© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Erst im Atelier spürt er das Leben
Sieben Tage in der Woche an der Staffelei: Eine Ausstellung im Kunstmuseum Bonn und ein Buch zum Werk von Frank Auerbach
Sebastian Hennig

In Ermangelung anderer Erfahrungen haben wir uns angewöhnt, gestalterisches Geplänkel und serielles Kunstgewerbe einem künstlerischen Werke gleich zu achten. Der Kunstbetrieb sorgt dafür, daß Beispiele anderer Art die öffentliche Wahrnehmungsschwelle zumeist nicht übersteigen. Wenn sie es tun, dann nur um den Preis der äußersten und unbedingten Anstrengung für dieses Werk selbst. Denn der Ermattung des Publikums entspricht die Schlaffheit der meisten Künstler. Diese haben statt einer Berufung nur mehr einen Beruf. Den Status des Künstlers tragen sie wie ein Kostüm. Dafür ist ein wenig Talent schon ausreichend. Letztlich aber wird der Rang der Kunst wesentlich von der Charakterstärke und Entschlossenheit des Künstlers bewirkt. Adolph von Menzel sagte zu Max Liebermann: „Ihr Talent haben Sie vom lieben Gott, ich schätze am Künstler nur den Fleiß.“ 

Dadurch, daß ein Maßstab ausdauernd verleugnet wird, ist er nicht außer Kraft gesetzt. Noch gibt es Künstler wie den 1931 in Berlin geborenen und seit 1939 in England lebenden Frank Auerbach. Der Direktor des Kunstmuseums Bonn, Stephan Berg, mußte zur Eröffnung der aktuellen Ausstellung mit Auerbachs Werken daran erinnern, daß dieser Maler tatsächlich 365 Tage im Jahr an der Staffelei steht. Das sei kein Mythos. Seiner Feststellung ließ er ein wirklich erstaunliches Eingeständnis folgen: „In den neunziger Jahren wäre das ein Anachronismus. Inzwischen ist es wieder eine probate Möglichkeit. So ändern sich die Zeiten.“ 

Die einem antiken Theatron nachgebildeten halbrunden Zuschauerränge des Auditoriums im Untergeschoß des Kunstmuseums sind vollbesetzt, darüber stehen noch jede Menge Leute. Die Eröffnung der Werkschau verläuft unspektakulär. Kein Prestige und Prunk lenken von der Sichtbarkeit der Bilder ab. Im ganzen gleicht die Stimmung einer einfachen Ausstellung im laufenden Programm einer Kunstgalerie.

Der Kurator Christoph Schreier stellt in seiner Rede einen Bezug zu Hans Sedlmayrs kulturkritischem Buch vom „Verlust der Mitte“ (1948) her. Er vermutet, Auerbach habe die Lage ebenso gesehen und sich dagegen gesträubt. Seine Malerei sei eine Suchbewegung, die sich in einer Balance zwischen Verfestigung und Verfließen des Motivs ereignet.

Der Künstler selbst würde es wahrscheinlich anders fassen. Er taktiert nicht vordergründig mit Auflösung und Bindung. Es zielt auf eine Stabilität, die nicht leicht, vielleicht gar nicht zu erreichen ist. So ist er gescheitert mit Triumph, weil die Niederlage auf einem Feld der Ehre stattfindet, welches von seinen Zeitgenossen kaum einer zu betreten wagt. Er hat diese Sehnsucht einmal so formuliert: „Wenn die ganze Welt sich wirklich mit Kunst beschäftigen würde (…), wäre dies eine bessere Welt (…) Also, wenn ich nicht die Welt rette, hab ich vielleicht mich selbst gerettet.“ 

Penelope Curtis, Direktorin der Tate Britain, stellt fest, für diesen Maler sei das nächste Bild allemal wichtiger als die nächste Ausstellung. Seit zwanzig Jahren habe Auerbach London nicht mehr verlassen, und auch nach Bonn ist er nicht gekommen. Dafür zeugen hier seine wichtigsten Bilder für ihn. Es war ihm wichtig, die Werkschau zuerst außerhalb Großbritanniens in Deutschland zu zeigen.

Auseinandersetzung mit den alten Meistern  

Bei den weitaus meisten der sechzig Bilder, die im Kunstmuseum Bonn zu sehen sind, handelt es sich um private Leihgaben. Frank Auerbach ist einer der wenigen Maler, der sich tatsächlich als freischaffender Künstler den Nachdruck für sein Werk erarbeitet hat und nicht durch das Marketing der Galeristen oder die kalkulierte Plazierung von einflußreichen Sammlern in Museen, wie es seit Jahrzehnten die Unsitte in der Branche ist. Auerbach war eigentlich immer da und doch hat es viel länger gedauert, als bei den Kollegen Lucian Freud und Francis Bacon, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit ihm zugewendet hat. Gemeinsam mit Sigmar Polke hat er 1986 den Preis der Biennale von Venedig erhalten. Als im Jahr 2000 in einem umgebauten Kraftwerk am Themseufer mit der Tate Modern das größte Museum für moderne Kunst eröffnete, war ein ganzer Saal mit seinen Stadtlandschaften zu sehen.

