© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Die Belastungsgrenze ist überschritten
Rekordhoch: Allein im Juli beantragten fast 80.000 Personen Asyl in Deutschland / Viele Kommunen sind mittlerweile völlig überlastet
Henning Hoffgaard

Es war ein Rekordmonat. Noch nie kamen so viele Asylbewerber nach Deutschland wie im Juli 2015. Etwa 79.000 erreichten die Bundesrepublik. Im Vergleich zum Juni verdoppelte sich damit die Zahl der Asylanträge. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2012 waren bei den Behörden nur 77.651 Asylanträge eingegangen. Mut zur Wahrheit fordern daher die Länder von der Bundesregierung. „Wenn wir unsere Zahlen hochrechnen, müssen wir 2015 in Deutschland mit 500.000 bis 550.000 neuen Asylbewerbern rechnen“, sagte der Innenminister von Schleswig-Holstein, Stefan Studt (SPD).

Die ursprüngliche Prognose der Bundesregierung von 300.000 Asylbewerbern für 2015 ist bei gegenwärtig rund 260.000 Anträgen ohnehin längst von der Realität eingeholt worden. Selbst die deutlich nach oben korrigierte Schätzung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge geht derzeit von 450.000 Antragstellern bis Jahresende aus. Sogar die offiziellen Stellen zweifeln also nicht mehr daran, daß 2015 mehr als doppelt so viele Asylsuchende nach Deutschland kommen werden wie im vergangenen Jahr (202.834 Anträge). Insgesamt halten sich derzeit bereits etwa 1,2 Millionen Asylanten im Land auf.

Mehr Kriminalität durch Asylsuchende

Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT mitteilte, lebten bis Ende Mai 225.544 Ausländer in Deutschland, deren Asylbegehren derzeit geprüft wird. Dazu kämen 536.997 abgelehnte Asylbewerber, die aber bisher noch nicht abgeschoben wurden. Die Zahl der Asylberechtigten wirkt dagegen mit 38.473 vergleichsweise bescheiden. Hinzu kommen 125.491 Geduldete sowie 137.697 Flüchtlinge gemäß Genfer Konvention. 14.132 Ausländer hielten sich in Deutschland auf, weil sie Schutz gemäß von EU-Richtlinien erhalten haben. Bei rund 36.000 weiteren bestehe ein Abschiebeverbot. In den Monaten Juni und Juli sind zu diesen Zahlen noch einmal mehr als 110.000 Asylanträge hinzugekommen.

Viele Kommunen haben ihre Belastungsgrenzen überschritten. Mitte vergangener Woche rief München den Katastrophenfall aus. 750 Asylbewerber – meist vom Balkan – erreichen täglich die bayerische Landeshauptstadt. Andere Städte wissen sich da zu helfen. 

Die Stadt Duisburg sah sich gezwungen, 500 Wohnungen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gebag zu beschlagnahmen, um dort Asylanten einzuquartieren. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) wünscht sich weniger bürokratische Hürden für eine zügigere Unterbringung. Er forderte ein Moratorium für alle Gesetze, die die Beschaffung von Unterkünften erschwerten. Konkret meint er damit baurechtliche Vorgaben sowie Richtlinien zur energetischen Gebäudesanierung.

Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) verlangte von den Ländern, die halbe Milliarde, die ihnen der Bund jährlich für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt, gezielt für den Bau von „Flüchtlingsunterkünften“ einzusetzen. Auf Geheiß von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) trägt auch die Bundeswehr zur „Willkommenskultur“ bei. 

Insgesamt 7.000 Schlafplätze in Zelten und Kasernengebäuden werden die Soldaten innerhalb kurzer Zeit bereitstellen. Acht Jugendherbergen wollen allein in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bei weiter steigendem Bedarf ihre Häuser zur Verfügung zu stellen.

Der Anstieg an Fallzahlen ist so dramatisch, daß mittlerweile sogar rot-grün geführte Bundesländer darüber nachdenken, Albanien und den Kosovo als sichere Herkunftsstaaten einzustufen. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat sich bereits dafür ausgesprochen. Allerdings möchte sie ihre Zustimmung in der Länderkammer davon abhängig machen, daß CDU und CSU einem Einwanderungsgesetz zustimmen – ein Ansinnen, dem sich CSU-Chef Horst Seehofer bereits entgegengestellt hat. 

Auch vom eigenen Koalitionspartner droht Dreyer Widerstand: „Wir lehnen das Konstrukt ‘sichere Herkunftsstaaten’ als diskriminierend ab“, sagte der Grünen-Fraktionschef im rheinland-pfälzischen Landtag, Daniel Köbler. Hingegen steht der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann einer Ausweitung auf die beiden Balkanländer wohlwollend gegenüber. Während die Spitzenpolitiker aus Bund und Ländern noch über Definitionen streiten, schafft Bayern Fakten. Einwanderer vom Westbalkan sollen künftig in grenznahen Einrichtungen isoliert von anderen Asylbewerbern untergebracht werden. So soll ihre schnellere Abschiebung gewährleistet werden. 

