© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/15 / 17. Juli 2015

„Ich glaube meiner Mutter“
War Oberst Graf Stauffenberg anders, als er heute dargestellt wird? Seine Witwe Nina widersprach den Historikern in manchem. Ihre gemeinsame Tochter Konstanze von Schulthess erinnert sich an sie
Moritz Schwarz

Frau von Schulthess, eigentlich geben Sie und Ihre Brüder keine Interviews.

Schulthess: Nein, so ist das nicht. Wir geben keine Interviews zu meinem Vater. 

Einer Ihrer Brüder erklärte das mir gegenüber einmal mit dem Satz: „Wir sind keine Berufshinterbliebenen.“

Schulthess: Wir sprechen ja jetzt über meine Mutter und mein Buch.

Darin betonen Sie, daß Ihre Mutter – was für etliche Frauen des 20. Juli gelte – kein ahnungsloses Dummchen zu Hause war, sondern sehr wohl Bescheid wußte.  

Schulthess: Tatsächlich war meine Mutter stets gleichberechtigte Partnerin meines Vaters. Sie wußte zwar keine Details – etwa, daß er die Bombe legen würde –, unterstützte ihn aber voll. Der falsche Dummchen-Eindruck entstand auch deshalb, weil sich die Frauen des 20. Juli nach dessen Scheitern zunächst selbst als Heimchen am Herd darstellen mußten, um nicht als Mitwisserinnen hingerichtet zu werden. Dabei spielte es für die Männer des 20. Juli eine große Rolle, zu Hause keine ahnungslosen, sondern Frauen zu haben, die sie moralisch unterstützten. Sonst hätten die meisten von ihnen das wohl gar nicht durchgehalten. Meine Mutter hat den Widerstand übrigens auch praktisch unterstützt, etwa indem sie für meinen Vater Papiere transportiert und sicherheitshalber verbrannt hat.       

Die letzte große 20. Juli-Verfilmung des deutschen Fernsehens – „Stauffenberg“, Titelrolle: Sebastian Koch – enthielt eine Szene, die Ihre Mutter sehr enttäuscht hat.

Schulthess: Sie wurde als Nörglerin dargestellt, die nicht hinter ihm steht. 

„Du bist mit mir verheiratet, nicht mit dem Reich. Es geht nur noch um Pflicht, Ehre und Moral, ich kann’s nicht mehr hören (...) Du bist genauso fanatisch wie die Nazis“, „nörgelt“ sie da unter anderem. 

Schulthess: Das hat sie sehr verletzt, denn das war genau das Gegenteil von dem, wie sie wirklich war. 

Warum hat die ARD sie falsch dargestellt?

Schulthess: Vermutlich aus Ahnungslosigkeit und der Annahme, so sei es publikumswirksamer.

Die Szene wirkt, als wäre die Figur Ihrer Mutter mißbraucht worden, um zeitgenössische Kritik an Ihrem Vater als Mann seiner Zeit und seines Standes – am Soldaten, „Männerbündler“ und Patrioten Stauffenberg – zu üben. Motto: Sie waren zwar gegen Hitler, aber doch nur Reaktionäre.

Schulthess: Ob der Autor der Szene tatsächlich so weit gedacht hat? Also, ich weiß nicht. Ich tippe eher auf die Gründe, die ich genannt habe.

Wenn Ihre Mutter selbständig hinter dem Widerstand gestanden hat, müssen sie und Ihr Vater die gleichen Werte geteilt haben. 

Schulthess: Das kann man so sagen. 

Welche Werte waren das? 

Schulthess: Das Gefühl für Recht, Gerechtigkeit und für Menschlichkeit.

Ihr Vater wollte „das Deutsche Reich retten“, wie er gesagt hat. Ging es Ihrer Mutter ebenfalls um Patriotismus?

Schulthess: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Außerdem zielt die Frage nach den Motiven meiner Eltern auf meinen Vater, und ich habe Ihnen gesagt, daß ich nicht über ihn spreche. 

Warum zielt die Frage auf Ihren Vater? Wenn Ihre Mutter gleichberechtigte Partnerin war, wird sie eine eigene Meinung gehabt haben. Die Frage zielt darauf, mehr über diese zu erfahren. 

