© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

„Doof und unverantwortlich“
Griechenland: Der Schlingerkurs der Tsipras-Regierung erzürnt und verunsichert nicht nur die Mittelschicht, auch alte Gefolgsleute sehen sich getäuscht
Panayotis Doumas, Athen

Plötzlich soll das Volk über seine Zukunft entscheiden. Zur Überraschung der Hellenen und der ganzen EU zauberte die sozialistische Syriza im Verein mit den Unabhängigen Griechen (Anel)  das Referendum über den Verbleib des Landes im Euro aus dem Ärmel.

Verkehrte Welt. Denn während die  rechtsextreme Bewegung Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) für den Weg des sozialistischen Ministerpräsidenten  Alexis Tsipras stimmte, schloß sich die kommunistische KKE der Oppostion um die konservative Nea Dimokratia (ND), der liberalen To Potami sowie der sozialistischen Pasok an und stimmte dagegen. 

 Vor allem das „Timing“ der Referendumsbekanntgabe lag letzteren schwer im Magen. Schnell machten Informationen die Runde, daß das Referendum  erst zur Sprache kam, nachdem die Pensionen der Staatsbeamten überwiesen und gleichzeitig Tausende griechische Unternehmer ihre Schulden bei den Staatskrankenkassen und dem Finanzamt mit großzügigen Überweisungen geregelt hatten.

Die Taktiererei von Regierungschef Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis sorgt nicht nur in der EU für Unmut. Auch in Griechenland mehren sich die Stimmen, die betonen, daß die endlosen Verhandlungen ein gut inszeniertes Theaterstück waren. 

Rückkehr zur Drachme? Ein Blick auf die Berichterstattung vor der entscheidenden Parlamentswahl am 25. Januar dieses Jahres läßt kaum einen Zweifel aufkommen, daß Syriza eine Rückkehr zur Drachme als As im Ärmel trug. 

Zweifel an ernsthaftem Verhandlungswillen

So pries Finanzminister Varoufakis, bei einem Gespräch mit Reportern im lokalen Arbeitszentrum der Stadt Xanthi, das Entwicklungspotential der vormaligen griechischen Währung. Selbst Tsipras hatte in der Vergangenheit beinah schon gebetsmühlenartig angekündigt, daß eine Syriza-Regierung die weitere Teilnahme Griechenlands in der Währungsunion kritisch überprüfen werde.

Spät wachen nun alte Gefolgsleute  Syrizas auf. Giorgos Papadopoulos Tetradis, ein bekannter linker Journalist, bis vorgestern fanatischer Unterstützer von Tsipras, entschuldigte sich für seinen Weg und meldete kurz nach der Referendumsentscheidung in seinem Facebook-Profil: „Nach den gestrigen Entwicklungen wird immer deutlicher, daß zwei Szenarien möglich sind. Entweder die, die uns regieren, sind doof und unverantwortlich. Oder sie hatten  von Anfang an geplant, nicht ernsthaft zu verhandeln, so daß sie eines Tages den Tisch verlassen und ihre Gesprächspartnern der Intoleranz beschuldigen und das Land zur Drachme führen.“

„Wir haben heute die Möglichkeit, uns selbst und der ganzen Welt zu beweisen, daß das Recht gewinnen kann. Wir haben ein weiteres Mal die historische Chance, eine Botschaft der Hoffnung und der Würde nach Europa und in die ganze Welt hinauszuschicken“, erklärte Tsipras am vergangenen Sonntag und kritisierte in bekannter Weise die „Erpressungen“ der EU. Zugleich forderte er die Griechen auf, mit einem deutlichen Nein für seinen Kurs zu stimmen.

Zurück bleiben eine verunsicherte Mittelschicht, zermürbte Bürger, die ihre Zeit mit Schlangestehen an Bankautomaten, Zapfsäulen und Supermarktkassen vergeuden, sich wundern, wer die Kosten für das Referendum in Höhe von 110.000.000 Euro trägt, und sich fragen, was der bürokratische Text auf dem Referendumszettel eigentlich letztlich bedeutet.