Der Grund: Die Anerkennungsquote von Einwanderern aus Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Serbien, dem Kosovo und Albanien liegt seit langem unter einem Prozent. 40 Prozent aller Asylanträge im Freistaat gehen auf das Konto dieser Personengruppe. Kopfzerbrechen bereitet Ländern und Kommunen aber nicht nur die Unterbringung. 

In den vergangenen drei Jahren hat sich der Anteil von kriminellen Asylbewerbern unter allen Straftätern mehr als verdoppelt. Machten Straftaten von Asylbewerbern 2011 noch 3,7 Prozent aller Delikte aus, waren es 2014 bereits 7,7 Prozent. Besonders auffällig war dabei der Anstieg bei Körperverletzungen (von 3.863 auf 9.655) und bei Ladendiebstählen (von 4.974 auf 13.894). Immer stärker zeigt sich auch: Die teils hoffnungslos überfüllten Zeltlager sind ein idealer Nährboden für Epidemien. In Hessen mußten vergangene Woche die Camps in Marburg und Wetzlar einen völligen beziehungsweise teilweisen Aufnahmestopp verhängen. In Marburg brachen die Windpocken, in Wetzlar eine hochansteckende Hepatitis-A-Infektion aus.

Ende vorigen Jahres hatten bereits die Aufnahmeeinrichtungen in Berlin wegen einer Masern- und Windpockenepidemie vorübergehend keine Neuankömmlinge mehr aufgenommen.




Gewaltvorfälle in Asylbewerberheimen

Stuttgart, 30. Juli

Im Stuttgarter Stadtteil Esslingen sorgte eine Asylbewerberfamilie für einen Polizeieinsatz. Die Nigerianer waren mit einer Wohnung unzufrieden, die ihnen die Stadt zur Verfügung stellte. Sie entsprach nicht ihren Vorstellungen. Als die Mitarbeiter der Verwaltung wegfahren wollten, stellte sich ihnen der Familienvater in den Weg. Auch die anrückende Polizei wurde von dem Ehepaar bedrängt. Am Ende bezog die Familie die Wohnung. 

Gelsenkirchen, 30. Juli

In einem Asylbewerberheim in Gelsenkirchen eskalierte am vergangenen Donnerstag der Streit zwischen mehreren Asylsuchenden. Dabei wurden zwei 19 und 33 Jahre alte Männer aus Algerien mit Messern angegriffen. Der 19jährige erlag dabei seinen schweren Verletzungen.  Die Hintergründe der Tat sind noch unklar. Die Polizei fahndet derzeit nach zwei noch unbekannten Personen. Von der Tatwaffe fehlt bisher jede Spur. Es wird in alle Richtungen ermittelt.

Dresden, 1. August

Mehr als einhundert Asylbewerber lieferten sich am Sonnabend in Dresden eine Massenschlägerei in einer Zeltstadt. Warum die Syrer und Afghanen aufeinander einprügelten, ist unklar. „Männer und Frauen gingen mit allem, was greifbar war, aufeinander los – von der Zaunlatte bis zum Bettgestell“, teilte die Polizei mit. Mehr als 80 Beamte waren im Einsatz, um die Lage wieder zu beruhigen. In dem Zeltlager leben etwa 1.000 Personen.

Suhl, 1. August

In der Thüringer Erstaufnahmestelle in Suhl gingen etwa 80 Asylbewerber aufeinander los. Der Hintergrund der Ausschreitungen ist laut Staatsanwaltschaft noch unklar. Acht Personen, darunter auch zwei Wachmänner, wurden bei der Massenschlägerei verletzt. Die Polizei leitete Ermittlungen wegen Körperverletzung  und Landfriedensbruch ein. Insgesamt leben in dem Asylheim etwa 1.600 Personen. Dies sind 400 mehr als ursprünglich vorgesehen.

Bonn, 1. August

Ein Spezialeinsatzkommando mußte in Bonn am Samstag einen aus Guinea stammenden 23 Jahre alten Asylbewerber durch den Einsatz ihrer Dienst-     waffen stoppen. Der Mann wurde in Beine und Arme geschossen, nachdem er mit einem Messer auf die Beamten losgegangen war. Zuvor hatte er mit einem Landsmann gestritten und ihn durch Messerstiche verletzt. Der Angreifer war seit 2013 in der Stadt. In dem Asylbewerberheim leben 185 Personen.

Foto: Asylsuchende in Neuenstadt am Kocher (Baden-Württemberg) in einem Zeltlager: Die Politik streitet über „sichere Herkunftsländer“