© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Knapp daneben
Wir sind schuldig, schuldig, schuldig
Karl Heinzen

Immer mehr Arbeitnehmer machen Überstunden ohne Ende. Sie treibt aber nicht die Gier nach Geld oder die Angst, den Job zu verlieren. Sie fürchten nur, den moralischen Versuchungen der Freizeit nicht gewachsen zu sein. Im Beruf müssen sie sich zwar auch wie Charakterschweine benehmen. Sie drangsalieren Mitarbeiter, tricksen Geschäftspartner aus oder betrügen Kunden. All dies tun sie aber nicht aus Egoismus, sondern im höheren Interesse des Unternehmens.

Im Privatleben jedoch machen sie sich unablässig persönlich schuldig. Schon wenn sie mit dem Auto nach Hause fahren, treiben sie Raubbau an den knappen Ressourcen unseres Planeten und belasten das Klima. Es gab unbeschwerte Zeiten, in denen sie einfach nur Spaß am Konsum hatten. Heute haben sie das Gefühl, daß die Produkte sie anschreien und ihnen vom unermeßlichen Leid der vielen erzählen, die an ihrer Herstellung beteiligt waren.

Wer freiwillig tiefer in die Tasche greift, leistet ein meßbares Opfer für eine bessere Welt.

In besondere Gewissensnöte geraten sie, wenn sie zum Smartphone greifen. Alle Welt regt sich über Schußwaffen auf. Schußwaffen muß man aber erst einmal produzieren, bevor man mit ihnen Leute umbringen kann. Smartphones hingegen fordern schon Menschenleben, bevor sie überhaupt zusammengebaut werden. An Smartphones klebt Blut, das Blut der Opfer von Bürgerkriegen, die afrikanische Kriegsherren mit der Förderung seltener Rohstoffe auf ihrem Territorium finanzieren.

Nicht mehr zu telefonieren ist jedoch keine Alternative, weil es dann auch weniger Möglichkeiten gäbe, seine Empörung kundzutun. Eine bessere Idee hatte der Niederländer Bas van Abel. Er bietet „Fairphones“ an, die zum Großteil Rohstoffe aus konfliktfreien Regionen verwenden. Ganz sicher ist van Abel zwar nicht, daß es über die ganze Produktions- und Lieferkette hinweg fair zugeht. Mit ihren 38 Mitarbeitern kann seine kleine Firma schließlich nicht überall auf der Welt nach dem Rechten schauen. Der Preis stimmt aber, denn er liegt über jenem der unfairen Konkurrenzprodukte. Mehr ist auch nicht nötig, um das Gewissen zu beruhigen. Wer freiwillig tiefer in die Tasche greift, leistet ein meßbares Opfer für eine bessere Welt.