© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Ohne Waffen Frieden schaffen
40 Jahre Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE): Die schwierige Suche nach einer Existenzberechtigung zwischen der EU und der Nato
Michael Wiesberg

Völlig überraschend warf die Ukraine-Chefvermittlerin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Eu-ropa (OSZE), die Schweizerin Heidi Tagliavini, das Handtuch und verkündete Anfang Juni ihren Rücktritt. Eine offizielle Begründung gab Tagliavini nicht ab. Medienberichten zufolge sollen aber die neu aufgeflammten Kämpfe in der Ost-ukraine und ein gescheitertes Treffen der Kontaktgruppe in Minsk den Ausschlag für die Entscheidung gegeben haben. 

Die Spitzendiplomatin war gut ein Jahr als Vermittlerin im Ukraine-Konflikt tätig und konnte in dieser Zeit auch den ersten Waffenstillstand im September vorigen Jahres aushandeln. Der Rücktritt der Schweizerin und das Wiederaufflammen der Kämpfe im Donbass dürften denjenigen Kritikern weiteren Auftrieb geben, die in der OZSE bestenfalls noch einen zahnlosen Tiger sehen. Die Bedeutung der im Kalten Krieg gegründeten Organisation sei, so ihr Argument, in den vergangenen Jahren erheblich geschwunden.

Dieser Bedeutungsverlust hat vielfältige Gründe: Unter anderem wird der OSZE vorgehalten, ihr Aufgabenspektrum sei zu umfangreich, was ein unscharfes Profil zur Folge habe. Von größerer Bedeutung aber dürfte sein, daß die OSZE seit dem Ende des Kalten Krieges im steigenden Maße Konkurrenz durch andere Akteure auf der internationalen Bühne bekommen hat (EU und Nato) und der Konflikt mit Rußland zu merklichen Spannungen in der Organisation führt. Als hinderlich hat sich überdies die Konsensregel herausgestellt, die festlegt, daß alle Beschlüsse einstimmig gefaßt werden müssen. Insbesondere von linker Seite wird darüber hinaus der Vorwurf erhoben, die OSZE sei eine Organisation, die vor allem die wirtschaftlichen Interessen der Großmächte bediene und Staaten, die sich nicht diesen Interessen unterordnen, mit Sanktionen oder militärischen Einsätzen überziehe.

Das ist keine übermäßig ermutigende Bilanz für eine Organisation, die als Staatenbündnis zur Friedenssicherung am 1. August 1975 mit der Schlußakte von Helsinki aus der vormaligen Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen ist, am 1. Januar 1995 in OSZE umbenannt wurde und damit auf eine nunmehr vierzigjährige Geschichte zurückblicken kann. Aktuell umfaßt die OSZE 57 Mitgliedsstaaten; dazu gehören alle europäischen Staaten außer dem Kosovo, die Mongolei, die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die USA und Kanada. Weitere elf Staaten im Mittelmeerraum und Asien gelten als Partnerstaaten der OSZE. Alle 57 genießen einen gleichberechtigten Status, Entscheidungen müssen im Konsens gefällt werden. Zugleich sind sie  politisch, nicht aber rechtlich bindend. 

Ausgangspunkt der Konstituierung der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) war eine Initiative des Warschauer Paktes im Jahre 1967. Diese Initiative verfolgte ursprünglich wohl auch das Ziel, zur Auflösung der bestehenden Allianzen beizutragen und die USA allmählich aus Europa hinauszudrängen. 

Infolge der einsetzenden Entspannungspolitik sowie nach Inkrafttreten der Ostverträge und des Grundlagenvertrages Mitte der siebziger Jahre wuchs in Ost und West das Interesse an einer weitreichenden Verständigung. Vor diesem Hintergrund ist die Eröffnung der KSZE am 3. Juli 1973 in Helsinki zu sehen. An dieser Konferenz nahmen sieben Staaten des Warschauer Paktes, 13 neutrale Länder und die 15 Nato-Staaten teil. Die Beteiligung der USA und Kanadas erfolgte auf ausdrücklichen Wunsch der damaligen EG-Staaten.