Schulthess: Meine Mutter war sechzehn, als sie meinen Vater kennengelernt hat, mit zwanzig hat sie ihn geheiratet, ein Kind nach dem anderen bekommen und einen Haushalt geführt, in dem der Vater aus dienstlichen Gründen so gut wie nie anwesend war. Ich glaube nicht, daß sie sich da den ganzen Tag mit Politik beschäftigt hat.

Philipp von Boeselager und Ewald von Kleist, überlebende Teilnehmer des 20. Juli, nannten im Interview mit dieser Zeitung als Antrieb für ihr Handeln vor allem auch eine Bindung, die „heute nicht mehr üblich ist, damals aber eine große Rolle spielte, nämlich ein großes Attachement an mein Volk und mein Land“ (Kleist).  

Schulthess: Das galt, glaube ich, für alle Widerständler. Patriotismus hat heute ja leider so ein Geschmäckle. Was ich persönlich sehr schade finde, denn eigentlich ist er doch eine schöne Sache. Und es ist ein großer Unterschied zwischen Patriotismus und Nationalismus.

Wie sah Ihre Mutter die Kriege gegen Polen und Frankreich?

Schulthess: Das weiß ich nicht. 

Ihr Vater, der daran teilnahm, tat alles, damit Deutschland siegt. Ist nicht anzunehmen, daß Sie seinen Kampf unterstützte?

Schulthess: Darüber habe ich nie mit ihr gesprochen. Vermutlich war sie nicht begeistert: Allein mit den Kindern, der Mann in Gefahr. Wie soll sie das wohl gefunden haben?

Wie stand sie zum Soldatsein ihres Mannes?

Schulthess: Sie hat – lange vor dem Krieg – einen Berufsoffizier geheiratet,  natürlich stand sie zu seinem Beruf. Offizier, das war damals etwas sehr Ehrenwertes, was viele Männer waren – zumindest im Umfeld meiner Mutter.

Ihr Vater begrüßte bekanntlich zunächst die Wahl Hitlers zum Reichskanzler. Gilt das auch für Ihre Mutter?

Schulthess: Ich nehme es an, weiß es aber nicht. 

Warum nicht?

Schulthess: Ich war nicht dabei.

Haben Sie nie mit ihr darüber gesprochen? 

Schulthess: Nein. Außerdem muß man das aus der Zeit heraus betrachten. Sich etwa fragen, was denn die Alternative nach all dem Tohuwabohu in der Zeit davor war, die ja bekanntlich politisch nicht funktioniert hatte.

Was hat zum mutmaßlichen Meinungswechsel Ihrer Mutter über Hitler geführt? 

Schulthess: Etwa die „Kristallnacht“ und das ganze Schreierische der Nazis. 

Schreierisch waren sie von Anfang an. 

Schulthess: Ja. Jedenfalls war wohl bald klar, daß die neue Herrschaft doch nicht so großartig ist. 

Die Generation von heute würde Ihre Eltern – mit Blick auf die Zeit vor dem Widerstand – als Mitläufer bezeichnen. 

Schulthess: Das Wort gefällt mir nicht. Ich kann nichts damit anfangen. Mein Vater wurde auch nicht Soldat, weil er Hitler dienen wollte, sondern weil ihn der Beruf interessiert hat. Und ich höre eine solche Deutung auch nicht von seiten der heutigen Generation. 

Dann haben Sie vermutlich zum Beispiel unlängst nicht den ZDF-Mehrteiler „Auf der Suche nach Hitlers Volk“ gesehen?

Schulthess: Nein, ich wohne in der Schweiz. Aber ich habe selbst Kinder, die der heutigen Generation angehören. Ist man Mitläufer, nur weil es die eine oder andere Partei gibt und wir nichts dagegen unternehmen? Das ist wie das Wort: „Alle Deutschen waren Nazis!“ Viele ja. Aber alle? Das ist doch völlig übertrieben. Außerdem liegt es nicht jedem Menschen, sich politisch zu bekennen oder gar in den Widerstand zu gehen. Es gab viele Deutsche, die nicht mit Hitler einverstanden waren, denen aber die Konsequenz zum Widerstand fehlte. 

