© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Aufmarschieren zum „Krieg der Ideen“
Atlantic Council: In Breslau scharte die US-Lobbyorganisation Interessierte um sich / Harsche Blicke gen Osten
Billy Six

Draußen flanieren die Passanten, drinnen wird unscheinbar Weltpolitik gemacht. Im Kongreßzentrum Breslau sind 400 Politiker, Geschäftsleute und Akademiker aus Nordamerika und Europa zusammengekommen, um die „Gestaltung der Politik- und Handelsagenda für ein neues Europa und eine stärkere transatlantische Partnerschaft“ zu diskutieren. Polens Präsident Bronislaw Komorowski und Außenminister Grzegorz Schetyna eröffnen die zweitägigen Debatten im Auditorium. Es ist schwül-heiß, und bereits zum sechsten Male findet die Jahreskonferenz des „Wroclaw Global Forum“ statt. Deutsche Journalisten sind anwesend, doch veröffentlichen tun sie nichts. Ohne Gegendemonstranten scheint es kein publizistisches Interesse zu geben. 

Stolz auf US-Dominanz über Europa 

Veranstalter ist der Atlantic Council, eine politische Lobbyorganisation und Denkfabrik mit Sitz in Washington DC. Zum „Atlantischen Gremium“ gehören 500 Mitglieder, darunter ehemalige Botschafter, Vorstandsvorsitzende, Regierungsbeamte und Offiziere. Die 1961 gegründete Vereinigung versteht sich als „überparteiliche Organisation, die konstruktive US-Führerschaft voranbringt sowie Einsatz in internationalen Angelegenheiten basierend auf der zentralen Rolle der atlantischen Gemeinschaft in der Begegnung mit heutigen globalen Herausforderungen“ unterstützt. 18 Regionalzentren und Themenprogramme wie das „Rafik-Hariri-Zentrum für den Nahen Osten“ zur Analyse der Umbruchsprozesse und Beziehungsknüpfung zu lokalen Entscheidern oder das „Globale Energie-Zentrum“ zur Durchsetzung einer „globalen Energie-Regierungsführung und Handelssystems anstelle von Rohstoff-Nationalismus“ sind dabei wirksame Instrumente. 

Nach einem Bericht der New York Times vom September 2014 haben seit 2008 sogar 25 ausländische Regierungen Spenden überwiesen. Norwegen habe sich dabei besonders hervorgetan mit Zuwendungen in Höhe von 24 Millionen US-Dollar an den Atlantic Council und andere sogenannte „think tanks“. Das norwegische Außenministerium schrieb dazu in einem internen Bericht: „In Washington ist es schwierig für ein kleines Land, Zugang zu mächtigen Politikern, Bürokraten und Experten zu bekommen.“ Die Förderung mächtiger Denkfabriken sei ein Weg, diesen Einlaß zu erhalten, „und einige think tanks übermitteln ganz offen, daß sie diesen Service nur solchen ausländischen Regierungen anbieten können, die Finanzierung bereitstellen.“ 

In vergangener Zeit haben die Geldgeber dabei kaum aufs falsche Pferd gesetzt: 2009 wurde A.C.-Vorsitzender James L. Jones Nationaler Sicherheitsberater der USA, sein Nachfolger Chuck Hagel 2013 Verteidigungsminister. Derzeit führt Jon Huntsman, ehemaliger Gouverneur von Utah und Ex-Botschafter in China, den Council. 

Stolz ist man hier darauf, daß die 70jährige US-Dominanz Westeuropa Frieden und Sicherheit beschert habe. Die trans-atlantische Bündelung der Kräfte habe zu unvergleichlicher Schlagkraft in der Welt geführt. Schon sehr früh setzte sich der Atlantic  Council für eine Einbeziehung Japans ein, das 1973 tatsächlich Teil der späteren G7 wurde. Aktuelle Ziele „als Schnittstelle zwischen Brüssel, Washington und Wall Street“ sind die Durchsetzung des Transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP, die Handelsfreigabe der chinesischen Währung Renminbi und dieEffizienzsteigerung von Wirtschaftssanktionen. 