141 Millionen Euro für die Rettung Europas 

Nach zweijährigen Verhandlungen in Genf wurde die KSZE-Schlußakte am 1. August 1975 in Helsinki unterschrieben. Die Staaten verpflichteten sich in dieser Absichtserklärung zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur friedlichen Regelung von Streitfällen, zur Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zur Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Außerdem wurde die Kooperation in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Umwelt vereinbart. 

Die Bundesrepublik und die DDR nahmen gleichberechtigt an der KSZE teil. Für das SED-Regime war damit ein wichtiger Schritt zur internationalen Anerkennung verbunden. Der DDR ging es vor allem um die Anerkennung des Status quo in Europa und um die Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Die Menschenrechte wurden jedoch auch nach Unterzeichnung der Schlußakte nicht beachtet. Deshalb sprach sich die CDU/CSU-Opposition im Bundestag gegen die KSZE aus. 

Nach Ende des Kalten Krieges erhielt die KSZE mit der Charta von Paris (1990) eigene Institutionen und in der Folge den Status einer internationalen Organisation (OSZE) mit Hauptsitz in Wien, wo sich ihr Ständiger Rat wöchentlich trifft und das Sekretariat mit dem derzeitigen Generalsekretär Lamberto Zannier (Italien) seinen Sitz hat. Zentrales Beschluß- und Leitungsgremium der OSZE ist der aus den Außenministern bestehende Ministerrat, der einmal im Jahr anstehende Fragen erörtert und Beschlüsse verabschiedet. In regelmäßigen Abständen finden weiterhin Gipfeltreffen der OSZE-Staats- und Regierungschefs statt, darüber hinaus tagt einmal im Jahr das Wirtschaftsforum in Prag. 

Die 1991 ins Leben gerufene Parlamentarische Versammlung der OSZE mit Sitz in Kopenhagen setzt sich aus über 300 Parlamentariern zusammen, die folgende Aufgaben wahrzunehmen haben: Neben der vorrangigen Aufgabe der Versammlung, den interparlamentarischen Dialog zu erleichtern, umfaßt das Spektrum die Bewertung der Verwirklichung der Ziele der OSZE durch die Teilnehmerstaaten, die Erörterung jener Themen, die auf den Treffen des Ministerrates und den Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs behandelt werden, die Entwicklung und Förderung der Mechanismen zur Konfliktverhütung und -bewältigung, die Förderung des Ausbaus und die Festigung der demokratischen Institutionen in den OSZE-Staaten, die Mitwirkung an der Entwicklung der institutionellen Strukturen der OSZE sowie der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen den bestehenden OSZE-Institutionen, die 2015 über einen Haushalt von 141 Millionen Euro verfügen. 

Der Fokus lag ursprünglich ganz auf der Friedenssicherung, umfaßt mittlerweile aber ein ansehnliches Aufgabenspektrum, das bis hin zur Medienfreiheit reicht. Diese Vielfalt der Aufgaben wird von der OSZE in drei Dimensionen unterteilt: Die erste ist die politisch-militärische; hier geht es um Grenzsicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrollen sowie um Konfliktprävention und Terrorismusbekämpfung. Neben der derzeit größten Aufgabe, der „Special Monitoring Mission“ Ukraine, unterhält die OECD gegenwärtig Feldmissionen in Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Kasachstan, Kirgisistan, Kosovo, Mazedonien, Moldau, Montenegro, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan sowie in Usbekistan. 

Beobachter bringen noch keine Sicherheit

Die dritte Dimension schließlich hat den Menschen im Fokus. Konkret stehen hier die Aufgaben Förderung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Menschenrechte, Wahlbeobachtungen, die Förderung der Medienfreiheit sowie die Bekämpfung von Menschenhandel im Mittelpunkt. Zuständig innerhalb der OSZE sind hier das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte, der Beauftragte für Medienfreiheit sowie das Sekretariat. 

