© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

Dein Freund und Lauscher
NSA-Affäre: Die Bundesregierung reagiert zunehmend hilflos auf die ständig neuen Enthüllungen über amerikanische Abhöraktionen
Christian Schreiber

Edward Snowden geht es gut. Nichts deutet mehr auf den blassen jungen Mann hin, der vor zwei Jahren sichtlich angespannt und mit brüchiger Stimme ein Interview gab. Der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA brachte im Sommer 2013 den größten Spionagefall der vergangenen Jahrzehnte ins Rollen. Der Amerikaner mußte aus seiner Heimat fliehen und in Rußland Asyl beantragen. Wo er sich heute aufhält, wird gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Aber virtuell ist der 32jährige äußerst präsent. Er spricht per Videoübertragung auf Konferenzen und an Universitäten. Snowden trat beim Internetfestival SXSW in Texas auf, an der ehrwürdigen Princeton-Universität, bei der Computer-Messse Cebit in Hannover und bei der Verleihung des  Henri-Nannen-Preises in Hamburg. Bei dieser Gelegenheit schwebte Snowdens   Bild unter dem Applaus des Pubikums als digitale Projektion durch den Raum. 

Politiker fordern Straffreiheit für Snowden

Aber es gibt auch Momente, in denen Snowden zweifelt. „Man fragt sich schon, ob es sich gelohnt hat, unser behütetes Leben aufzugeben“, schrieb er in einer Kolumne für die New York Times. Aber alleine, daß er als Interview-partner für einheimische Medien zur Verfügung steht, zeigt, daß sich etwas verändert hat: „Ich war nie so dankbar, danebengelegen zu haben.“ Es habe eine Machtverschiebung gegeben. Die Angst vor Terrorangriffen werde nicht mehr ohne weiteres als Begründung für Überwachung akzeptiert, seit bekannt sei, wie umfassend und massiv die Geheimdienste den Internetverkehr abhörten.

Die zeitweilige Einschränkung der NSA-Telefondatensammlung Anfang Juni war ein Erfolg für Snowden – schließlich war es das erste Programm, das die von ihm gesammelten Dokumente enthüllten. „Nichts davon wäre ohne Snowden passiert“,  analysiert der New Yorker. Und noch etwas hat sich verändert. Wurde der Computerexperte in den ersten Monaten wie ein Hochverräter behandelt, dem sogar ranghohe amerikanische Politiker die Todesstrafe wünschten, so gibt es mittlerweile Kommentatoren, die eine straffreie Rückkehr Snowdens in seine Heimat fordern. 

In Europa und vor allem in Deutschland ist die Diskussion zu einem Politikum geworden. Mittlerweile steht fest, daß Spitzenpolitiker und Firmen seit Jahrzehnten systematisch ausspioniert wurden. Kanzlerin Angela Merkel beschwerte sich beim amerikanischen Präsidenten Barack Obama empört darüber, als sich herausstellte, daß auch ihr Mobiltelefon angezapft wurde. Ansonsten bemüht sich die Regierung aber darum, den transatlantischen Partner nicht zu brüskieren, zumal es bisher nicht vollständig geklärt ist, inwieweit auch der Bundesnachrichtendienst (BND) Amtshilfe leistete.

„Längst hat die Dimension des Abhörskandals alles Vorherige gesprengt, was an politischen Affären in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Der Watergate-Skandal oder die Guillaume-Affäre erscheinen wie laue Lüftchen, wenn man die Technik gewordene Überwachungsideologie betrachtet, die hinter den Geheimdienstprogrammen steht“, urteilte die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Neue Dokumente der Enthüllungsplattform Wikileaks lassen nun den Schluß zu, daß der amerikanische Geheimdienst deutsche Spitzenpolitiker schon früher als bisher bekannt belauschte. Bereits unter Bundeskanzler Helmut Kohl sollen Regierungsmitglieder bespitzelt worden sein. Es wurden Dokumente veröffentlicht, wonach 69 Telefonanschlüsse von deutschen Regierungsmitgliedern und deren Mitarbeitern abgehört worden seien. Unter anderem fanden sich die Telefonnummern von ehemaligen Kanzlern wie Kohl oder Gerhard Schröder, aber auch die Mobilfunknummer von Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla. Wie die Bild am Sonntag berichtete, soll Schröder sogar nach Ende seiner Kanzlerschaft ausspioniert worden sein. Anlaß seien sein Wechsel in den Aufsichtsrat des vom russischen Gazprom-Konzern dominierten Gas-Pipeline-Konsortiums Nord Stream und seine Freundschaft zu Rußlands Präsident Wladimir Putin gewesen sein. 

„Das Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. Wir sind Verbündete, aber so ein Bündnis kann nur auf Vertrauen aufgebaut sein“, hatte Merkel nach den ersten Enthüllungen in der NSA-Affäre gesagt. Mittlerweile steht fest, daß die NSA alleine auf europäischem Terrain mehr als 40.000 rechtswidrige Abhöraktionen getätigt hat. Die Konsequenzen sind allerdings gleich Null. Zwischendurch entbrannte eine hitzige Debatte, wie es um den Zustand der deutschen Geheimdienste bestellt sei. „Im Zusammenhang mit der Kooperation der beiden Geheimdienste seien „technische und organisatorische Defizite beim BND identifiziert“, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert lapidar.