Letzteres ist vor allem ein Wink mit dem Zaunpfahl gegen Rußland, das aus Sicht des Councils mit seiner „Aggression in der Ukraine die Ordnung nach dem Kalten Krieg gebrochen“ habe. Beim Breslauer Treffen wird nicht umsonst den Außenministern Georgiens und Moldawiens, dem Verteidigungsminister Mazedoniens sowie Parlamentsabgeordneten aus der Ukraine und russischen Oppositionellen eine Bühne geboten. 

Blogger mutieren zu anerkannten Experten 

Unterstützt von der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, dem früheren russischen Ministerpräsidenten Michail Kasjanow und Ex-Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat der Atlantic Counil dazu eine neue Hochglanzbroschüre herausgebracht, die den Titel „Versteckt in der Schußlinie – Putins Krieg in der Ukraine“ trägt. Sie soll Medien weltweit als Handbuch dienen, um zu erkennen, daß es sich bei der Gewalt in der Ukraine nicht um einen Bürgerkrieg, sondern um einen „kremlfabrizierten Krieg“ handle. 

Als Grundlage dienen die von der jüngst Aufsehen erregenden, teils umstrittenen Recherche-Plattform „Bellingcat“ aus Großbritannien veröffentlichten Analysen aus dem Weltnetz. Die Blogger sammeln dabei Bildmaterial aus sozialen Medien zusammen und ordnen sie ihrem Entstehungsort zu. Diese „Detektiv-Arbeit“, so „Bellingcat“-Chef Eliot Higgins (35) gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, würden Geheimdienste und Kriminalermittler bisher nicht stemmen – seien aber für jedermann nachvollziehbar. Eine Marktlücke für den zuvor arbeitslosen Verwaltungsangestellten, der für seinen Auftritt beim Council zwar ein Honorar erhalten habe ... nicht jedoch finanzielle Dauerzuwendungen, wie die Organisation auf eine JF-Anfrage mitteilt. 

Dem Bericht ist zu entnehmen, daß identische Panzer erst in Rußland und später in der Ostukraine fotografiert worden seien. Dazu Aufnahmen von Kriegsgerät der Aufständischen, das die ukrainische Armee zuvor nie besessen habe – wie den Grad-Werfer „KamAZ-5350“. Ausführlich wird anhand von Satellitenbildern der Aufbau von Trainingslagern entlang der Grenze dargestellt, überdies Posts russischer Soldaten vor und während ihres Einsatzes jenseits des Gebiets der Rußländischen Föderation. Einschläge in Feldern, zu sehen auf Google-Earth-Aufnahmen, würden auf einen Beschuß von der russischen Seite hindeuten. Die federführende Arbeitsgruppe empfiehlt „substantiell mehr Geheimdienstkapazitäten zu verwenden, um Putins Krieg in der Ukraine zu enthüllen und zu bekämpfen“. Dazu seien Informationen aus öffentlichen Quellen einzusetzen und „in russisch-sprachige Gegenden auszustrahlen, um die Wirkung der Moskauer Propaganda auszugleichen“. 

In der Plenardebatte der Breslauer Konferenz ist vom „Krieg der Ideen“ die Rede zwischen dem Autoritarismus in Rußland und dem Liberalismus der westlichen Welt. Die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck tritt dafür ein, „die Jalta-Grenze weiter nach Osten zu treiben, hoffentlich bald auch die Ukraine eingeschlossen“. Polens Ex-Finanzminister Jacek Rostowski warnt, „nicht naiv zu sein“. Man brauche auch mehr Panzer und Kampfflieger, um Putin zu beeindrucken. Ex-Pazifistin Beck widerspricht nicht.