© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Knapp daneben
Besser unter sich bleiben
Karl Heinzen

Der Wohlstand in Indien wächst, ohne durch das ungebremste Bevölkerungswachstum gänzlich absorbiert zu werden. Davon profitiert eine neue Mittelschicht, die sich zwischen der kleinen und abgeschotteten Elite der Superreichen und den in Armut vegetierenden Massen breitmacht. Wie viele Inder ihr zuzurechnen sind, ist umstritten, die Zahlen schwanken zwischen 50 und 400 Millionen. Auch ist ungeklärt, welches Einkommen jemand erzielen muß, um zu diesem Kreis dazugehören zu dürfen. Manche Statistiken setzen ein Monatsgehalt von etwa 250 Dollar als Untergrenze an. Andere meinen, daß man sich in Indien schon dann von der Mehrheit abhebt, wenn man zwei Dollar am Tag zur Verfügung hat.

Vor allem sind die sozialen Aufsteiger in den großen Städten anzutreffen, da es auf dem Land kaum mehr als nichts zu verdienen gibt. Diese Städte jedoch platzen aus allen Nähten und bieten kaum Lebensqualität.

In vielen Schwellenländern ist es Usus, daß sich Wohlhabende in festungsähnliche Wohngebiete zurückziehen.

Besonders ärgerlich sind neben all dem Lärm und Dreck die ungezählten Habenichtse, mit denen man sich im Alltag abplagen muß. Da der Mittelschicht diese schlechte Gesellschaft nicht zugemutet werden kann, plant Indien, hundert neue Städte zu errichten, in denen man unter sich bleiben kann. Den Anfang macht „Gift City“ im Bundesstaat Gujarat, dessen erste Gebäude bereits stehen. Den Bewohnern wird in ihren schicken Hochhäusern nicht nur eine moderne und „ökologisch nachhaltige“ Infrastruktur zur Verfügung stehen. Man wird sie auch mit einer Mauer schützen, die sich nur mit Ausweis passieren läßt. Auf diese Weise werden neben dem bettelnden Pöbel auch Vertreter niedriger Berufe wie Automechaniker, Tischler oder Schneider ferngehalten.

Was Indien plant, ist kein Novum. In vielen Schwellenländern ist es Usus, daß sich Wohlhabende in exklusive, festungsähnliche Wohngebiete zurückziehen. Dieser Trend ist nicht aufzuhalten, da die Globalisierung zwar vielen, aber eben doch nur einer kleinen Minderheit einen höheren Lebensstand verheißen kann. Ihre Ethik, daß der Reichtum Weniger der Armut aller vorzuziehen ist, wird dadurch nicht in Frage gestellt.