© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

In guten wie in schlechten Tagen
Nichts für Feiglinge: Die Ehe ist keine Schönwetterveranstaltung / Wer sich bindet, muß Entbehrungen auf sich nehmen und Krisen überstehen
Christian Rudolf

Wir haben im Sommerloch geheiratet“, sagt Stefanie Pahl scherzhaft. Am bevorstehenden zehnten Hochzeitstag wird das Paar verreist sein, mit Freunden zusammen, die auch kleine Kinder haben. Stefanie und Claudius sitzen dicht nebeneinander auf dem alten Sofa in ihrer Berliner Wohnung, wie so oft. Auf dem Tisch ein großer Strauß selbstgesammelter, bunter Blumen in bauchiger Glasvase. An der Wand Fotos von gemeinsamen Treffen mit der großen Verwandtschaft. Die Kinder sind mit Singen und Vorlesen zu Bett gebracht, der Tag geht zur Ruhe, es ist still geworden und dämmrig. Zeit füreinander.

Am Vorbild der Eltern sehen: das geht

Claudius und Stefanie kennen sich schon fast ihr halbes Leben lang. Sie war siebzehn, er dreiundzwanzig, als sie sich zum ersten Mal begegneten. Auf einer Chorfahrt sangesbegeisterter Studenten in Sachsen hatte der Geigenbau-Lehrling in der Seele der angehenden Musikstudentin wohl eine Saite angerührt. Doch was im nachhinein so aussieht, als hätte ein genialer Komponist zwei harmonierende Stimmen für das Spiel des Lebens miteinander verwoben, war im Anfang keineswegs so klar. Wie so oft gab es Widerstände und ungünstige Umstände. „Ich war ganz doll verliebt in ihn. Ich hab’ ihm sogar einen langen schmachtenden Liebesbrief geschrieben, obwohl ich wußte, daß er mit einer russischen Freundin zusammen war.“ Claudius erinnert sich an damals: „Die Steffie, das junge Ding – ich konnte mir das einfach nicht vorstellen.“ Vergessen hat er sie dennoch nicht. Und sie ihn auch nicht. „Ein Geigenbauer, das war natürlich interessant für eine Geigerin“, meint Stefanie augenzwinkernd.

Der Kontakt blieb, wenn auch lose, bis sie sich nach einer weiteren Chorfahrt befreundeten. Stefanie war unterdessen Studentin an der Hochschule für Musik in Berlin. Ihre zweijährige Fernbeziehung, äußere Probe und innere Prüfung, hielt. Sie verlobten sich. 

Gleich und gleich gesellt sich gern, weiß der Volksmund. „Wir waren uns einig, im Glauben an Gott, daß wir Kinder haben wollen, aber zum Beispiel kein Auto, darüber mußten wir nie diskutieren“, erklärt Steffie der JF. „Aber wir haben uns später im Zusammenleben auch einander angenähert“, ergänzt Claudius und schaut seiner Frau ins Gesicht. „Für mich war immer klar, daß ich heiraten wollte.“ Steffie weiß über den Wunsch ihres Mannes noch mehr: „Du wolltest ja immer alle heiraten, mit denen du zusammen warst ...“

Auch Stefanie war vor Claudius einige Male mit Jungs zusammen und hatte das Scheitern von Beziehungen schon erlebt. Und jetzt? Alles auf eine Karte setzen? Mit 23? Vor der Ehe habe sie sich gar nicht vorstellen können, wie das sein wird, sich nie mehr in einen anderen Mann zu verlieben. „Da war es gut, daß ich Vorbilder in meinen Eltern hatte, an denen man sehen konnte: das geht.“

„Man muß schon lieben wollen“

Weil sie sich schwertat mit dem Heiraten, fragte Stefanie ihre Eltern um Rat. Ihr streng protestantisches Elternhaus hatte ihr auch mitgegeben, daß man mit der körperlichen Vereinigung wartet bis zur Ehe. Daran hielt sie sich, Claudius biß auf Granit. Seine Hand liegt auf ihrem Arm: „Daß die Sexualität den Schutz der Ehe braucht – diese Einsicht mußte erst mit der Zeit für mich reifen. Die ersten Anstöße dafür kamen von Steffie.“ Trotz oder gerade wegen dieses sehr bewußten Umgangs mit intimer Zweisamkeit ist das Eheleben der Pahls außerordentlich ergiebig. Eine kaum merkliche Wölbung über Stefanies Bauch läßt erkennen, daß die vier Kinder noch nicht das Ende der Fahnenstange sind.

