© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Blick in den Abgrund
Untersuchungsausschuß: Auch nach Ende der Zeugenbefragung bleiben in der Edathy-Affäre Fragen ungeklärt
Christian Schreiber

Ein Jahr lang hat die Öffentlichkeit auf Aufklärung gewartet. Was wußte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgrund des Besitzes von kinderpornographischem Material gegen ihn? Und wer hatte ihn gewarnt? In der vergangenen Woche beendete der Untersuchungsausschuß, den der Bundestag eingesetzt hatte, um die Affäre aufzuklären, seine Zeugenbefragung.

Um das Ausmaß zu verstehen, muß man zurückblicken. Nach der Bundestagswahl 2013 deutete alles auf eine Große Koalition zwischen Union und SPD hin. In dieser Situation informierte der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) den SPD-Chef Sigmar Gabriel, daß sich ein Verdacht gegen Edathy wegen Besitzes von Kinderpornographie ergeben habe. Gabriel gab sein Wissen am Nachmittag des 17. Oktober erst an Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, schließlich an den Parlamentarischen Geschäftsführer Thomas Oppermann weiter. Der erkundigte sich bei Jörg Ziercke, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, ob diese Information stimme. Ziercke sagt angeblich nichts, was Oppermann als Bestätigung deutet. 

Fakt ist, daß früh feststand, daß Oppermann die Nachfolge Steinmeiers an der Fraktionsspitze antreten würde, sollte dieser ins Kabinett wechseln. Edathy, so schilderte es der heutige Fraktionschef, habe ebenfalls darauf spekuliert, in die Regierung zu wechseln. Oppermann habe ihm gesagt, dies sei unmöglich, auch ein Posten als Staatssekretär käme nicht in Frage. Fest steht zudem, daß Edathy zu diesem Zeitpunkt Kontakt mit seinem Parteikollegen Michael Hartmann hatte.  Dieser sei von Oppermann mit der Bitte zur Seite genommen worden, sich um Edathy zu kümmern. 

Und außer Frage stand bereits zu Beginn des Ausschusses, daß einer aus diesem Kreis der „Wissenden“ Edathy informiert hatte. Der SPD-Abgeordnete entschwand einige Wochen später in den Krankenstand und hatte Zeit, belastendes Material zu beseitigen. Ein Laptop wurde als gestohlen gemeldet, Festplatten leer geräumt, Magazine geschreddert. Zurück blieben lediglich verdächtige Kontobewegungen und einige auffällige Internetverbindungen. Am Ende wurde Edathy zu einer geringen Geldbuße verurteilt, seine politische und berufliche Laufbahn in Deutschland war ohnehin erledigt.  

Neben dem Ex-Minister Friedrich blieb Edathy das einzige politische Opfer, welches die Affäre forderte. Die Opposition, die den Ausschuß forderte, blieb machtlos. Dies hing vor allem damit zusammen, daß weder SPD noch CDU ein großes Interesse daran hatten, den sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Oppermann unter Beschuß zu nehmen. Ausführlich aussagen wollten ohnehin nur die wenigsten vorgeladenen Zeugen. Edathy nutzte die Bühne für einen bisweilen theatralischen Auftritt und belastete seinen Ex-Kollegen Hartmann. Dieser schwieg. Und so nahm auch das öffentliche Interesse von Sitzung zu Sitzung ab. 

Ab und an stieg das Interesse wieder kurz an. SPD-Mann Johannes Kahrs beispielsweise legte beachtliche Gedächtnislücken offen und fand das auch noch komisch, Oppermann selbst trat ziemlich selbstbewußt auf.  Dabei waren sich alle sicher, daß er eine Schlüsselrolle im Fall Edathy gespielt hat. „Seine Tätigkeit rund um diese Affäre hat sich natürlich nicht auf bloße Informationsweitergaben beschränkt, er hat weitaus mehr getan als alle anderen Beteiligten“, sagte Grünen-Obfrau Irene Mihalic. „Es ist natürlich wichtig für unsere Befragung, wirklich ganz genau herauszufinden, was war eigentlich seine Rolle und was hat da eigentlich genau stattgefunden?“ Doch Oppermann ließ sich nicht in die Karten schauen und berief sich auf die Hektik der damaligen Zeit. „Wann haben Sie zuletzt ihre Großmutter geschlagen?“ fragte er den Linken-Obmann Frank Tempel, als dieser ihn in die Enge zu treiben versuchte. Er könne doch nicht beweisen, was nicht war, will Oppermann damit deutlich machen. Zu Edathy habe er in dieser Angelegenheit keinen Kontakt gehabt, aber das wurde auch nicht behauptet.

„Vertrauen in die politische Ebene verloren“ 

Im Herbst soll der Abschlußbericht vorlegt werden, viel Erhellendes wird nach 44 Sitzungen vermutlich nicht darin stehen. Daß Hartmann die Aussage verweigerte, kann ihm niemand vorwerfen. Schließlich drohten ihm rechtliche Folgen. So bleiben viele offene Fragen und ein bitterer Beigeschmack sagt Linken-Obmann Tempel: „Der Bürger draußen hat grundsätzlich Vertrauen in die politische Ebene verloren. Dort heißt es, es wird gemauschelt.“ 

Auch die Union ist mit dem Ausgang unzufrieden. „Wenn es darauf ankommt, mangelt es an Erinnerung oder wird sich nicht gekümmert“, sagte CDU-Obmann Armin Schuster. Wirklich Druck ausgeübt hat die Union allerdings auch nicht. Den Versuch, sich für den erzwungenen Rücktritt von Hans-Peter Friedrich zu revanchieren, hat sie nur halbherzig verolgt. Dennoch gibt es zumindest ein Ergebnis: Der Ausschuß hat tiefe menschliche Abgründe offengelegt und gezeigt, wie schmutzig Politik mitunter sein kann. 

Foot: Sebastian Edathy vor dem Ausschuß: Michael Hartmann sollte sich um seinen Parteifreund kümmern