© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Ein außenpolitischer Berater auf Distanz
Der Widerstandskämpfer Albrecht Haushofer
Klaus Hornung

In der Nacht des 23. April 1945, die Sowjetarmee kämpfte bereits in Berlin, wurden im Gefängnis an der Lehrter Straße 14 Häftlinge aus den Zellen geholt, angeblich um in die Freiheit entlassen zu werden. Vor dem Gefängnistor wurden sie von SS-Wachen ermordet. Unter ihnen war auch der Professor an der Berliner Universität Albrecht Haushofer. Am 12. Mai wurde er inmitten der Trümmer gefunden, bei sich ein Heft mit Gedichten, die 1946 unter dem Titel „Moabiter Sonette“ erschienen als Zeugnis des Geistes, der den Toten bewegt hatte (JF 18/15).

Albrecht Haushofer (1903–1945) war der Sohn einer angesehenen bayerischen Familie. Der Vater Karl Haushofer war Offizier im Ersten Weltkrieg gewesen und wurde 1920 als bekannter politischer Geograph an die Universität München berufen. Auch Albrecht zeigte früh eine vielfältige Begabung. Nach dem Abitur begann er in den Spuren des Vaters das Studium der Geographie und Geschichte in München. 1929 wurde er Generalsekretär der deutschen Gesellschaft für Erdkunde in Berlin und als Herausgeber ihrer Zeitschrift rasch bekannt. Für den konservativen Intellektuellen wurde die Überwindung des Versailler Vertrages und der französischen Hegemonie das Ziel einer selbstbewußten deutschen Außenpolitik, deren Angelpunkt er in der Verständigung mit England sah. Ebenso stand er in Distanz zur Republik. 

In der Biographie Albrecht Haushofers stellt die Begegnung mit Rudolf Heß einen tragischen Einschnitt dar. Der in Ägypten geborene „Auslandsdeutsche“ Heß war im Ersten Weltkrieg Adjutant des Vaters gewesen und ihm dann auch als Assistent an die Universität gefolgt. Die Freundschaft mit dem Vater dauerte fort, als Heß „Stellvertreter des Führers“ der NS-Partei und 1933 Reichsminister geworden war. Da die Mutter der beiden Haushofer-Söhne aus einer jüdischen Familie stammte, stellte Heß die Familie Haushofer gegen antisemitische Angriffe aus der Partei unter seinen persönlichen Schutz. 

Wohl auch durch Heß’ Vermittlung wurde Albrecht 1933 Dozent für politische Geographie an der Berliner Hochschule für Politik, ohne sich jedoch der NS-Ideologie anzupassen oder Parteimitglied zu werden. Er blieb in Distanz zum NS-Gesinnungsstaat, übernahm jedoch eine Beraterfunktion für Joa-chim von Ribbentrop, Hitlers außenpolitischen Beauftragten, der 1936 Botschafter in London und 1938 Reichsaußenminister wurde. Für Albrecht Haushofer blieb die Verständigung mit England die zentrale Aufgabe der deutschen Politik. 

Zwischen 1934 und 1938 konnte er bei zahlreichen Reisen nach Großbritannien Verbindungen zum politischen Establishment knüpfen und Ribbentrop darüber berichten. Seit der Konferenz in München im September 1938 verschlechterten sich jedoch die deutsch-britischen Beziehungen stetig, und durch Hitlers Griff nach Prag im März 1939 gerieten sie auf den Nullpunkt. In seiner letzten Denkschrift für Ribbentrop im Frühjahr 1939 ließ Haushofer keinen Zweifel, daß die Engländer im Vertrauen auf ein Bündnis mit den USA den Krieg nicht scheuen würden, eine Warnung, die der Außenminister mit der Bemerkung abtat, das sei doch nur „Secret-Service-Propaganda“. 

Den Hitler-Stalin-Pakt am 23. August 1939 erkannte Albrecht Haushofer hellsichtig als Vorstufe einer sowjetischen Offensive gegen Europa, an deren Ende die Zerstörung Deutschlands stehen würde. Der Kriegsbeginn im September 1939 wurde für Albrecht Haushofers Verhältnis zum Regime zu einem entscheidenen Einschnitt. In der Folgezeit begann er die Verbindung mit konservativen Vertretern der Opposition wie Ulrich von Hassell, Johannes Popitz (Seite 21) und später auch mit Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg.

Haushofer wußte über Heß’ Kontakte nach England

Nicht ohne den Einfluß Albrecht Haushofers beschäftigte sich seit dem Sommer 1940 auch Heß mit der Überlegung, mit England in letzter Minute doch noch zu einer Verständigung zu kommen, zumal Hitlers Angriff auf die Sowjetunion bevorstand. Heß meinte, in dem Herzog von Hamilton eine geeignete Persönlichkeit für seine Kontaktaufnahme gefunden zu haben, für Haushofer eine völlige Fehleinschätzung des politischen Einflusses des Lords. Albrecht Haushofer war Heß dennoch mit der Formulierung eines getarnten Schreibens an Hamilton behilflich, das ohne Antwort blieb. 

Von Heß’ Alleinflug nach Schottland am 10. Mai 1941 hatte Haushofer keine Kenntnis, und er konnte nach seiner Verhaftung am 12. Mai den Verdacht seiner Mitwisserschaft zerstreuen. Es gelang ihm jedoch, seine Kontakte zur Opposition und ein Gespräch mit dem Schweizer Diplomaten Carl Jacob Burckhardt in Genf Ende April 1941 vor dem Regime zu verbergen. Im Sommer 1941 wurde er aus der Haft entlassen und konnte auch seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen. Er stand fortan jedoch als politisch Verdächtiger unter Gestapo-Beobachtung.

Der Schlußakt dieses Lebens begann am 20. Juli 1944. Durch die verhafteten Oppositionellen erfuhr das Regime von Haushofers Kontakten. Ende Juli sollte auch er verhaftet werden, konnte zunächst aber nach Bayern fliehen. Am 7. Dezember wurde er aber von der Gestapo aufgespürt und nach Berlin gebracht. Noch schwankte die Waage seines Schicksals, als er im Februar von den Hand- und Fußfesseln befreit wurde und Leseerlaubnis erhielt und seine letzten Wochen in der Einzelzelle zur Arbeit an den Sonetten nutzen konnte. War Himmlers Einfluß im Spiel, um ihn bei Kapitulationsverhandlungen einsetzen zu können? Das Zeichen erfüllte sich nicht.