Sehr hilfreich für den gemeinsamen Weg sei dann der Ehevorbereitungskurs beim Pfarrer gewesen: „Da wurde so ein Druck rausgenommen. Indem das Gelingen nicht nur von einem selber abhängt, sondern man es in Gottes Hände legen kann.“ Sie lernten: Den einen einzig richtigen Partner – den gibt es nicht. Indem man ganz und gar ja sagt zu jemandem, wird dieser erst zu dem Richtigen. Claudius, der heute als Geigenbauer mit goldenen Händen in einer Werkstatt arbeitet, richtet sich plötzlich auf und spricht mit fester Stimme: „Die Ehe ist eine Entscheidung. Man muß sich entscheiden, und diese Entscheidung macht etwas mit einem. Die formt ja das Denken auch.“ Um dann hinzuzusetzen: „Und daß es so häufig heute nicht klappt, liegt auch an der verbreiteten Entscheidungsunfähigkeit.“ Dabei bestanden seine Gründe, diesen Schritt zu gehen, aus nichts Außergewöhnlichem: Neben der Liebe war es der Wunsch, „nicht alleine alt werden zu wollen und zu wissen, daß da jemand für einen da ist“.

Der Blick fällt auf die Fotos. Die jungen Eheleute auf dem Land, inmitten einer Menge großer und noch viel mehr kleiner Menschen: Eltern und Großeltern, die Schar der Geschwister, die auch alle längst ja gesagt haben und es fruchtbar gemacht haben. Entspanntes Lächeln im Sonnenlicht. Familie ist schön. Auch als Bild an der Wand.

Claudius und Stefanie erleben gerade eine Phase miteinander, die heiter ist wie das Violinkonzert Nummer 2 in D-Dur von Mozart. Das war nicht immer so, ihre Ehe modulierte auch schon mal in Moll. „Da gab’s auch Zeiten, wo man eher so nebeneinanderher lebte. Da finden sich dann viele Anlässe, genervt zu sein, o ja“, berichtet die freischaffende Geigerin, die mit Kindern, Haushalt und Beruf genug um die Ohren hat, und ihr Mann nickt kaum merklich dazu. „Dann melden sich Gedanken, da glaubt man, ich halt’s keinen Tag mehr zusammen mit ihm aus.“ 

Doch wie aus solcher Negativstimmung herauskommen? Sich trennen war nicht wirklich eine Option. Die Religion stabilisiert. „Wie das zusammen funktionieren soll, wenn man nicht an Gott glaubt, weiß ich echt nicht“, sagt die 33jährige. Den Überdruß am anderen, den könne man auch selber überwinden, berichtet Claudius von den wertvollen Erfahrungen jener schwierigen Zeit. „Ich kann freundlich sein, ich hab’ es in der Hand, ich muß nicht brummelig sein!“ 

Die Ehe mache fraglos Arbeit. „Man muß schon lieben wollen“, ist ein weiterer Erfahrungswert nach zehn gemeinsamen Jahren. „Nicht drauf warten, daß die Liebe von allein wiederkommt, wenn sie gegangen ist, man muß was dafür tun.“ Die Pahls tun was. Eine Beherzigung: Gibt es Streit am Tage, Mißverständnisse – unbedingt noch vor dem Zubettgehen klären. „‘Laß die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen’ – das war so ein goldenes Bibelwort von unserem Pfarrer“, erinnert sich Claudius. 

Und dann natürlich die Kinder: Das Jüngste hat gerade laufen gelernt, der Älteste ist als Wölfling bei den Pfadfindern. „Ein solcher Quell der Freude, den man gemeinsam hat.“

„Du hast mir immer Raum gegeben“

Ist es schwerer heute, zusammenzubleiben und sich dauerhaft liebzuhaben, als noch vor vierzig Jahren, weil es damals selbstverständlicher war, wie die Pahls meinen? Die Eheleute Heinrich und Brigitta Beck können Auskunft geben. Wer auf die diamantene Hochzeit zugeht und miteinander in Freude und Leid alt geworden ist, darf als Meister des Faches gelten. 