Pofalla gibt sich zerknirscht

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, daß ausgerechnet der heutige Bahn-Manager Ronald Pofalla (CDU) Anfang Juni vor dem NSA-Untersuchungsausschuß des Bundestages aussagen mußte. Denn es war der damalige Kanzleramtsminister, der vor rund zwei Jahren deutliche Worte der Beruhigung  gegen die Berichte über die Datenausspähung der NSA mit Hilfe des BND setzte. „Die NSA unternimmt nichts, um deutsche Interessen zu schädigen.“ Die Vorwürfe der Totalausspähung seien „vom Tisch“, lautete Pofallas Kernaussage bei seinem damaligen Auftritt. Mittlerweile sieht auch der Ex-Politiker die Sachlage anders. Ob es damit zusammenhängt, daß sich seine Handynummer auf einer Liste befindet, wollte er nicht sagen. Er habe die Affäre aber nie für beendet erklärt, es sei ihm lediglich darum gegangen, daß die Vereinigten Staaten keinen Cyber-Krieg gegen Deutschland führen würden. Die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst sei für Deutschlands Sicherheit unverzichtbar, sagte Pofalla und warnte, diese Kooperation durch detailreiche Medienberichte über die Nachrichtendienstwelt aufs Spiel zu setzen. Letztlich gehe es den Vereinigten Staaten doch nur darum, Terroranschläge in Europa zu verhindern. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuß, Hans-Christian Ströbele, spricht dagegen von „einem Großen Lauschangriff“ auf die Bundesregierung und empfindet es als skandalös, daß Pofalla auch noch Medienkritik übe. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb kürzlich von einer „antrainierten Hilflosigkeit“ im Umgang mit Abhöraktionen. Die Zeit berichtete unterdessen, daß die zuständigen Behörden schon vor fünfzehn Jahren auf die Abhörantennen auf den Botschaften „verbündeter“ Staaten hingewiesen hätten.

Passiert sei gar nichts, viel zu groß sei die Angst, die Amerikaner könnten „ihre Hilfe einstellen“. Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) reagierte auf die neuen Vorwürfe mit demonstrativer Gelassenheit: „Man bekommt ein ironisches Verhältnis dazu“,  sagt er. Andere Politiker in Berlin regierten längst mit blankem Zynismus auf die immer neuen Enthüllungen. Früher hätten die Russen mitgehört, und nun seien es eben die Amis. Abgehört werde halt immer. 

Angesicht dieser Gleichgültigkeit platzte Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung der Kragen: „Die deutschen Staatsgewalten scheinen entschlossen zu sein, sich von keiner Straftat und Grundrechtsverletzung der amerikanischen Behörden vom weiteren Nichtstun abhalten zu lassen. Die Ergebenheit gegenüber den amerikanischen Behörden hat das Stadium unverständlicher Gutmütigkeit längst hinter sich gelassen und das Stadium der sträflichen Liederlichkeit erreicht“, schrieb er in einem Kommentar.

In der Opposition wächst der Unmut

Die Opposition sieht mittlerweile die Grenzen des Erträglichen überschritten: „Bundeskanzlerin Angela Merkel muß aufhören, das Ausmaß der NSA-Spionage zu vertuschen und zu verharmlosen“, sagte Martina Renner, die für die Linkspartei im Untersuchungsausschuß sitzt. Die Linke vermutet, daß der Bundesnachrichtendienst viel weiter involviert ist, als bisher bekannt. Mehr denn je dränge sich überdies die Frage auf, ob und inwieweit der Bundesnachrichtendienst Hilfestellung für die NSA beim Ausspionieren der Bundesregierung geleistet habe, so Rrenner.

Zwei Jahre nach Bekanntwerden der Spionageaffäre sucht die Bundesrepublik nach ihrer Rolle bei der Aufarbeitung. Noch vor der Sommerpause wurde der amerikanische Botschafter ins Kanzleramt „eingeladen“. In Berlin wurde dies als bemerkenswerter Vorgang registriert. „Es herrscht Krisenstimmung“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa einen Regierungsbeamten. 



National Security Agency

Mit rund 40.000 Mitarbeitern ist die National Security Agency (NSA) der größte Geheimdienst der Vereinigten Staaten. Zudem arbeiten zahlreiche Privatfirmen für die in Fort Meade im Bundesstaat Maryland beheimatete Behörde, die mehrere Zweigstellen im In- und Ausland unterhält. Auch in Deutschland ist die 1952 gegründete NSA mit mindestens 200 Agenten aktiv. Eine enge Zusammenarbeit besteht mit den Diensten der „Five-Eyes-Allianz“, der neben den Vereinigten Staaten auch Großbritannien, Kanada, Neuseeland und Australien angehören. Während der Geheimdienst in Zeiten des Kalten Krieges vor allem für das Abhören des Funkverkehrs zuständig war, liegt der Schwerpunkt mittlerweile auf der Überwachung der elektronischen Kommunikation einschließlich des Internets. Die NSA verfügt über einen Etat von gut zehn Milliarden Dollar. Zuletzt mußte der Geheimdienst allerdings eine Niederlage einstecken. Weil sich der Senat nicht auf  darauf einigen konnte, die Überwachungsprogramme der NSA zu verlängern, mußte diese Anfang Juni die Vorratsspeicherung von Telefondaten amerikanischer Bürger für einige Tage aussetzen.