© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Knapp daneben
Raser sind Kunden
Karl Heinzen

Hunderttausende Flamen und Wallonen zieht es im Sommer zum Badespaß an die Nordseeküste ihres Landes. Die meisten von ihnen haben keine andere Wahl, als die E 40 zu nutzen, die den Großraum Brüssel mit dem Meer verbindet. Diese Hauptverkehrsader ist bestens geeignet, um den Bürgern zu demonstrieren, daß ihr Staat etwas für den Erhalt der Infrastruktur tut. Pünktlich zum Beginn der Schulferien leistet dies eine Großbaustelle bei Gent. Wer von der Küste tagsüber nach Hause zurückreist, darf ihretwegen etwa zwei Stunden Fahrzeit mehr als gewöhnlich einkalkulieren. Wer erst spätabends aufbricht, gerät vielleicht nicht in den Stau, aber in die Fänge von Radarfallen. Schon in den ersten beiden Tagen nach Baubeginn konnten diese knapp 60.000 Fahrzeuge erfassen, die sich nicht an das Tempolimit hielten. Der Staatskasse bescherte dies Einnahmen in Höhe von 4,5 Millionen Euro. Ihnen stehen 5,5 Millionen Euro gegenüber, die für die Baumaßnahmen veranschlagt sind.

Bis zum Abschluß der       Arbeiten wird ein Mehrfaches ihrer Kosten durch Bußgelder eingespielt.

Man darf also getrost davon ausgehen, daß bis zum Abschluß der Arbeiten ein Mehrfaches ihrer Kosten durch Bußgelder eingespielt wird. Nutzt der belgische Staat die Mehreinnahmen, um neue Baustellen mit neuen Radarfallen einzurichten, könnte ein Mechanismus in Gang gesetzt werden, der langfristig zum Abbau der Schuldenlast führt.

Für Deutschland könnte das Modell eine Alternative zur europafeindlichen Ausländermaut sein. Dazu müßten nicht einmal eigens Baustellen eingerichtet, sondern nur bereits bestehende Geschwindigkeitsbeschränkungen konsequent genutzt werden. Auf vielen Autobahnen und Bundesstraßen sind sie so unplausibel oder durch die schnelle Abfolge von anderslautenden Schildern so irritierend, daß kaum ein Autofahrer in der Lage ist, sich durchgängig regelkonform zu verhalten. Dies wie bisher im großen Stil durchgehen zu lassen, unterminiert den Rechtsstaat und beraubt unser Gemeinwesen einer einträglichen Einnahmequelle. Sprudeln kann sie allerdings nur, wenn nicht schon wegen ein paar Verstößen der Führerschein entzogen wird. Raser sind Kunden, und diese sollte man dauerhaft an sich binden.