Die Becks gaben sich das Jawort zu einer Zeit, in der der Bundeskanzler Konrad Adenauer hieß, die Kirche noch Autorität besaß und die Frau der Erlaubnis ihres Mannes bedurfte, falls sie erwerbstätig werden wollte. „Früher war nicht alles besser“, sagt Frau Beck energisch. „Aber sich einfach so zu trennen, war auch zumeist unmöglich. Wohin hätten die Frauen denn gehen sollen? Wir hatten ja kein eigenes Geld. Und wegzulaufen, das war ganz schlecht angesehen.“ „Sehen Sie“, erläutert der emeritierte Professor Beck der JF, „der kulturelle Kontext der Eheschließung hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Das Verständnis von Ehe ist vordergründig geworden. Die Beziehung soll auf Liebesgefühlen fußen. Wie soll das halten?“ Seinen Lebensabend verbringt das Paar in dem geschmackvoll eingerichteten „Haus zum Engel“ inmitten der Altstadt von Bamberg. 

„Die Engel sind als Helfer gar nicht hoch genug zu schätzen“, deutet Beck zwinkernd auf eine holzgeschnitzte Engelsputte an der Wand im Wohnzimmer. Als sich Brigitta 1957 mit dem aufstrebenden Doktor der Philosophie verlobte, war ihnen beiden ganz selbstverständlich bewußt, was das Jawort bedeuten würde: einen Bund fürs Leben einzugehen, der nicht unter Bedingungen steht. „Uns einander verbindlich zuzusprechen, war der tragende Grund unserer Ehe“, sagt Beck fest. „Die prinzipielle Unauflöslichkeit gehört zu ihrem Wesen.“ 

Kennengelernt hatten die beiden sich bei einer Hafenrundfahrt in Bremen, der Heimat Brigittas. „Am Anfang war sie sehr abweisend. Sie hat mich gereizt, und als ich auf sie zugehen wollte, zog sie sich zurück.“ – Frau Beck winkt im Hinausgehen ab: „So viele Details sind sicher nicht nötig.“ Um dann doch freimütige Aussprache zuzulassen. Vor der Hochzeit blieben sie keusch – „um den Charakter des anderen, auf den es ankommt, nüchtern kennenlernen zu können“. Heinrich Beck wird über den Erinnerungen vergnügt: „Sie ist eine tolle Partnerin, das muß ich bei der Gelegenheit mal sagen!“ Frau Beck hat derweil eine Schale prachtvoller Erdbeeren serviert. Rot leuchten sie wie die Liebe.

„In all den Jahrzehnten haben wir Krisen, viele große Krisen durchgemacht“, sagt Beck. Ehrgeizig verfolgt er seine wissenschaftlichen Ziele, unternimmt Dienstreisen in alle Kontinente und ist oft monatelang fort. Frau Beck bringt unterdessen drei Kinder zur Welt und leidet schwer unter der Abwesenheit ihres Mannes. Der ist zu allem Überfluß für weibliche Reize von außerhalb empfänglich. Er entbrennt in Leidenschaft für eine Frau aus seinem beruflichen Umfeld. „Ich hab’ mir eine intime Begegnung gewünscht“, bekennt Beck. Seine Gattin ist mit den Nerven fertig. „Ja, da habe ich an Scheidung gedacht“, sagt Frau Beck in aller Deutlichkeit.

„Ohne göttlichen Beistand hätten wir die Ehe nicht durchgehalten“, resümiert der hochgewachsene Mann mit den lebendig blitzenden Augen. Und legt seiner Frau eine Blume hin: „Du hast mir immer Raum gegeben.“ In einem Paradox liegt ihr „Erfolgsrezept“ für ein harmonisches Miteinander: Die Disharmonie zulassen und konstruktiv umgestalten. „Nicht versuchen, dem anderen die eigene Lebensform aufzuzwingen.“ 

Heinrich Beck liebte es, oben im Arbeitszimmer Gedanken auszubrüten und in Aufsätzen zu publizieren, wohingegen Brigitta Beck die Krimiserie von „Inspector Barnaby“ genoß. „Wir haben einander dann irgendwann eingestanden, daß wir der Lieblingsbeschäftigung des anderen einfach nichts abgewinnen können“, sagt sie. „Ja“, führt ihr Mann den Gedankengang fort, „aber wesentlich war: Wir haben uns das gegenseitig nicht schlechtgemacht. Kein Urteil, keine Abwertung. Sondern so: ‘Ich gebe dich frei in deine Welt und entscheide mich, dich zu lieben in deiner Andersartigkeit.’“ Sie schauen sich beide an, ganz ruhig, ganz lange. Und wer ganz fein hinlauschte, kann die Engel vor Freude glucksen hören.