© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

Krieg an zwei Fronten
Eurokrise: Bei den Verhandlungen in Brüssel hatte Merkel nicht nur Griechenland im Blick, sondern auch die eigenen Abgeordneten
Paul Rosen

Würde es das Orakel von Delphi noch geben, die Pythia hätte Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) weissagen können, daß sie im europäischen Streit um die Hellas-Hilfen verlieren würden. Zu stark waren die Truppen von den Gestaden des Mittelmeeres, die unter dem Schutz von Hermes, dem Gott der Diebe, zu stehen schienen. Die Nordmänner und -frauen waren ohne Chance.

Wie groß die innen- und außenpolitische Verzweiflung in Berlin gewesen sein muß, wird an Schäubles doppeltem Tabubruch deutlich, den „Grexit“ – also das Verlassen Griechenlands der Eurozone – wenigstens für fünf Jahre hinzunehmen und außerdem einen Schuldenschnitt in Erwägung zu ziehen. „Der Vorschlag hat Europa an den Rand der Spaltung gebracht“, empörte sich SPD-Haushälter Carsten Schneider. Fraktionsvize Axel Schäfer (SPD) vertrat sogar die Ansicht, „Europapartei CDU is over“ und spielte damit auf Schäubles Äußerung in Richtung Griechenland an, dessen Regierung er bescheinigt hatte: „Game is over.“ So weit ist es natürlich noch nicht. 

Treuhandfonds mit zweifelhaftem Wert

Die deutsche Regierung führte ihren Euro-Krieg in zwei Richtungen: Einerseits sollten die griechischen Forderungen klein und andererseits die eigenen Reihen ruhig gehalten werden. Das Ergebnis, ein drittes Hilfspaket bis zu 86 Milliarden Euro und ein aus Immobilien und Staatsfirmen bestehender Treuhandfonds mit einem „Zielwert“ von bis zu 50 Milliarden Euro, ist jedoch nicht einmal ein Pyrrhussieg, sondern eine totale Niederlage, auch wenn Merkel und Schäuble dies am Freitag in der Sondersitzung des Bundestages ganz anders verkaufen werden. Die Nachrichtenagentur dpa zitierte eine anonyme Wertung aus der Unionsfraktion: „Wir haben etwas in der Hand, nicht mehr nur Luftbuchungen. Es sind Gegenwerte da.“ 

Das Argument ist insofern nicht von der Hand zu weisen, als daß es bei der CDU- und CSU-Basis Wirkung erzielen könnte, während Fachleute müde lächelnd einwenden, wie denn Grundstücke in den Fonds eingebracht werden sollen, wenn Griechenland nicht einmal ein geordnetes Katasterwesen hat. Daher war in der Runde der Staats- und Regierungschefs auch vorgetragen worden, daß der Fonds mit maximal sieben Milliarden Euro gefüllt werden kann. Aber der Rat von Fachleuten wird in Berlin regelmäßig erst dann eingeholt, wenn es zu spät ist. Merkel jedenfalls ist sich ihrer Sache sicher, weil auch die letzten Hinterbänkler kapiert haben dürften, daß es längst um mehr geht als das dritte Hilfspaket: Die deutsch-französische Freundschaft schien zeitweilig erschüttert. Noch halten die Fundamente. Aber die Achse Paris-Rom-Athen, die in den Verhandlungen deutlich sichtbar wurde, wandte sich mächtig gegen Berlin, das nur Unterstützung von kleinen Nachbarn bekam. Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi verdeutlichte, daß sich die Südeuropäer durchgesetzt haben: „Italien will keinen Austritt Griechenlands aus dem Euro.“ Berlin gab nach, um die Freundschaft mit Frankreich nicht aufs Spiel zu setzen. CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder bemühte sogar die metapolitische Ebene: „Es war wichtig, daß Europa an diesem Montag nicht auseinandergefallen ist.“  

Daß es am Freitag im Bundestag eine Mehrheit für den Auftrag an die Bundesregierung geben wird, das dritte Griechenland-Paket zu verhandeln, ist ziemlich sicher. Von der Opposition sind die Grünen dafür. Die SPD ist komplett für die Hilfe, nachdem der zeitweise irrlichternde Vorsitzende Sigmar Gabriel („Wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen“) von seinen eigenen Genossen vom deutschnationalen wieder auf den sozialistisch-internationalen Weg gebracht wurde. Jetzt muß Gabriel auch Schäubles Grexit-Vorschlag schlecht finden, den er zuvor via Facebook als bekannt bezeichnet und damit Zustimmung hatte erkennen lassen. In den folgenden SPD-Gremiensitzungen wurde Gabriel klargemacht, daß für die Partei der Verbleib Griechenlands in der Eurozone Vorrang habe. 

Selbst eingefleischten Sozialdemokraten wird die Wendefreudigkeit ihres Vorsitzenden zuviel, gegen die CSU-Chef Horst Seehofer wie ein Fels in der Brandung zu wirken scheint. Doch in Wirklichkeit ist die CSU nur noch ein Sandhaufen, der von den Fluten des Meeres ständig neu geformt wird. Seehofer stimmte der Griechenland-Lösung zu. Nur die Ex-Minister Peter Ramsauer und Hans-Peter Friedrich, deren Karrieren beendet sind und die nichts mehr zu verlieren haben, widersprachen in einer Telefonkonferenz der CSU-Spitze.

In der CDU räusperte sich wieder nur Wolfgang Bosbach, der jedoch eine klare Mehrheit für die Kanzlerin ohne Stimmen der Opposition erwartet. Merkel erklärte dann auch selbstbewußt: „Nein, die Vertrauensfrage erwäge ich nicht zu stellen.“ Sie ist sich sicher, daß von den rund 100 Abgeordneten, die sich schon beim zweiten Griechenland-Paket mit kritischen Stimmen und Protokollerklärungen zur Abstimmung zu Wort meldeten, die meisten für das Hilfspaket stimmen werden. Denn einerseits hat man mit dem Treuhandfonds einen vermeintlichen Trumpf mit 50 Milliarden Euro in der Hand. Und anderseits sehen alle Umfragen die CDU/CSU bei 40 Prozent und 2017 sogar eine schwarz-grüne Koalition in Reichweite, womit man die ungeliebte SPD endlich los wäre. Merkel ist die einzige, die den Sieg sichern und die Mandate erhalten kann. Eine Ablehnung des Griechenland-Pakets durch die eigene Fraktion würde den Beginn des Endes ihrer Kanzlerschaft einläuten. Die Merkel-Rettung zählt daher mehr als alle Grundsätze, auch wenn allen Beteiligten klar sein dürfte, daß Griechenland auch mit dem dritten Paket nicht gerettet sein wird, weil das Land pleite, ein „failed state“ ist. 

Foto: Merkel, Frankreichs Präsident Hollande, Griechenlands Regierungschef Tsipras (v.l.n.r): Zerrüttet