Ihre Mutter sagte, Ihr Vater habe sich bereits 1938 dem Widerstand angeschlossen. Stand der Forschung ist dagegen: 1942. 

Schulthess: Das halte ich für zu spät,  sein Onkel ist mindestens 1939 deshalb auf ihn zugekommen. Allerdings meinte mein Vater damals, Hitler nun nach dem siegreichen Polenfeldzug abzusetzen, würde das Volk nicht verstehen. Und gegen das Volk ginge es nicht. Meine Mutter hatte Aufzeichnungen meines Vaters, die das belegten, die aber nicht mehr erhalten sind, weil sie aus Angst vor der Gestapo vernichtet werden mußten.

Außerdem schildern Sie, Ihre Mutter habe den Historikern widersprochen, die Stauffenberg anfänglich als einen Bewunderer Hitlers darstellen.

Schulthess: Das hat sie sehr aufgebracht. So erzählte sie etwa eine Episode, die ihr selbst berichtet worden war, bei der mein Vater 1934 während einer Hetzrede des NS-Funktionärs Julius Streicher gegen die Juden demonstrativ den Saal verlassen habe, sowie von seiner Erschütterung über die antisemitischen Ausschreitungen 1938. Rückblickend sagte sie, spätestens seit 1935 ein Abrücken meines Vaters von der Politik Hitlers beobachtet zu haben. Obwohl er dessen politische Erfolge respektierte und sein anfängliches militärisches Gespür bewundert hatte. Nie aber habe er Hitler gemocht, ihn vielmehr einen Spießer genannt.

Wie sind diese Widersprüche zwischen der Forschung und Ihrer Mutter zu erklären?

Schulthess: Die Historiker wissen doch gerne alles besser als die Dabeigewesenen. Ich glaube meiner Mutter.

Das Attentat Ihres Vaters verfehlte Hitler, tötete aber die Generäle Günther Korten und Rudolf Schmundt sowie Oberst Heinz Brandt und den Stenographen Heinrich Berger. Hat Ihre Mutter später Kontakt mit deren Hinterbliebenen aufgenommen?

Schulthess: Nein, nicht daß ich wüßte.

Warum nicht?

Schulthess: Warum sollte sie?

Weil ihr Ehemann deren Ehemänner und Väter getötet hat.

Schulthess: Es war Krieg.

Im Krieg tötet man Feinde, nicht Kameraden. 

Schulthess: Es hat wohl die Falschen getroffen, ja. Es war ein Putsch, und da ist so etwas leider unvermeidlich.

Positionieren Sie Ihren Vater damit nicht im Widerspruch zur Wehrmacht? Tatsächlich hat er aber doch beansprucht, für Volk und Wehrmacht zu handeln.

Schulthess: Das hat er auch. Aber es war einkalkuliert, daß es weitere Opfer geben könnte. Daß ihm das schwerfiel, war offensichtlich. Warum hat er sonst vorher mit einem Priester gesprochen? Natürlich war das für ihn ein Thema. 

Darum die Frage: Wie ist Ihre Mutter mit dieser Schuld ihres Mannes umgegangen?

Schulthess: Ich sagte schon, ich weiß es nicht. 

Sie haben sie nie gefragt?

Schulthess: Nein. 

Ist das nicht eine Form der Verdrängung?

Schulthess: Nein, das glaube ich nicht. 

Hat Ihre Mutter geäußert, welche politischen Vorstellungen sie für Deutschland bei einem Sieg der Erhebung gehabt hätte?

Schulthess: Das ist bekannt, da gab es Pläne.

Was aber dachte Ihre Mutter?

Schulthess: Ich glaube nicht, daß sie da von den Vorstellungen der Männer abwich. Sie war politisch zeit ihres Lebens eher auf der konservativen Seite. 

Hat Ihre Mutter nach dem Krieg unter dem deutschen Schicksal gelitten? Stichwort: Vertreibung und Teilung.

Schulthess: Natürlich, das fanden wir alle furchtbar.

Wie stand sie der Europäisierung und Multikulturalisierung Deutschlands gegenüber? 

