© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/15 / 10. Juli 2015

Die Bewährung
AfD nach dem Parteitag: Die Herausforderungen für die neue Vorsitzende Frauke Petry
Dieter Stein

Nach monatelangem internem Machtkampf hat die AfD am vergangenen Wochenende eine klare Entscheidung gefällt. 60 Prozent der anwesenden 3.500 Mitglieder wählten bei dem vermutlich größten Parteitag der deutschen Nachkriegsgeschichte Frauke Petry zur neuen Vorsitzenden und schickten Bernd Lucke in die Wüste.

Versuche, den über Monate eskalierenden Führungsstreit durch Kompromisse zu entschärfen, hatten sich zerschlagen. Lucke und Petry wollten die Scheidung, damit die Scheidung der Partei – und sie bekommen sie. Mit allen Folgen.

Das Petry-Lager ist keineswegs so homogen wie unterstellt. Es wurde vor allem durch die Ablehnung Luckes zusammengehalten, der durch Führungsfehler Rückhalt verloren hatte. Ein verunglückter Mitgliederentscheid, „rote Linien“ und eine von oben diktierte programmatische Einengung ohne offene Debatte wollten sich viele Mitglieder nicht aufnötigen lassen. Frauke Petry wiederum erreichte das Herz vieler Mitglieder, indem sie monatelang Kreisverbände bereiste und das Vertrauen in direktem Kontakt gewann.

Die Wahl von Petry ist für die AfD zunächst ein Befreiungsschlag. Daraus droht jedoch ein Pyrrhussieg zu werden, wenn es zum massenhaften Exodus von Mitgliedern des gemäßigten Flügels der Partei kommt. Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der mit dem Bild einer „NPD im Schafspelz“ aus Frustration maßlos überzieht, hat die Partei bereits verlassen. Der gerade auch bei Konservativen außerordentlich beliebte Volkswirtschaftsprofessor Joachim Starbatty – Symbolgestalt des jahrelangen Kampfes gegen den Euro –, den Petry noch erfolglos als ihren zweiten Sprecher vorgeschlagen hatte, wird offenbar folgen. Es läuft eine teilweise konzertierte Austrittswelle, die Fraktionen in Brüssel, aber auch in einigen Landtagen schwächen könnte. Das wird nicht folgenlos bleiben. Der möglichen Gründung einer neuen Partei als AfD-Abspaltung werden nach allen Erfahrungen kaum Chancen eingeräumt. Sie wird aber den Polarisierungsdruck auf die AfD erhöhen.

Petry hat nur eine Chance: Sie muß einen überzeugenden Neuanfang hinlegen. Sie muß dem fatalen Bild eines „Rechtsrucks“ entgegenwirken. Die Wahl des Volkswirtschaftsprofessors Jörg Meuthen zum zweiten AfD-Vorsitzenden, den auch Lucke in seinem Personaltableau hatte, und der als charismatischer, aber besonnener Vertreter des liberal-konservativen Flügels gilt, war hier ein wichtiges Signal, einem im Auge der Öffentlichkeit drohenden Abdriften der AfD entgegenzusteuern. 

Meuthen, der sich als Ordoliberaler versteht, könnte nicht nur das wirtschaftspolitische Profil der AfD repräsentieren, es fiele ihm auch zu, die Partei im März 2016 im wichtigen westdeutschen Flächenstaat Baden-Württemberg in eine entscheidende Landtagswahl zu führen. Denn auch der dortige Landeschef Bernd Kölmel hat seinen Austritt erklärt. Die Wahl in Baden-Württemberg ist aufgrund des dortigen Wahlrechts organisatorisch besonders schwierig. Im grün-rot regierten liberalen Stammland hat die AfD Erfolgschancen nur dann, wenn sie Geschlossenheit und bürgerliche Reputation zurückgewinnt.

Frauke Petrys größte Herausforderung wird es deshalb sein, die bereits auf dem Parteitag auch unter ihren Anhängern lebhaft diskutierte Gefahr unter Kontrolle zu bringen, daß die AfD mit Karacho in eine politische Sackgasse schleudert. Der Verlust des Lucke-Flügels erhöht arithmetisch das Gewicht des bislang marginalen Rechtsaußenflügels, der das Bild der Partei zunehmend bestimmen könnte. Für diesen Flügel, der Petrys Wahl ermöglichte, stehen die Landeschefs von Thüringen und Sachsen-Anhalt, Björn Höcke und André Poggenburg. Diesen Flügel zu bändigen, der letztlich eine radikalisierte Partei will, daran scheiterte bereits Lucke mit untauglichen Mitteln. Höcke verkündete am Rande des Parteitages warnend, Petry sei für ihn das „kleinere Übel“. 

Petry könnte sich schneller als sie denkt in derselben verfahrenen Lage wie Lucke wiederfinden, der von der Parteirechten als „zu weichgespült“ angegriffen wurde. Die Parteichefin muß klarstellen, wo für sie bei allem löblichen Einsatz für Basisdemokratie und Meinungsfreiheit die Grenzen sind und ob sie jede sektiererische politische Strömung integrieren will. Ob „Reichsbürger“, die Deutschland als unsouveräne „BRD GmbH“ ansehen, Anhänger der „Identitären Bewegung“ mit Querverbindungen ins NPD-Milieu, Vertreter einer pseudoelitären „Neuen Rechten“, die mit Konzepten italienischer Neofaschisten sympathisieren oder nationalbolschewistische Putin-Jünger: Die AfD scheitert, wenn sie zum Staubsauger für Spinner und politische Hasardeuren aller Art wird.  

Formalistische Abgrenzungen sind hier manchmal unumgänglich. Sie tragen jedoch nicht, wenn der eigene Standpunkt nicht positiv programmatisch begründet wird. Ob Petry sich hier mit ähnlich eiserner Entschlossenheit durchsetzt wie in der Auseinandersetzung mit ihrem Rivalen Bernd Lucke, muß sie zeigen. Ansonsten wiederholt sich für die AfD das Schicksal der Republikaner. 

Letztlich wird der „Fall AfD“ insgesamt zeigen, ob es in Deutschland überhaupt ein politikfähiges Milieu neben Union und FDP gibt, das eine demokratische Lücke im Parteienspektrum seriös zu füllen in der Lage ist. Das „Wogegen“ reicht eben auf Dauer nicht aus. Die politische Lage schreit nach einer bürgerlichen politischen Alternative. Es wäre tragisch, sollte der größte Parteitag auch die größte politische Abschiedsvorstellung gewesen sein.