© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Das höchst eigenwillige Pferd aus seinem Bonner Stall
Im Dritten Reich schieden sich die Geister: Der Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber im Briefwechsel mit seinem Lehrer Carl Schmitt
Ingo Lampe

Gefühlt erscheint über den immer aktueller werdenden Klassiker Carl Schmitt weltweit ein Text pro Tag. Die Forschung zu Leben und Werk seines Schülers Ernst Rudolf Huber nimmt sich daran gemessen entschieden weniger vital aus. Huber, 1903 in Oberstein an der Nahe geboren, 1990 in Freiburg gestorben, ist heute über einen kleinen Kreis wissenschaftshistorischer Experten hinaus bekannt allenfalls durch dreierlei: seine siebenbändige „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789“, sein von notorischen Nichtlesern als „berüchtigt“ geschmähtes „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches“ (1939) sowie vielleicht als Vater des lange medial allgegenwärtigen Bischofs und EKD-Vorsitzenden Wolfgang Huber.

Zwei Jahre Schweigen wegen Disputs über den NS-Staat

Trotzdem vermittelt der um autobiographische Abrisse und schwer zugängliche Huber-Texte in Sachen Schmitt bereicherte Briefwechsel zwischen den Staatsrechtlern, den Ewald Grothe, Wuppertaler Historiker und Leiter des Liberalismus-Archivs der Friedrich-Naumann-Stiftung, jetzt veröffentlicht hat, weit mehr als die Bekanntschaft mit einem fast vergessenen Juristen, der höchstens deshalb Aufmerksamkeit erheischt, weil er zur CS-Biographie eine weitere Facette hinzufügt. Denn Huber war nicht nur, wie es über den Bonner Privatdozenten hieß, „das beste Pferd“ aus Schmitts Stall, er gewann auch früh, während seiner ersten, der Kieler Professur (1933–1937) eine eigene, von seinem Doktorvater unabhängige Statur – im Verhältnis zum Nationalsozialismus. 

Im Dritten Reich schieden sich bald die Geister. Nach ersten leisen Mißtönen brach 1936 der Briefkontakt zunächst ab. 1938 meldete sich Schmitt wieder, aber die alte Herzlichkeit war hin. Die Korrespondenz, 36 Briefe bis 1944 gegenüber 85 zwischen 1933 und 1936, dünnte aus. An der Intensität, mit der zwei Professoren, die 1933 mit hochgespannten Erwartungen in die NSDAP eintraten, das Politische erörtern, änderte sich jedoch nichts. In der Tat eignet sich daher, wie Grothe den Wert seiner Edition treffend beurteilt, dieses briefliche Werkstattgespräch vorzüglich, um das „intellektuelle Feld der Staatsrechtslehre“ während der NS-Zeit „intensiver auszuleuchten“.

Nur verrät er in seiner Einleitung nicht, wie mit den Kontrastfiguren Schmitt und Huber die Szenerie zu erhellen wäre. Der 1936 aufbrechende Gegensatz scheint bei ihm reduziert auf die Stellung zur „Judenfrage“, die für Schmitt zentral, für Huber kaum marginal war. Daß Huber den „Führerstaat“ mit einer Verfassung zähmen wollte, CS dies für aussichtslos hielt, daß der jüngere Kollege im idealistischen Glauben an die ordnende Kraft der Werte viel tiefer im 19. Jahrhundert steckte als sein moderner Lehrer, daß der, ungeachtet aller bezaubernden Reichsrhetorik, auf den Nationalstaat fixierte Huber weder sonderliche Sympathien für Schmitts Großraum-Entwürfe noch gar für dessen theologische, enigmatisch verkapselte Überhöhung des Politischen zeigte – anhand solcher Kontrapositionen hätte man mehr als die intellektuelle Landschaft beleuchten können. 

Man hätte sogar, soll ein solches Unterfangen nicht in antiquarischer Selbstgenügsamkeit stecken bleiben, eine Kontrastfolie gewonnen, um manche volkspädagogische Gewißheit nicht allein über die Staatsrechtslehre im Reich Adolf Hitlers zu erschüttern. Aber die Chance bleibt ungenutzt. Nicht einmal Hubers dazu einladende autobiographische Texte gerinnen zu einer Skizze, die das Bild der vermeintlichen „Generation der Unbedingten“ (Michael Wildt) korrigiert, zu der Himmler, Heydrich und Reinhard Höhn genauso gehörten wie Stauffenberg und Albrecht Haushofer, mit dem Huber wenige Wochen vor dem Attentat des 20. Juli 1944 die „innerstaatliche Neuordnung“ des Reiches erörterte.   

Grothe will es aber genauer gar nicht wissen, und so läßt seine Einleitung den Leser im dunkeln tappen. Verständlich für den Angestellten einer FDP-Stiftung. Denn auf welch gefährliches Terrain hätte die Deutung von Huber-Urteilen wie „inneren Despotismus“ könne er leichter ertragen als „Fremdherrschaft“ heute wohl führen müssen? In einem akademischen Justemilieu, dem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble aus dem Herzen spricht, wenn er bekennt: Weil es seit 1945 nicht souverän gewesen sei, tue Deutschland sich leichter, nationale Souveränität aufzugeben, denn „aus historischen Gründen ist Souveränität für uns kein so großes Thema“; trotzdem gehe es uns „ganz gut“ (Die Zeit vom 28. Mai 2015). 

Zur huschig-verdrucksten Einleitung paßt ein klappriger Fußnotenapparat. Für Wichtiges findet man keine Erläuterung, Triviales ist hingegen eine Anmerkung wert. So ist zu Karl Marx zu erfahren: „war Philosoph und Begründer der kommunistischen Gesellschaftstheorie“. Für William Shakespeare klärt Grothe endlich darüber auf, wer sich hinter diesem Namen verbirgt, nämlich „der bedeutendste englische Dramatiker“. Überraschendes auch zu Naumburg: „Stadt an der Saale mit berühmtem spätromanischem Dom“. Vielleicht wäre eine derart stupide Anhäufung von Daten entschuldbar, wenn zugleich der konkrete Bezug, in dem Autoren, Werke, Orte für die Briefschreiber jeweils stehen, in der Fußnote erklärt würde, was zumeist nicht geschieht. 

Unerfreulich sind diese Aussetzer gerade bei Publikationen von Schmitt und Huber, die zwar bibliographisch korrekt annotiert werden, über deren Inhalt Grothe sich aber oft ausschweigt. Die Mühe, die es kostet, um Wikipedia-Wissen zu repetieren, hätte er hier sinnvoller in knappe Inhaltsangaben investieren sollen. Denn wer hat schon den 13. Jahrgang der Danziger Juristen-Zeitung von 1934 im Regal, um das von Huber mit „großem Gewinn“ gelesene, „interessante Gutachten“ Schmitts über „Die Verfassungsmäßigkeit der Einsetzung von Staatskommissaren“ nachzuschlagen? 

Zeit, die Grothe mit Kinkerlitzchen verschwendete, fehlte ihm dann für die Recherche zu hermetisch abgeriegelten Kontexten, vor allem in der Korrespondenz zwischen 1939 und 1944. Mehrfach etwa drängte Huber Schmitt, einen Aufsatz für ein Sammelwerk der Staatsrechtler beizusteuern, das er im Rahmen des „Kriegseinsatzes der Geisteswissenschaften“ herausgab. Grothe verweist dafür einige Male auf nicht Einschlägiges, obwohl der Beitrag stets für Hubers zwei Bände der „Idee und Ordnung des Reiches“ (1942/43) erbeten wurde.

Huber annonciert Wechsel an die Universität Straßburg 

Nicht minder irritierend wirkt die Anmerkung zu Hubers stolzer Ankündigung vom Mai 1941, er wolle an der wiedereröffneten Reichsuniversität Straßburg, der „Stätte deutscher Überlieferung“, eine „menschlich achtbare Fakultät“ aufbauen. Straßburg, so belehrt Grothe, habe bis 1697 zum Heiligen Römischen Reich gehört. Nicht falsch, aber zum x-tenmale unerheblich, da die Tradition, an die Huber anzuknüpfen gedachte, 1871/72 begann, mit der Wiedererlangung des Elsaß und der Eröffnung der deutschen Kaiser-Wilhelms-Universität. 

Rasch entledigt sich dieser besinnungslose Datensammler auch des Problems, über die Passage zu einer von Carl Schmitt betreuten Habilitation aufzuklären. Ihm reicht die Feststellung, das für Huber beigelegte Gutachten sei nicht überliefert. Dafür ist es immerhin 1991 in einer Dokumentation über Schmitts Berliner Prüfertätigkeit veröffentlicht worden. Bis zum lapidaren „nicht ermittelt“, zum ebenso beliebten wie hilflosen „gemeint ist vielleicht“ oder zum simplen Übergehen von Namen wie den des Geschichtsdenkers Christoph Steding ist es mithin in diesem Tal des Ahnungslosen nie sehr weit. Und daß bei soviel Überforderung peinliche Abschreibfehler nicht ausbleiben, ist nur konsequent. So datiert Grothe die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 auf 1936, und der Schmitt-Protektor Hermann Göring wählt bei ihm 1946 keineswegs den Freitod, sondern er wurde „hingerichtet“. 

 Mit Wehmut blickt man angesichts einer so ungenügenden, ja dilettantischen Ausgabe auf die üppigen Kommentierungen zurück, mit denen Piet Tommissen entlegenste „Schmittiana“ erschloß. Und welch einen Abstieg, aus der Oberliga der Gelehrsamkeit direkt in die Bologna-Kreisklasse, veranschaulicht der Vergleich mit Günter Maschkes monumentalen, den engen, politisch korrekt getrübten Horizont bundesrepublikanischer Gegenwart durch weite zeitgenössische Perspektiven ersetzenden CS-Editionen „Staat, Großraum, Nomos“ (1995) und „Frieden oder Pazifismus?“ (2005). Will man versöhnlich schließen, bleibt in erster Linie die Leistung des Verlages zu loben, der es bei der Ausstattung des schönen grünen Leinenbandes an nichts hat fehlen lassen.

Ewald Grothe (Hrsg.): Carl Schmitt – Ernst Rudolf Huber: Briefwechsel 1926–1981. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2014, gebunden, 617 Seiten, Abbildungen, 79,90 Euro