Eng mit den Menschenrechten verknüpft ist das Amt des Hohen Kommissars für nationale Minderheiten (HKNM), dem wichtigsten Organ der OSZE für den Schutz von Minderheiten. Das Amt wurde 1992 am KSZE-Folgetreffen von Helsinki geschaffen. Am 20. August 2013 hat die ehemalige Europaparlamentarierin und finnische Ministerin für Migration und europäische Angelegenheiten Astrid Thors ihre Amtsperiode als HKNM angetreten. 

Auch wenn die OSZE aufgrund ihrer internationalen Ausrichtung als fixer Bestandteil unter den internationalen Organisationen wahrgenommen wird, besitzt sie doch keine eigenständige Rechtspersönlichkeit. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat daher wiederholt auf eine Klärung der Rechtsnatur der OSZE gedrängt. Eine internationale Expertenkommission hat die OSZE dennoch aufgrund ihrer Tätigkeiten als internationale Organisation eingestuft; die herrschende Meinung in der Lehre sowie auch die weit überwiegende Staatenpraxis behandelt die OSZE jedoch nicht als internationale Organisation.

Der wichtigste Brennpunkt der OSZE ist derzeit zweifelsohne die Ukraine-Krise; die spezielle Beobachtermission der OSZE zählt aktuell insgesamt 469 Mitglieder, die laut einem Beschluß des Ständigen Rates vom 12. März künftig im Bedarfsfall auf 1.000 Mitglieder erhöht werden kann. Die Zukunft der OSZE wird auch davon abhängen, inwieweit die politische Unterstützung, die die OSZE in Rußland, der Ukraine und im Westen genießt, erhalten bleibt.

Doch Oberst i.G Wolfgang Richter, Sicherheitsexperte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zeigt sich skeptisch. Im Gespräch mit dem Handelsblatt verwies der ehemalige Leiter des militärischen Anteils der deutschen OSZE-Vertretung auf das enge Korsett der zivilen „Special Monitoring Mission“ in der Ukraine. Doch um aus der reinen Beobachter-Mission eine zur Friedenssicherung zu machen, müsse „die OSZE ihr Mandat im Konsens mit allen 57 Mitgliedsstaaten erweitern. Damit käme noch aktive Friedenssicherung hinzu.“ Das habe eine „andere Qualität“ und hieße „Waffen für die Beobachter“, unterstrich Richter.

Dessenungachtet würdigte der Schweizer Bundesrat für auswärtige Angelegenheiten, Didier Burkhalter, Botschafterin Tagliavini für ihr Engagement. Sie habe „maßgeblich“ dazu beigetragen, daß der „schwierige Friedensprozeß in der Ukraine trotz Rückschlägen vorangekommen“ sei. Dabei verwies der liberale Politiker auf die „wegweisende“ Unterzeichnung  der Minsker Friedensvereinbarungen im September 2014 und Februar 2015.Dem österreichischen Diplomaten Martin Sajdik, der kurzfristig den Posten des Sondergesandten übernahm, wünschte Burkhalter „viel Erfolg und den dafür notwendigen langen Atem“.



Deutsches OSZE-Engagement

Deutschland wird 2016 den Vorsitz der OSZE übernehmen. Zum Sonderbeauftragten der Bundesregierung für den OSZE-Vorsitz bestellte die Bundesregierung den SPD-Politiker Gernot Erler. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes (AA) mißt Deutschland der „Beteiligung der Zivilgesellschaft“ eine „große Bedeutung“ bei und beteiligt sich entsprechend finanziell und personell „maßgeblich“ an der OSZE. Zum laufenden Haushalt der OSZE (2015: 141 Millionen Euro) steuert Deutschland knapp elf Prozent (17,5 Millionen Euro) bei und ist nach den USA der zweitgrößte Beitragszahler. Daneben leistet Berlin substantielle Hilfe auch in Form zusätzlicher freiwilliger Beiträge für OSZE-Projekte im gesamten OSZE-Raum. Deutsche Mitarbeiter sind in fast allen OSZE-Langzeitmissionen und in OSZE-Institutionen vertreten; insgesamt stellt Deutschland 55 Experten. Darüber hinaus beteiligt sich Deutschland regelmäßig mit bis zu 15 Prozent – der von der OSZE vorgegebenen Obergrenze – an den Wahlbeobachtungsmissionen des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR).