© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Laßt den Tinder-Tinnef!
Geh zu ihr oder ihm, statt online zu gehen
Bernd Rademacher

Wie konnten sich unsere Eltern bloß kennenlernen, wo es doch ihrerzeit keine „Dating-Apps“ gab? Früher fragte man das Spieglein an der Wand, wer die Schönste im ganzen Land sei, heute sein Smartphone. Dem Schicksal oder gar dem Herrgott scheint niemand mehr zu trauen, auf den Zufall ist auch kein Verlaß. Darum gibt es einen schier unüberschaubaren Markt für virtuelle Partner-Portale: von seriös bis elitär, von Damenwahl bis Testsieger – Männer und Frauen treffen sich zum Speed-Dating, Blind-Dating, Dinner-Dating ... aber nicht mehr zufällig im Park oder Aufzug.

Das nächste große Ding: Eine App namens „Tinder“, bei der sich die Nutzer als Produkt vermarkten und ein Endlosband mit Gesichtern starten. Tinder schlägt Facebook-Freunde von Facebook-Freunden als potentielle Partner vor. Die Anbieter posten fleißig Selfies in Verführerpose, die Konsumenten lassen sie mit einem Wisch über die Glasscheibe an sich vorbeihuschen. Anstrengend und frustrierend. Die internetaffinen Medien geraten vor Enthusiasmus ins Hecheln, das Lifestyle-Magazin Neon brachte jüngst eine Titelgeschichte.

Das Trauerspiel in den Sehnsuchtsanzeigen

Tinder wirbt damit, daß die einsamen Herzen das Suchgebiet auf wenige Kilometer eingrenzen können, um „Singles aus deiner Nachbarschaft“ zu treffen. Dabei haben wissenschaftliche Studien ohnehin längst belegt, daß die meisten Paare auf dem Dorf wie in der Metropole aus demselben Dunstkreis stammen. Man könnte also auch einfach vor die Tür gehen.

Nicht nur im Netz, auch in den Sehnsuchtsanzeigen von Stadtmagazinen ein Trauerspiel! Absolut typisch sind Inserate wie dieses: „Ich sah dich (rote Haare, grünes Kleid) in der Regionalbahn von X nach Y. Wir hatten mehrfach Blickkontakt, und beim Aussteigen hast du mich so nett angelächelt. Leider habe ich mich nicht getraut, dich anzusprechen.“ Man möchte sich vor die Stirn schlagen. Du Depp hast es vermasselt!

Was ist es, was die Jungs so hemmt, bremst und verunsichert? Die aufgepumpte Empörung über „Rollenklischees“, „Dirndl-Gates“ und Fensterln-Verbote? Die Burschen haben das Balzen verlernt und schieben den Mädels die Hürde des ersten Schrittes zu. Kein Wunder, daß landauf, landab Flirtschulen eröffnen und ihre „Workshops“ ausgebucht sind. Wir lernen: Frauen freuen sich über charmante Komplimente. Und wenn sie es nicht tut und statt dessen „Sexismus!“ kräht – vergiß sie! Gerade jetzt im Sommer sind die Kontaktgelegenheiten zahlreich und günstig: beim Festival, im Straßencafé, am Badesee, im Freibad – überall warten die Mädels auf couragierte Jungs, die sich trauen. Die wahren Singlebörsen sind Straße und Arbeitsumfeld. Hier gilt wirklich: „What you see, is what you get.“ Die besten Chancen bieten übrigens Kinderspielplätze – wo die vielen schönen alleinerziehenden Mütter sind ... Und das ganz ohne Anmelden, ohne Kosten, ohne Stromquelle. Faß dir ein Herz! Mach es einfach!

 Nein! Keinen Verweis auf Internetseiten!  Absichtlich nicht! Raus ins Leben! Und ran!