© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

„Man muß etwas riskieren“
Klaus-Peter Willsch gilt als „der“ Euro-Rebell der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Von Beginn an wagte er den Widerstand und wurde dafür bestraft. Doch klagen mag er nicht
Moritz Schwarz

Herr Willsch, sind Sie jetzt mächtiger als die Kanzlerin?

Willsch: Wie kommen Sie denn darauf?

In puncto Griechenland-Rettung kommen der immer mehr Fraktionsmitglieder abhanden – um in Ihr Lager überzulaufen.  

Willsch: Es gibt keine Lager. Es gibt nur verschiedene Ansichten darüber, ob durch ständiges Nachgeben die Dinge in Griechenland besser werden.

„Das Nein-Lager wächst. Die Griechenland-Rebellen waren eine kleine Minderheit, doch ihre Zahl steigt“, warnt die „Zeit“, und der „Focus“ schreibt: „Immer mehr Unionsabgeordneten platzt der Kragen. Der Druck auf Merkel nimmt zu.“ Werden Sie zur Gefahr für die Kanzlerin?

Willsch: Nein, sie hat trotz allem eine satte Mehrheit. Es sind doch genug Rettungssüchtige da: SPD, Grüne, Kommunisten – alle helfen mit!

Wie ist die Stimmung in der Unionsfraktion? Würde sie bei einem weiteren Rettungspaket – sollte es trotz des griechischen „Neins“ kommen – tatsächlich kippen, wie manche Medien spekulieren?

Willsch: Es gibt immer auch Kollegen, die öffentlich äußern: Mit mir nicht mehr! Ich habe das aber oft genug erlebt. Etwas anderes ist es, tatsächlich dazu zu stehen, wenn es zum Schwur kommt. 

Enttäuscht Sie das?

Willsch: Na ja, man bekommt schon Zweifel daran, ob der Mensch wirklich in der Lage ist, aus Erfahrungen zu lernen. 

Wie viele Ihrer Fraktionskollegen würden sich im Falle eines neuen Rettungspakets der Kanzlerin verweigern? 

Willsch: Da spekuliere ich nicht.

Hat sich die Kanzlerin wenigstens schon bei Ihnen entschuldigt? 

Willsch: Warum das?

Sie wurden für Ihre Opposition kaltgestellt. Meinen Sie nicht, angesichts der Lage wäre mittlerweile eine Entschuldigung fällig? 

Willsch: Solche Erwartungen darf man nicht haben.

In der „Bild“-Zeitung berichten Sie – sowie Ihre Kollegen Veronika Bellmann und Alexander Funk –, wie Sie von der eigenen Fraktion regelrecht gemobbt wurden. 

Willsch: Es sollte nicht so rüberkommen, als wollten wir rumheulen. Eine „Verfolgungssituation“ gab es nicht.

Nun ja, in der „Bild“ schreiben Sie: „Ich hatte im Parlament bei Reden zum Thema das Gefühl, gegen eine Wand zu sprechen. Es gab keinen Applaus mehr. Man ermahnte mich: Ich widerspräche der Arbeitsordnung der Fraktion. Die Quittung: Ich mußte den wichtigen Haushaltsausschuß verlassen, was mir per Massen-Mail mitgeteilt wurde. Natürlich ging es darum, ein Exempel zu statuieren. Besonders schwach: Keiner hatte den Anstand, mir ins Gesicht zu sagen, daß man mich abserviert.“ 

Willsch: Es ist doch klar, daß man etwas riskiert, wenn man sich gegen die eigene Fraktionsführung stellt. Und eigentlich ist auch klar, daß man dann keinen Applaus erwarten kann. Dennoch war es ein unschönes Gefühl, wenn einem die eigenen Leute den sonst üblichen Beistand verweigern. Und natürlich gibt es Kollegen, die einen den Unmut der Fraktion spüren lassen. Andere sind neidisch, weil man mehr Presse hat als sie. Es gibt aber auch welche, die solidarisch sind. Man erlebt die ganze Spannbreite menschlicher Verhaltensweisen. Von „gemobbt“ möchte ich aber nicht sprechen.

