© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Plötzlich sitzen alle vereint am Tisch
Griechenland nach dem Referendum: Während im Volk Katerstimmung herrscht, zeigt die Politik plötzliche Geschlossenheit
Marc Zoellner

Totenstille herrscht auf dem Syntagma-Platz in Athen. Noch vor wenigen Tagen demonstrierten hier unzählige Griechen angesichts des in Kürze bevorstehenden Referendums über die Forderungen der europäischen Gläubiger der kleinen peloponnesischen Republik. Vergangene Woche Montag waren es zuerst die Anhänger der linksradikalen Syriza, die Europa im Schuldenpoker der vergangenen Wochen in Unmut und Aufregung versetzten. Den darauffolgenden Dienstag füllten wiederum Zehntausende Sympathisanten den Platz. „Nai!“, verkündeten Sprechchöre immer wieder, ein „Ja!“ zu den von den Gläubigern geforderten Reformen sowie zum Verbleib Griechenlands in der EU. „Griechenland ist mein Geburtsort“, las man auf Transparenten in der Menge. „Europa ist meine Heimat.“

Daß die Ängste der EU-Befürworter begründet waren, konnte man am Tag nach dem Referendum nicht nur auf dem Syntagma-Platz, sondern in fast ganz Griechenland hervorragend beobachten. Nach den Freudenfeiern der Syriza-Anhänger in der Wahlnacht herrschte plötzlich allerorten Katerstimmung. Die meisten Banken verkündeten, die komplette Woche geschlossen bleiben zu wollen. Ihre Geldreserven reichten nur noch für zwei, vielleicht drei weitere Tage. Griechenland wird nicht mehr mit Euro-Noten beliefert. Busse und Bahnen fahren seitdem kostenlos. Es kursiert kaum noch Kleingeld auf den Straßen. 

Der Stolz der Griechen überwog den Weitblick

Zeitungen und Buchverlage klagen über Papierknappheit. Es herrscht ein Mangel an Lebensmitteln, an Medizin – und sowieso immer wieder an Bargeld in jeglicher Form. Vor all diesen gravierenden Einschnitten war vorab von den führenden Köpfen der Nea Dimokratia (ND) sowie der Kleinparteien To Potami und Pasok ausdrücklich gewarnt worden. Doch der Stolz überwog in Griechenland den Weitblick.

Eindeutig zeichnete sich im Referendum die schwelende EU-Skepsis des Landes ab. Zwar lag die Wahlbeteiligung bei gerade einmal 62 Prozent. Rund 61 Prozent der rund 9,8 Millionen Wahlberechtigten stimmten trotzdem gegen die von der EU verordnete Austeritätspolitik. Für den früheren griechischen Ministerpräsidenten Andonis Samaras, welcher sich für ein „Ja!“ zu Sparmaßnahmen sowie zu einer Annäherung an die Forderungen der Gläubiger Griechenlands stark gemacht hatte, bedeutete dieser Ausgang die wohl bitterste Niederlage seiner politischen Karriere. Noch in der Nacht zum Montag trat Samaras als Vorsitzender der oppositionellen ND zurück.

Finanzminister Yanis Varoufakis hingegen, dessen Konterfei die griechisch-resteuropäische Auseinandersetzung symbolhaft wie kein zweites prägte, bezeichnete das Votum als einen Sieg der Demokratie. „Das Referendum des 5. Juli wird in die Geschichte als jener einzigartige Moment eingehen“, verkündeteVaroufakis, „an welchem sich eine kleine europäische Nation gegen die Schuldknechtschaft erhob.“

Tsipras wirkt verändert staatsmännisch

Gleichwohl trat auch Varoufakis am Morgen nach der Wahl von seinem Ministerposten zurück. Für den Wirtschaftswissenschaftler selbst war dies der einzig logische Schritt nach dem Referendum. An den Verhandlungstischen Europas, erklärte Varoufakis, sei er nicht mehr willkommen. Nun sollen andere seinen Part übernehmen.

Nur wenige Stunden nach der Verabschiedung des Finanzministers rief Tsipras sein verbliebenes Kabinett zu einer Krisensitzung ins Megaro Maximou, den offiziellen Amtssitz des griechischen Ministerpräsidenten. Erstaunlich schnell machte die Botschaft die Runde, der besser Englisch als Griechisch sprechende   Wirtschaftswissenschaftler Efklidis Tsakalotos, der bislang als stellvertretender Außenminister sowie Chefunterhändler Griechenlands im Schuldenstreit fungierte, werdeVaroufakis beerben. Zwar gilt Tsakalotos sowohl als sachkundig als auch als praxisbewährt. Doch gerade unter den radikaleren Anhängern der Syriza ist der „linke Aristokrat“, wie Tsakalotos aufgrund seiner umfangreichen Investitionen in diverse Hedgefonds genannt wird, als integere Person umstritten.

Doch nach Varoufakis Abgang, viele Griechen sprechen auch von einem Bauernopfer, wirkt Tsipras verändert staatsmännisch. Entsprechend trafen sich noch am Montag nach dem Referendum unter Vorsitz des Staatspräsidenten Prokopis Pavlopoulos die Vorsitzenden der Parlamentsparteien. Zwar wurden nochmals die unterschiedlichen Standpunkte ausgetauscht, dennoch verkündeten diese in einer gemeinsamen Erklärung, dem Ministerpräsidenten bei kommenden Reformprogrammen den Rücken stärken zu wollen. „Sofortige Priorität“, so das Memorandum, habe jetzt, „die Solvenz des Finanzwesens wiederherzustellen“.

Lediglich die Kommunisten sowie die rechtsextreme Chrysi Avgi blieben außen vor. Angaben der Griechenland-Zeitung (GZ) zufolge unterstrich der Generalsekretär der kommunistischen KKE Dimitris Koutsoumbas, daß die Zweiparteienregierung aus Syriza und Anal „fest dazu entschlossen sei, dem Volk ‘ein neues und härteres Spardiktat’ aufzuzwingen“. Auch der Generalsekretär der Chrysi Avgi betonte, daß er in den neuen Vorsätzen der Regierung lediglich den Versuch erkenne, ein „neues Spar- und Reformpaket (Memorandum) durchsetzen“ zu wollen. Regierungssprecher Gavriil Sakellaridis hatte zuvor laut GZ erklärt, daß „Ministerpräsident Tsipras seine Initiativen verstärken werde, um so schnell wie möglich zu einer Einigung mit den Geldgebern zu gelangen“.