soll nach Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein seit 1. August geltendes Gesetz dafür sorgen, bei offensichtlich unbegründeten Anträgen eine Wiedereinreisesperre und ein Aufenthaltsverbot für das Schengen-Gebiet auszusprechen. „Asylsuchende vom Balkan müssen viel schneller in ihre Heimat zurückgeschickt werden“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) der Nachrichtenagentur dpa. 

Streit um Einstufung als sichere Herkunftsländer

In einem Interview mit der Welt am Sonntag forderte der Christdemokrat, „daß Menschen, die mit großer Wahrscheinlichkeit kein Asylrecht erhalten, nicht mehr weiter an die Kommunen verteilt werden sollen. Sie sollten direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden. Wer etwa aus dem Kosovo kommt, sollte innerhalb eines Monats wieder in seine Heimat zurück.“ Innerhalb der Koalition ist dieses Vorhaben aber nicht unumstritten. So sprach sich der Sprecher der Arbeitsgruppe Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion, Rüdiger Veit, dagegen aus, Albanien, Montenegro und das Kosovo als sichere Herkunftsländer einzustufen. Es sei ein „Irrglaube“ anzunehmen, daß deswegen die Asylantragszahlen zurückgingen, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit November 2014 gelten Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten. „Das haben wir schweren Herzens gemacht, geholfen hat es nichts“, erklärte Veit.  De Zahl der Asylanträge aus diesen Staaten steigt offiziellen Mitteilungen zufolge allerdings deutlich langsamer als jene aus dem Kosovo und Albanien. So suchten in der ersten Jahreshälfte 2015 aus Serbien, Bosnien und Mazedonien jeweils 23 Prozent mehr Menschen Asyl in Deutschland als in den Vorjahresmonaten. Hingegen wuchs die Zahl der Asylanträge aus den anderen Balkanstaaten, die noch nicht als sicher gelten, um 515 Prozent.

Angesichts dieser Zahlen forderten zu Wochenbeginn Politiker, den für Spätherbst vorgesehenen Asylgipfel vorzuziehen. Das Treffen von Bund und Ländern soll nun bereits Anfang September stattfinden, hieß es aus Regierungskreisen. Um eine Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten zu erreichen, benötigt die Große Koalition aus CDU und SPD aber eine Mehrheit im Bundesrat. Dort sperrten sich bisher die Grünen, lediglich der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann hat seine Zustimmung signalisiert. Vor allem die Bewertung des Kosovo gilt als Zankapfel. Dort gibt es permanente Spannungen zwischen religiösen Gruppen. „Ein Land einfach als sicher einzustufen und dann zu glauben, die Probleme seien gelöst, halte ich für sehr naiv“, sagte die Parteivorsitzende Simone Peter dem Focus. Das Video der Bundespolizei trifft dagegen sogar innerhalb der Grünen auf Zustimmung: „Informationskampagnen vor Ort sind sicherlich ein gutes Mittel“, sagte Peter.

Foto: Bereits am frühen Morgen stehen Asylbewerber Schlange vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales: Mehr als 42 Prozent der Antragsteller kommen vom Balkan