© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Symbol des Widerstands
Eine neue Ordnung schaffen: Zur Erinnerung an die von Josef Wirmer entworfene Fahne des 20. Juli
Karlheinz Weißmann

Ein Symbol verschwindet niemals spurlos und selten ganz. Es mag umgeformt, falsch verstanden oder in seiner Bedeutung beschnitten werden; wenn sein Charisma stark genug ist, wird es jede Mißhandlung überstehen und eine erstaunliche Regenerationsfähigkeit an den Tag legen. Diese Feststellung gilt auch für die Fahne des 20. Juli, „Fahne des Geheimen Deutschland“ oder „Wirmer-Fahne“.

Die letzte Bezeichnung verweist auf ihren Urheber, den Rechtsanwalt Josef Wirmer, der als gläubiger Katholik in den Widerstand gegen das NS-Regime ging. Wirmer war für den Fall eines erfolgreichen Umsturzes als Justizminister in der Regierung vorgesehen, die Carl Goerdeler bilden sollte. Er beschäftigte sich in den Jahren 1943/44 aber auch mit der Frage, wie die Flagge des neuen Deutschlands aussehen sollte. Wirmer verwarf die Farben des Bismarckreichs ebenso wie die des Weimarer Staates. Das entsprach der politischen Programmatik der christlichen und auch der konservativ- oder nationalrevolutionären Gruppen der Opposition, die kein Zurück in der Geschichte, sondern eine „neue Ordnung“ wollten.

Wirmers Plan sah eine Flagge vor, die ein schwarzes, golden eingefaßtes Kreuz mit leicht zum Mast verschobenem Querbalken auf rotem Grund zeigte. Der Entwurf vereinigte die Farben Schwarz-Rot-Gold in der heraldisch richtigen Weise (trennte also „Farbe“ und „Metall“), vermied aber die Erinnerung an die vor allem im Offizierskorps verachtete Trikolore und brachte im lateinischen Kreuz die Zugehörigkeit zur christlichen Völkergemeinschaft zum Ausdruck.

So ansprechend der Entwurf unter ästhetischen Gesichtspunkten gelungen war, seine entscheidenden Nachteile blieben der Mangel an nationaler Tradition in der Gestaltung und die allzu deutliche Nähe zu den skandinavischen Flaggen. Wahrscheinlich deshalb korrigierte Wirmer das Fahnenbild noch einmal, indem er die goldene Einfassung des Kreuzes durch eine starke schwarze Linie vom roten Untergrund schied und auf diese Weise eine Assoziation mit dem Balkenkreuz in den deutschen Kriegsflaggen ermöglichte.

Ungewöhnlich war der Entwurf Wirmers insofern, als die meisten Gruppen der Opposition, wenn sie sich überhaupt mit der Symbolfrage befaßten, auf Parteisymbole zurückgriffen: das Rot, der Dreipfeil und die geballte Faust der Linken, das Weiß, das Schwarz oder das Schwarz-Weiß-Rot der Rechten. Auffallend ist immerhin, daß es praktisch keine Fraktion gab, die sich eine Rückkehr zu Schwarz-Rot-Gold vorstellen konnte. Das hatte mit Vorbehalten gegenüber der parlamentarischen Demokratie im allgemeinen und der Erinnerung an das Scheitern der Republik im besonderen zu tun. Ob die Kreuzfahne Wirmers als Nationalsymbol tauglich gewesen wäre, muß offenbleiben.

Schließlich scheiterte der Aufstandsversuch des 20. Juli 1944, und unter den Gefallenen der Erhebung war auch Josef Wirmer. Vergessen war seine Idee aber nicht. Es gab eine Minderheit aus den Reihen der Unionsparteien, die im Parlamentarischen Rat die Einführung der Fahne des 20. Juli als Nationalflagge vorschlug. Aber die entsprechenden Pläne fanden keine breitere Zustimmung.

Eine Erinnerung an Wirmers Entwurf blieb allerdings erhalten in den Organisationsemblemen von CDU, Junger Union und Jungen Liberalen in den fünfziger und sechziger Jahren, die alle das Muster oder eine Variante (die JU: rotes, golden eingefaßtes Kreuz auf schwarzem Grund) mit dem Adler kombinierten. Diese martialisch wirkende Zeichensprache galt aber Mitte der sechziger Jahre als nicht mehr zeitgemäß und wurde zugunsten eines modernen Designs abgeschafft.

Für Jahrzehnte war die Fahne des 20. Juli nur noch einem kleinen Kreis von Spezialisten bekannt, spielte aber im öffentlichen Bewußtsein keine Rolle. Ein Grund dafür war die Marginalität des deutschen Widerstands im Geschichtsbild der meisten, ein anderer dessen Erfolglosigkeit, die keine Durchsetzung einer neuen Ikonographie erlaubt hatte, ein dritter die Dominanz anderer Symbole im politischen Raum.

Erst Anfang der 1990er Jahre änderte sich das, als ausgerechnet der ehemalige RAF-Terrorist und dann zum Nationalsozialismus konvertierte Horst Mahler für sein „Deutsches Kolleg“ die Fahne des 20. Juli in Anspruch nahm. Das blieb aber eine Episode, ähnlich wie der Rückgriff der islamkritischen German Defence League (schwarzer Grund, rot gefaßtes, gelbes Kreuz, gemäß der Farbenfolge der Nationalflagge). Ob man dasselbe auch für die Verwendung bei den Pegida-Demonstrationen sagen kann, ist noch nicht geklärt. Fest steht nur, daß bei den Demonstrationen in Dresden und Leipzig die Fahne für erhebliche Irritationen sorgte. Das hatte seine Ursache anfangs darin, daß sie kaum jemand zu deuten wußte, dann folgte die Verblüffung über den Bezug auf den NS-Widerstand und schließlich die politisch-korrekte Empörung der Berichterstatter über die „Anmaßung“ derjenigen, die sich in anderer als der üblichen Weise auf den Kampf gegen Hitler und den Nationalsozialismus beriefen.

Mag Pegida seinen Höhepunkt überschritten haben, die Geschichte der Fahne des 20. Juli wird damit nicht zu Ende sein. Symbole erfüllen auf andere Weise als die objektive Organisation eines Staates, einer Partei, einer Bewegung die wichtige Aufgabe der Integration von vielen zur Einheit.

Der große Staatsrechtslehrer Rudolf Smend hat deshalb eine sachliche und „extensive“ Integration von einer gefühlsmäßigen und „intensiven“ unterschieden. Bemerkenswerterweise ist die „intensive“ Integration mittels Symbol „elastischer“ und bewirkt sogar in modernen Massengesellschaften einen Zusammenhalt, der argumentativ nicht zu vermitteln ist. Die Bedeutung der Elastizität erklärt weiter, warum man den Faktor Eindeutigkeit für die Wirkung politischer Symbole nicht überschätzen sollte. Eindeutigkeit ist nur im Hinblick auf die äußere Gestalt eines politischen Symbols von Belang, um dessen Wiedererkennungswert zu sichern, aber er spielt eine geringe Rolle in bezug auf die Deutung und, was noch wichtiger ist: in bezug auf die affektive Kraft, die von ihm ausgeht.