Schulthess: Sehr offen. 

Wie ist das zu erklären?

Schulthess: Warum nicht? 

Ziel des 20. Juli war unter anderem die Rettung Deutschlands als Nation.

Schulthess: Ich zum Beispiel habe einen Schweizer geheiratet, lebe nun seit fünfzig Jahren hier und bin dennoch auch eine Deutsche geblieben. Zwei Seelen schlagen in meiner Brust. Ich sehe da keinen Widerspruch.  

Der EU-Integrationsprozeß zielt auf die Abschaffung der Nationalstaaten in Europa, der Multikulturalismus auf die Überwindung der nationalen Kulturen. 

Schulthess: Das sehe ich nicht. Wir rücken zwar näher zusammen, aber Deutschland bleibt doch Deutschland.

In der Eurokrise wird gewarnt: „Die Wiedereinführung der D-Mark wäre ein Rückfall in die Zeit des Nationalstaates.“ Sieht man daran nicht, wohin die Reise geht? 

Schulthess: Ich kann Ihre Sicht nicht teilen und habe von meiner Mutter nichts Negatives darüber gehört.

Erstaunlich ist, welch positive Erfahrungen Ihre von Sippenhaft bedrohte Mutter und Großmutter – trotz der Tatsache, daß Ihr Vater Staatsfeind Nummer eins war – unter den Deutschen machten. 

Schulthess: Im Heimatort der Familie, im schwäbischen Lautlingen, stand die große Mehrheit nach dem 20. Juli auf seiten der Stauffenbergs. Demonstrativ versuchte man die unter Bewachung stehende Mutter meines Vaters zu besuchen, brachte ihr Honig und Kuchen. Der Arzt wollte ihr attestieren, nicht transportfähig zu sein, um ihre Verhaftung zu verhindern, und die Einwohner planten, das Auto, das sie abholen kam, zu blockieren. Meine Mutter kam später ins KZ Ravensbrück, wo sie schreckliche Szenen erlebte. Doch zunächst steckte man sie in Rottweil ins Gefängnis. Ich bezweifle, daß der Direktor sofort wußte, wer meine Mutter war. Aber er behandelte die Gefangene voller Hochachtung. Den Tee erhielt sie in einer Tasse mit der Aufschrift „Der Silberbraut“. Nach einer Woche wurde sie nach Berlin verlegt. „Unbeschreiblich“ hat meine Mutter die Bedingungen im Gefängnis dort genannt, doch schilderte sie auch die Direktorin als eine „phantastische Frau“, die alles dafür tat, um das Leben der Häftlinge so menschlich wie möglich zu gestalten. Schließlich kam meine Mutter zu meiner Entbindung in eine, wie sie schrieb, „reizende Privatklinik“. Da sie Isolationshäftling war, lag sie in einem Einzelzimmer erster Klasse. Und als der Chefarzt erfuhr, daß sie zum 20. Juli gehörte, behandelte er sie mit großer Hochachtung. All das belegt, was ich vorhin gesagt habe: Es waren nicht alle Deutschen Nazis, auch wenn sie keinen aktiven Widerstand geleistet haben.




Konstanze von Schulthess-Rechberg, kam am 27. Januar 1945 in Frankfurt (Oder) als jüngstes Kind Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenbergs und seiner Frau Nina in Sippenhaft zur Welt. Zwei Jahre nach dem Tod ihrer fast 93jährigen Mutter veröffentlichte sie 2008 ihr Buch „Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt“, dem es gelingt, über die dramatische Familiengeschichte hinaus Einblick in eine andere Zeit zu geben. Die gelernte Wochenpflegerin heiratete 1965 in die Schweiz. Einer ihrer Söhne ist der Schauspieler Philipp von Schulthess, der auch in „Operation Walküre“, der Verfilmung der Stauffenberg-Erhebung durch US-Star Tom Cruise, mitwirkte. 

Foto: Stauffenberg-Tochter von Schulthess: „Im Fernsehen wurde meine Mutter als Nörglerin gezeigt, die nicht hinter ihrem Mann stand. Das hat sie verletzt. Es war das Gegenteil davon, wie sie war.“

 

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