© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31_32/15 / 24. Juli 2015

„Wir kennen das Risiko“
Neue Partei: Der ehemalige AfD-Vorsitzende Bernd Lucke und Getreue haben die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ gegründet / Beobachter sind skeptisch
Hinrich Rohbohm

Die Versammlung findet hinter verschlossenen Türen statt. 70 Anhänger des „Weckrufs“ sind am Sonntag nach Kassel gekommen, um nach ihrem Austritt aus der AfD eine neue Partei zu gründen. Die Luft im Keller des Hotels ist stickig, die Temperaturen draußen sommerlich. Im Erdgeschoß hinter der Rezeption und direkt neben der Keller-treppe sitzen zwei Polizeibeamte. Sie tragen Schutzwesten.

Doch Attacken oder Proteste aus der linksextremen Szene bleiben ebenso aus wie wüste Beschimpfungen unter den Mitgliedern, die auf dem gerade erst zwei Wochen zurückliegenden AfD-Parteitag in Essen nicht unüblich waren. „Es herrschte während der gesamten Tagung eine ungewöhnlich große Harmonie unter den Teilnehmern“, sagt Bernd Lucke der JF und strahlt. Der 52jährige Ex-AfD-Chef ist der neue Vorsitzende von „ALFA“, wie sich die frisch gegründete Partei jetzt nennt. Die vier Buchstaben stehen für „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“, den die Gründer bis zur Mittagspause für sich gefunden haben. Ein Name, um den es noch Ärger geben könnte. Denn auch die „Aktion Lebensrecht für alle“ benutzt diese Initialen, wenngleich nicht ausschließlich in Großbuchstaben. Der Verband prüft bereits rechtliche Schritte, ebenso die Deutschlandzentrale der italienischen Autoschmiede Alfa Romeo.

Einige Mitglieder warnen, wollen die Partei nicht vorschnell gründen. Andere möchten sofort loslegen, die Gunst der Stunde angesichts der aktuellen Grexit-Debatte nutzen. Doch die Debatten laufen sachlich ab, Buh-Rufe und Geschrei wie in Essen sind durch die Türen nicht zu hören. Auch die Wahlen verlaufen weitestgehend reibungslos. „Lediglich bei den Stellvertretern gab es Kampfabstimmungen“, erklärt Lucke. Hier setzten sich der baden-württembergische Europaabgeordnete Bernd Kölmel sowie Gunther Nickel aus Hessen und Reiner Rohlje aus Nordrhein-Westfalen durch. Als Generalsekretärin wird die Europaabgeordnete Ulrike Trebesius aus Schleswig-Holstein fungieren.

Auf die Minute genau öffnen sich um 18 Uhr die Türen; exakt zu der Zeit, die von den Organisatoren für eine Pressekonferenz angekündigt worden war. Drinnen bietet sich ein Bild demonstrativer Geschlossenheit. Die neuen Mitglieder haben sich von ihren Plätzen erhoben, klatschen. „Alfa, Alfa“, rufen sie im Rhythmus. Die Partei wolle zu den Idealen der ursprünglichen AfD zurückkehren, dabei begangene Fehler nun vermeiden. Eine Folge: höhere Hürden bei der Neuaufnahme von Parteimitgliedern. Diese sollen zunächst ein Probejahr ohne Stimmrecht durchlaufen, ehe der Vorstand über eine endgültige Aufnahme befindet.

Zudem sieht die Satzung einen Katalog von Regelungen vor, um Personen mit  radikaler Gesinnung fernzuhalten. Auch „Putin-Versteher“ haben schlechte Karten: Mitglied kann nur werden, wer sich zu Nato, EU sowie Westbindung Deutschlands bekennt. Neben Kritik an der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung will sich die ALFA der technologiefeindlichen Ideologie der Grünen entgegenstellen. Merkels Energiewende ist der neuen Partei ebenfalls ein Dorn im Auge. In der Bildungspolitik setzen die Ex-AfDler auf das dreigliedrige Schulwesen, bei den Hochschulen auf die Rückkehr zu den in Deutschland bewährten Abschlüssen. Politisch Verfolgte sollen aufgenommen, Scheinasylanten hingegen zügig ausgewiesen werden. Darüber hinaus favorisiert die Partei das kanadische Zuwanderungsmodell. Ein Bekenntnis zur Sozialen Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards fordert sie ebenso wie ein Umdenken hin zu einer familienfreundlicheren Gesellschaft.

Fraglich ist, ob sich die Partei etablieren kann. Noch nie hat es nach 1949 eine Parteiabspaltung geschafft, die Fünfprozenthürde zu überspringen. „Diese Partei ist eine Kopfgeburt“, ihr fehle die breite gesellschaftliche Basis, meinte etwa der Düsseldorfer Parteienforscher Ulrich von Alemann im Fernsehsender n-tv. Sein Kollege Tim Spier von der Universität Siegen schätzt, daß sich nur eine der beiden Parteien dauerhaft etablieren wird, wobei noch nicht absehbar sei, welche. Die AfD habe augenblicklich die besseren Aussichten, so Spier gegenüber der FAZ.

„Wir kennen das Risiko, gehen die Aufgabe aber trotzdem mit Optimismus an“, sagt Lucke jedenfalls neu motiviert.