Vor allem Ihre Kollegen Bellmann und Funke berichten in dem Artikel von internem „Druck“, von „Isolation“, böswilligen Unterstellungen, Verbalattacken, einem „eisigen Klima“, dem Versuch, sie moralisch zu korrumpieren und, wie bei Ihnen, handfesten Sanktionen wie dem Rauswurf aus dem Ausschuß. Sie selbst sprachen gar von „Säuberung“. All das, kein Mobbing? 

Willsch: Ich finde den Begriff eine Nummer zu groß. Wer nicht in der Spur läuft, löst eben eine Reaktion aus.

Von den gleichen Politikern hören wir sonst, welch hohes Gut Pluralismus, Vielfalt und Meinungsfreiheit sind, daß Demokratie sensibel und verletzlich ist, ihre Kostbarkeit darin liege, die Würde jedes Menschen zu wahren und was für eine Errungenschaft die durch das Freie Mandat garantierte Gewissensfreiheit ist. Würden Sie bitte Ihre Erfahrungen mit diesen Postulaten noch einmal vergleichen.

Willsch: Ich darf Sie auf den Boden der Tatsachen holen: Letztlich ist es wie zu allen Zeiten, wie schon in der steinzeitlichen Höhle: Gefolgschaft wird belohnt, Aufsässigkeit bestraft. So einfach ist das. 

Also alles nur Phrasen und Heuchelei?

Willsch: Es ist eben wie es ist. 

Es hat Sie nichts überrascht? Sie haben nichts dazugelernt?

Willsch: Ich habe von Anfang an mit Problemen gerechnet.

Warum eigentlich? Beim ersten Hilfspaket 2010 waren es nur vier Unionsabgeordnete – von 239 –, die mit Nein gestimmt haben. Sie stellten doch gar keine Gefahr dar.

Willsch: Ja, und angesichts dessen dachte ich zunächst auch, sie würden es vielleicht ein wenig lässiger sehen. Haben sie aber nicht – nun gut.

Wie aggressiv wäre die Reaktion erst gewesen, hätten Sie eine relevante Opposition angeführt?

Willsch: Die Frage müssen Sie Fraktionschef Kauder stellen. 

Sind Sie eigentlich wirklich so gelassen oder ist das Teil Ihrer Überlebensstrategie?

Willsch: Ich kenne eben die Realitäten, und ich will nicht als Heulsuse dastehen, die sich beschwert – das tue ich nämlich nicht.

Das ehrt Sie. Aber angeblich zeigt sich der Reifegrad einer Demokratie daran, wie in ihr mit Opposition umgegangen wird. 

Willsch: Sicher, aber die Menschen sind eben wie sie sind. Da sind wir wieder in der Steinzeithöhle.

Ihre Fraktionsführung hat sogar versucht, die Geschäftsordnung zu ändern, damit Abweichler wie Sie überhaupt nicht mehr zur Euro-Rettung sprechen können.

Willsch: Stimmt, aber wir konnten das zum Glück verhindern. 

Kein Skandal? 

Willsch: Man muß eben aufpassen. 

Herr Willsch, wir sprechen über eine Opposition, die noch nicht mal eine „Gefahr“ darstellt, sondern lediglich ein verlorenes Häuflein, dessen Widerrede rein symbolisch ist. Doch offenbar konnte man nicht einmal das ertragen und versuchte, Sie mit Verfahrenstricks mundtot zu machen. So abstrakt wie hier geschildert, würde ein unbedarfter Dritter doch annehmen, wir zwei sprechen über Putins Rußland.

