© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/15 / 07. August 2015

Eskalation in der Türkei
Skrupellos
Günther Deschner

Der Kurden-Konflikt in der Türkei eskaliert, dabei sah es doch so lange nach Entspannung aus. Der Grund ist, daß die gemäßigte Kurdenpartei HDP bei den Wahlen am 7. Juni Staatspräsident  Erdogan einen Strich durch die Rechnung gemacht hat: Mit einem Ergebnis von 11,7 Prozent verhinderte sie Erdogans absolute Mehrheit – und sie hat sich seither nicht zur Mehrheitsbeschafferin, zu einer Koalition mit Erdogans islamischer Regierungspartei AKP, bereit gefunden. Dabei hatte Erdogan so sehr auf diese Mehrheit gehofft: Sie wäre Voraussetzung dafür, die Verfassung zu Erdogans Gunsten zu ändern – und zwar so, daß ihm eine exekutive Präsidentschaft (à la USA) ermöglicht, nach seinem Gusto „durchzuregieren“.

Deshalb hat Erdogan ein Interesse daran, nicht nur die kurdische PKK militärisch anzugreifen, sondern auch die HDP zu diskreditieren und zu entmachten – und zwar bevor es möglicherweise zu Neuwahlen kommt. Am 24. August endet die Frist für die Bildung einer Regierungskoalition. Danach kann Erdogan Neuwahlen ansetzen, die dann im Winter stattfänden. Kommt es dazu, wird die AKP alles daransetzen, die absolute Mehrheit wiederzuerlangen. Bis dahin soll HDP-Vizepräsident Selahattin Demirtas nach Erdogans Willen wegen angeblicher Zusammenarbeit mit der PKK sogar vor Gericht gestellt und aus der Politik entfernt werden. Der Sultan kennt keine Skrupel.