Für die Ausstellung in Bonn hat der Künstler selbst sechs Werkgruppen zusammengestellt. Einen weiteren Raum gestaltete die Freundin und Biographin Catherine Lampert. Neben der Tafel mit der Biographie am Eingang und den knappen Bezeichnungen der Bilder ist in der Ausstellung nur eine Schrifttafel zu sehen, auf welcher der Künstler die Prinzipien seiner Auswahl kundtut: „Meine Hoffnung ist, daß die Werke nicht kontextuell, in ihren Bezügen betrachtet werden – das heißt nicht zu chronologisch, zu stilistisch oder zu motivisch wahrgenommen werden –, sondern, daß jedes als eine Absolutheit angesehen wird, die für sich selbst spricht (oder eben nicht).“

Im letzten Raum sind die jüngsten Bilder zu sehen. Es handelt sich um Interieurs seines Ateliers. Von einem Spiegel blickt der Künstler selbst aus seinem Bild „In the Studio“ (2013/14).

Es gibt zu beiden Ausstellungen erst in Bonn und anschließend in London einen englischsprachigen Katalog. Erhellender ist die deutsche Übersetzung des Buchs von Catherine Lampert, die zeitgleich im Sieveking-Verlag erschienen ist. Lampert kennt den Künstler seit den siebziger Jahren. Sein Kunststudium an der Royal Academy hat Frank Auerbach 1955 mit Auszeichnung und einer Silbermedaille abgeschlossen. Für den jungen Absolventen wird das vom Krieg heimgesuchte London mit seinen Provisorien und Baustellen zum vorherrschenden Motiv. Aus Kostengründen entstehen zunächst kleine Formate, gemalt mit den billigeren Erdpigmenten.

Als der Malerfreund Leon Kossoff heiratet, übernimmt Auerbach dessen Atelier, in dem er nun seit sechzig Jahren in einer Sieben-Tage-Woche an seinem Werk schafft: Porträts, Figur und Landschaft. Der kleine Hügel Primrose Hill dient ihm als „Gegengift“ zu den konstruierten Stadtansichten. „Ich habe kaum je von einem modernen Bild gelernt – ich weiß, wie es gemacht ist. Wenn es von einem alten Meister ist, weiß ich, sie sind großartig, aber ich kann nicht sehen, was das Geheimnis ist, das sie dazu macht“, sagt er 2014 anläßlich einer Ausstellung mit Gemälden des englischen Romantikers Constable. Die Auseinandersetzung mit den alten Meistern gipfelte im letzten Jahr in einer Ausstellung im neueröffneten Reichsmuseum Amsterdam, wo für einige Wochen seine Bilder in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Hauptwerken von Rembrandt hingen.

Mit seinen Kollegen Bacon, Freud, Kossoff und Kitaj wird Auerbach der „School of London“ zugeschlagen. Er selbst hat die Klassifizierung schlicht für „Unfug“ gehalten. Maßgeblich geprägt hat diese Marke der zugereiste Amerikaner Ronald Brooks Kitaj. Darin erinnert dieser an Ernst Ludwig Kirchner, der seinerzeit die Künstlergemeinschaft Brücke in seiner Phantasie nachträglich zum kunsthistorischen Ereignis aufbauschte, Lobeshymnen von Kunsthistorikern komplett erfindend. So wie Kirchner sich in Davos erschossen hat, so wählte Kitaj in Los Angeles 2007 den Freitod, nachdem er sich zuletzt immer wirrer und bunter den Holocaust und die eigene Nichtseßhaftigkeit zu einer hanebüchenen Kunstideologie verbrämte hatte.

Keine Illusionen über den Wirkungsgrad der Kunst

Auerbachs Eltern wurden dagegen tatsächlich Opfer der rassistischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Aber der Künstler möchte sich dieses Stigma nicht aufzwingen lassen. Zugunsten seines Werks relativiert er den Holocaust: „Ich bin nicht sicher, ob ich mir des Bösen eher bewußt wurde als jedes Kind, das ein Märchen liest über die böse Stiefmutter in Schneewittchen, deren Füße in glühende Schuhe gesteckt wurden, wie sie das in der deutschen Fassung tun (…) Ich nehme an, es gibt nur sehr wenig Leute, die nicht im frühen Alter eine Art von Verlust und Gefahr erleben. Nimmt es keine reale Form an, nimmt es eine pantastische an.“

So schafft Frank Auerbach unentwegt weiter, wohlwissend, daß Erfolg und Scheitern sich jeweils am Bemühen um das einzelne Bild kundtun. „Einsetzen kann ich mich für das, was ich im Atelier tue. Da spüre ich das Leben erst.“ Über die abgründigen Seiten des menschlichen Zusammenlebens meint er „Obwohl die Menschen versuchen, sich so anständig wie möglich zu benehmen, der eigentliche Instinkt ist: Zurück zur Staffelei und Leinwand, zurück zu den Pinseln, um diese Krise zu überwinden.“

Über den Wirkungsgrad der Kunst macht er sich dabei keine Illusionen, wenn er ihn mit einer Tautologie umschreibt: „Leute, die für Malerei empfänglich sind, gehören einem besonderen Kreis von Leuten an, die auf Malerei ansprechen. Ich glaube nicht, daß ihnen eine andere zur Klassifizierung geeignete Eigenschaft gemeinsam ist.“

Die Auerbach-Ausstellung ist bis zum 13. September im Kunstmuseum Bonn, Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 2, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Telefon: 0228 / 77-62 60

 www.kunstmuseum-bonn.de