© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Kopfüber hinein ins Laster
Medien: Die deutsche Ausgabe des Lebensart- und Jugendmagazins „Vice“ feiert ihr zehnjähriges Jubiläum
Richard Stoltz

Die Branche überschlägt sich wieder mal. „Zehn Jahre deutsches Vice-Magazin!“ jubelt etwa die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, möbelt ihren umfänglichen Festartikel mit Zwischenzeilen wie „Schmutzige Themen, eigener Ton“ auf und meint, Vice sei nicht mehr aufzuhalten und habe „ein paar Dinge bewiesen, die Aufmerksamkeit verdienen“.

Vice (auf deutsch: Laster, Untugend) ist ein seit 2002 in New York erscheinendes „Lifestyle-Magazin“, das sich, wie schon der Titel sagt, faktisch ausschließlich mit Lastern und Unarten beschäftigt, mit Gewalt, Drogen, hemmungslosem Sex und allen möglichen Diebereien. Es ist von vorn bis hinten in „Jugendjargon“ abgefaßt, streckenweise in alter 68er-Manier wichtigtuerisch mit soziologischen Fachwörtern vermischt. Zielgruppe sind „trendbesessene Großstadtbewohner“.

Das Unternehmen war bisher ein ökonomischer Erfolg, zumindest in den USA – und eben auch hierzulande, wo die Redaktion jetzt das zehnjährige Erscheinen der deutschen Ausgabe ausgiebig feierte. Die Kollegen von Vice, schreibt die FAS ehrfürchtig, hätten „den Beruf des Reporters einfach noch einmal ganz neu erfunden“. Vice , so lesen wir da, „erzählt von der Prostitution im Saarland, von den Vergewaltigungen in Indien, vom Leben in Camden, der gefährlichsten Stadt der Vereinigten Staaten – und all das draufgängerisch, manchmal sogar witzig, immer aber persönlich, geprägt von den jungen Reportern, die sich in ihre Geschichten buchstäblich kopfüber hineinstürzen“.

Nun, jeder stürzt sich hinein, so gut er kann, Hauptsache, die Kasse stimmt am Ende. Warum aber die „Qualitätspresse“ Beifall spendet und über Nachahmung nachdenkt, bleibt rätselhaft. Sie muß es wirklich nötig haben.