Willsch: Und besonders pikant ist, daß wir Abweichler allen Umfragen zufolge auch noch für die übergroße Mehrheit des bürgerlichen Deutschlands gesprochen haben. Das hat es für einige Kollegen wohl besonders ungemütlich gemacht. Denn natürlich ist es unangenehm, brav der Fraktionslinie zu folgen und sich dann im Wahlkreis vom Wähler Vorwürfe machen lassen zu müssen und zu hören: „Der Willsch stimmt doch auch anders ab, warum nicht Sie?“ Aber noch mal: Wir konnten die Einschränkung des Rederechts abwehren. Auch weil die Presse aufgepaßt hat. Obwohl diese in der Frage der Euro-Rettung sonst nicht besser ist als die Politik – wenn man sich anschaut, wie kritiklos mainstreamig da ganz überwiegend geschrieben wird. Doch hier gab es von den Medien zum Glück dennoch klare Kritik. 

Fazit: Ihre eigene Partei hätte Sie ohne Skrupel mundtot gemacht, hätte sie nur gekonnt. 

Willsch: Was wollen Sie eigentlich von mir hören?

Ich frage mich, ob so etwas nicht die Perspektive verändert?

Willsch: Ich werde Ihnen die Geschichte von der besonderen Verkommenheit des Politikers als solchem, die Sie offenbar hören möchten, nicht liefern.      

Sie sagen doch selbst, daß nur „der Rückhalt in meinem Wahlkreis mir das parlamentarische Überleben gesichert hat“.

Willsch: So ist es.

Haben Sie sich eigentlich schon bei Alexis Tsipras bedankt?

Willsch: Ich bin ihm nicht begegnet. 

Aber seinem Finanzminister Yanis Varoufakis, dem Sie die Leviten gelesen haben, wie man sich bei Youtube anschauen kann. 

Willsch: Na ja, ich saß im Publikum, als er bei einer Diskussion der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung zu Gast war, und habe mich zu Wort gemeldet. 

„Herr Varoufakis, machen Sie die Politik, die Sie machen wollen, aber hören Sie auf, den Steuerzahlern anderer Länder die Rechnung dafür zu schicken!“ haben Sie ihn vom Saalmikrofon aus ermahnt.

Willsch: Dort wurde ihm der rote Teppich ausgerollt. Ich wollte nicht, daß er nur mit diesem Eindruck heimfährt. 

Varoufakis blieb gelassen, das Publikum allerdings hat Sie ausgebuht. 

Willsch: Was zu erwarten war. 

Ohne Herrn Tsipras allerdings wäre das Topthema der Woche nicht das griechische „Nein“, sondern ein drittes Hilfspaket.

Willsch: Sehr wahrscheinlich ja. Dennoch habe ich Tsipras nichts zu danken.

Daß es derzeit nicht um ein neues Hilfspaket geht, ist doch nicht Folge eines Umdenkens in Ihrer Partei, sondern des Umstands, daß Tsipras alles getan hat, um unmöglich zu machen, daß Merkel ihm dieses sonst wohl nur allzu bereitwillig geschnürt hätte. 

Willsch: Das ist wohl wahr. Aber freuen Sie sich doch einfach, daß im Moment nicht erneut deutsches Steuergeld ins Ausland verschoben wird! Natürlich ist die verfehlte Euro-Rettungspolitik damit nicht vom Tisch, das ist mir auch klar. 

Die Eurozone steckt in puncto Griechenland endgültig in der Sackgasse. Die Situation verlangt nach einer Entscheidung – egal in welche Richtung. Deutschland ist als Euro-Führungsmacht dazu berufen, die Initiative zu ergreifen. Drückt sich die Bundesregierung nicht vor der Verantwortung?

Willsch: Ich glaube, man hat Angst, das „Projekt Europa“ zu „zerstören“. Diese Lähmung ist Folge einer mystischen Überhöhung des Euro. Ich dagegen sehe das technisch: Der Euro ist eine Währung, und das Problem ist pragmatisch zu lösen. Wer aber mystisch denkt, dem erscheint dies natürlich als frevelhaft.

