© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Unhaltbare Zustände
Ungarn: Die grüne Grenze zu Serbien dient als Einfallstor illegaler Migranten / Kleinbauern um Ernte besorgt
Dávid Huszti

Die  illegale Einwanderung stellt Ungarn auf eine harte Probe. Die Asylanträge sind im Vergleich zum Vorjahr um 1.236 Prozent gestiegen. Waren es im ersten Quartal 2014 lediglich 2.455 Anträge, so sind es jetzt 32.810. Der EU-Schnitt liegt dagegen „nur“ bei 86 Prozent – von 94.400 auf 184.815 Anträge. Ungarn gilt damit als Spitzenreiter innerhalb der EU, und die Tendenz steigt. Außenminister Péter Szijjártó rechnet allein in diesem Jahr mit 61.000 illegalen Einwanderern und warnt vor unhaltbaren Zuständen bei der Verpflegung und Unterbringung der Zuwanderer. Auch stünden Polizei und Verwaltung kurz vor dem Kollaps.

Unter Druck steht vor allem aber die ländliche Bevölkerung direkt an der „grünen“ Grenze zu Serbien. Brennpunkt ist die Gegend um die südungarische Stadt Szeged. Laut Antal Vass, Präsident des Landwirtschaftszirkels Mórahalom, bereiteten den Kleinbauern nicht einmal die zertrampelten Getreidefelder die größten Sorgen, sondern in erster Linie die enormen Schäden im Obst- und Gemüseanbau. 

Irritationen um Orbáns Zuwanderungspolitik

Die Regierung Viktor Orbán steht unter Druck und agiert dabei nicht immer geschickt. So sorgte Anfang Juni eine landesweite Plakatkampagne zum Thema Einwanderung für Negativschlagzeilen. Darauf standen Hinwei­se: „Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du keinem Ungarn die Arbeit wegnehmen!“, „Wenn du nach Ungarn kommst, mußt du un­sere Gesetze einhalten!“, „Wenn du nach Ungarn kommst, mußt du unsere Kul­tur respektieren!” Das Resultat: Die Opposition startete spendenfinanzierte satirische Gegenplakat-Aktionen. Aber auch Fidesz-intern war Kritik von einflußreicher Seite zu hören. So hielt etwa EU-Parlamentarier József Szájer fest: „Lernen wir Stil!“

Auch die Ankündigung der ungarischen Regierung, entlang einer 175 Kilometer langen Grenzstrecke einen vier Meter hohen Zaun zu errichten, erregte die Gemüter sowohl im In- als auch Ausland. Schließlich sorgte ein Interview mit Regierungssprecher Zoltán Kovács für Aufsehen. Dieser erklärte im Gespräch mit der österreichischen Zeitung Die Presse: „Wir alle wünschen uns eine europäische Lösung, aber wir müssen die ungarischen Interessen wahren und unsere Bevölkerung schützen“, denn „das Boot ist voll“, und Ungarn könne unmöglich weitere 10.000 Dublin-Fälle übernehmen.

 Der Rechtstext von Dublin-III, der für alle EU-Staaten verbindlich gilt, regelt die Zuständigkeit der EU-Länder für die Bearbeitung von Asylverfahren: Es ist immer jenes Land für die Flüchtlinge zuständig, in dem Schutzsuchende erstmals EU-Boden betreten haben.

Besonders die Nachbarländer Ungarns würden aber bei einer Suspendierung von Dublin-III unter massiven Druck geraten. Entsprechend zeigte sich die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) über Ungarns „völlig inakzeptables“ Vorgehen empört: „Ich erwarte mir hier auch eine sofortige Reaktion der europäischen Kommission, daß hier konkrete Maßnahmen gesetzt werden.“ 

Budapest beklagt Ignoranz der EU-Kommission 

Außenminister Szijjártó stellte kurz darauf in einem Telefonat mit dem österreichischen Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) jedoch klar, daß von der „Aufhebung irgendeiner EU-Rechtsregel“ keine Rede sein könne. Budapest wolle Österreich lediglich um Geduld bitten, da das eigene Asylsystem überlastet und die Kapazitäten des Landes erschöpft seien. Zusätzlich verwies Szijjártó auf den Umstand, daß ein Großteil der Zuwanderer die EU zum ersten Mal in Griechenland betreten hätten.

Parallel dazu stellte Ungarns EU-Botschafter Péter Györkö gegenüber der Kommission klar, daß Dublin-III nicht einseitig gekündigt worden sei. Budapest habe „keine rechtswirksame Entscheidung zur Suspendierung irgendwelcher Elemente des Dublin-Systems getroffen“. Vielmehr, so Györkö weiter, möchte Ungarn eine „dringende Bitte“ formulieren, daß das Land nicht „unbegrenzt Menschen aus anderen Staaten übernehmen“ könne. Unmut äußerte der Diplomat darüber, daß die EU-Kommission den ungarischen Sorgen bisher zuwenig Gehör geschenkt habe.