© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Für viele, nicht für alle
Wolfgang Ockenfels

Wer sich für ein Leben in Ehelosigkeit entschieden hat, kann mit der Formel „Ehe für alle“ nicht viel anfangen. Es gibt gute Gründe für den Zölibat, mit denen die katholische Kirche an die biblische Überlieferung anknüpft. „Wer es fassen kann, der fasse es.“ „Um des Himmelreiches willen“ unverheiratet zu bleiben, unterliegt der freien Glaubensentscheidung, die toleriert werden sollte. Auch wer aus anderen gewichtigen Gründen die Ehe meidet, verdient Respekt.

Es mutet merkwürdig an, daß die Ehe, die lange Zeit als Auslaufmodell galt, plötzlich „für alle“ attraktiv gemacht werden soll. Und zwar durch staatliche Anreize besonders für jene, deren Verbindung unfruchtbar bleibt. Die katholische Kirche tritt gerade durch ihren zölibatären Klerus für die klassische Ehe zwischen einem Mann und einer Frau ein, die für den Fortbestand eines Volkes, einer Gesellschaft sorgen. Es geht auch Papst Franziskus um die klassische Definition und Zweckbestimmung der Ehe. Von den Inklusivisten läßt er sich nicht vereinnahmen. Die Ehe ist nicht „pro omnibus“, sondern „pro multis“ – nicht für alle, sondern für viele.

Der Begriff der Ehe ist nicht wie eine leere Hülse, die sich mit beliebigen Partnerschaftsverhältnissen füllen ließe. Die Argumente für eine klassische Definition greifen das abendländisch-christliche Erbe auf und nicht einen flüchtigen Zeitgeist.

Aber warum eigentlich? Die Argumente greifen das abendländisch-christliche Erbe auf – und nicht irgendeinen flüchtigen Zeitgeist. Der Begriff der Ehe ist nicht wie eine leere Hülse, die sich mit beliebigen Partnerschaftsverhältnissen füllen ließe. Die semantische Strategie der Linken gleicht einem faulen Zauber, der durch hermeneutische Interpretation zunächst eine „westliche Lebenswirklichkeit“ zu rekonstruieren versucht, die dann als normativ postuliert wird. Ein typischer Fall für einen „naturalistischen Fehlschluß“ (David Hume), der vom empirischen Sein auf ein normatives Sollen schließt.

Auch bei der römischen Familiensynode im Herbst wird sich die Weltkirche nicht dem westlichen Trend anpassen, gleichgeschlechtliche oder andere Kombinationen als „Ehen“ zu akzeptieren. Das wird die Homo- und Genderlobby in Rage bringen. Und der diffamierende „Kampf gegen Rechts“ wird vornehmlich die Kirche ins Visier nehmen. Ihre Position läßt sich wie folgt zusammenfassen:

1. Was homophile Veranlagungen oder Neigungen betrifft, sind sie durchaus zu unterscheiden von ausgeübten sexuellen Praktiken, die sich in homosexuellen Partnerschaften verfestigen können. Diese sind aus biblischer Sicht moralisch zweifelhaft, auch wenn sie der homosexuellen Promiskuität, also dem ständigen Partnerwechsel, vorzuziehen sind. Wenn sie auch toleriert werden sollen, sind sie noch längst nicht in einem christlich-moralischen Sinne zu akzeptieren.

2. Aus christlicher Sicht ist die staatlich-rechtliche Anerkennung und finanzielle Prämierung solcher – von Natur aus unfruchtbaren – Verbindungen höchst problematisch, weil sie in Konkurrenz treten zu einem christlichen Ehe- und Familienverständnis, das neben der lebenslangen Liebe und Treue der Ehepartner eben auch auf die Erzeugung und Erziehung des Nachwuchses ausgerichtet ist.

3. Warum anerkennt der Staat rechtlich nicht das Zusammenleben und solidari-sche Zusammenstehen von Partnerschaften zwischen Menschen, die etwa als Geschwister füreinander eintreten? Ihnen ein inzestuöses Verhalten zu unterstellen, wäre infam.

4. Noch nicht wird staatlicherseits die islamische Polygamie anerkannt. Das aber ist wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die Polygamie ist mit der Gleichberechtigung der Ehegatten nicht vereinbar. Sie bringt zwar mehr Kinder hervor als die Monogamie, verstößt aber gegen die Menschenwürde. Mit dem sakramentalen Eheverständnis der Kirche lassen sich polygame Verhältnisse nicht legitimieren.

5. Der Staat muß zur Sicherung seiner Zukunft daran interessiert sein, aus „eigenen Beständen“ Nachwuchs hervorzubringen. Ihn aus den armen Ländern zu rekrutieren, ohne die familiären Lasten der Erziehung und Ausbildung zu tragen, wäre egoistisch. Überdies schädigt die Abwerbung junger Fachkräfte die Entwicklungsländer. Ein neuer Kolonialismus entsteht.

6. Die rechtliche und finanzielle Gleichstellung beliebiger Partnerschaften mit der Ehe läuft auf eine Entwertung der durch Artikel 6 des Grundgesetzes gewährleisteten Privilegierung von Ehe und Familie hinaus. Wer Privilegien „für alle“ vorsieht, schafft sie ab. Durch die Gleichmacherei wird die Gemeinwohlbedeutung von Ehe und Familie völlig verkannt. Eine Gesellschaft, die das Wohl von Vätern, Müttern und Kindern mißachtet, kann abdanken.




Prof. Dr. Wolfgang Ockenfels, Jahrgang 1947, ist Publizist, Chefredakteur der sozialethischen Zeitschrift Die Neue Ordnung und Professor für christliche Sozialethik an der Theologischen Fakultät Trier. Auf dem Forum ging er zuletzt der Frage nach, was nach dem Kapitalismus komme („Schwanken als Prinzip“, JF 35/11).