Stets wird „unsere historische Verantwortung für Europa“ beschworen, tatsächlich aber ein „Blame game“ gespielt – sprich: keiner will die Verantwortung übernehmen, um nicht als „Schuldiger“ dazustehen. Rangieren in Wahrheit also Feigheit und Eigeninteresse vor „Europa“?

Willsch: Ständig wollen Sie, daß ich meinen Kollegen Noten gebe. Sie sind völlig fixiert darauf!

Merkmal der Demokratie ist die Verantwortlichkeit der Regierung. Es ist also nur demokratisch, danach zu fragen. 

Willsch: Der springende Punkt ist doch ein anderer: Natürlich haben die Griechen das Recht zu machen, was oder zu wählen, wen sie wollen. Sie sollen nur aufhören, andere dafür zahlen zu lassen. 

Sind letztlich aber nicht weder Frau Merkel noch Herr Tsipras an den voraussichtlichen finanziellen Verlusten für Deutschland und dem Leid in Griechenland schuld, sondern der Euro, der – völlig absehbar – Länder zusammengespannt hat, die gar nicht zusammenpassen?

Willsch: Der Euro ist, wie gesagt, eine Währung, also weder Täter noch Opfer. Richtig ist, daß der Euro den Griechen nicht genutzt hat. Satt dessen haben sie ihn ausgenutzt, um in noch höherem Maße über ihre Verhältnisse zu leben. Diese Selbstbedienung hat gleichzeitig dazu geführt, daß ihre Wettbewerbsfähigkeit noch geringer geworden ist. 

Oder andersherum: Es ist, als hätten wir jemandem mit Alkoholproblemen einen Schnaps hingestellt – und echauffieren uns nun, daß er ihn ausgetrunken hat. 

Willsch: Ganz genau! Und weil der Arme danach über einen Kater klagte, bekam er dann zwei Schnäpse von uns hingestellt! 

Das Verhalten Athens hat der Bundesregierung deren harte Haltung ja regelrecht aufgezwungen. Wird sie aber nach dem griechischen „Nein“ auch wirklich dabei bleiben? 

Willsch: Wenn nicht – wenn wir Griechenland alles durchgehen lassen –, dann ist der Euro irgendwann futsch. 

Bisher hat man immer wieder nachgegeben.

Willsch: Und das, obwohl die Eurozone die weit stärkere Verhandlungsposition hat – 18 Mitglieder gegen eines. De facto aber ist sie schwächer, weil man bislang Griechenland unbedingt im Euro halten wollte. Diese Schwäche hat uns schon viel Geld gekostet. 

Genau davon – Griechenland zu halten – müßte man sich nun verabschieden. Ist so ein fundamentaler Positionswechsel wirklich zu erwarten?

Willsch: Irgendwann wird man sich einer realistischen Einschätzung Griechenlands nicht mehr entziehen können. Ob dieser Punkt nun tatsächlich erreicht ist oder wie lange der Weg bis dahin noch sein wird, vermag ich allerdings nicht zu sagen.    


Klaus-Peter Willsch, der „Euro-Rebell“ (Spiegel) und ehemalige Haushaltsobmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gehört zu den wenigen Unionsabgeordneten, die von Anfang an gegen die Euro-Rettungspolitik votiert haben. 2013 verlor der Diplom-Volkswirt dafür seinen Sitz im wichtigen Haushaltsausschuß und wurde in den Ausschuß für Wirtschaft und Energie versetzt. Der 54jährige ist Mitglied im Landesvorstand der Hessen-CDU, war Vize-Vorsitzender der hessischen Landesgruppe und Beisitzer im Vorstand der Bundestagsfraktion. Geboren wurde Willsch 1961 in Bad Schwalbach im Taunus. 

Foto: Willsch im Parlament: „Besonders pikant ist, daß wir paar Abweichler allen Umfragen zufolge für die übergroße Mehrheit des bürgerlichen Deutschland gesprochen haben“

 

 

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