© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/15 / 03. Juli 2015

Die Angst vor dem Euro-Aus
Griechenland: Grexit-Gefahr setzt die Große Koalition unter Druck
Paul Rosen

Das griechische Drama will einfach kein Ende finden. Der Schlußakt hat offenbar immer noch nicht begonnen. In Berlin sind sich Koalition und Opposition einig, daß den unmittelbar vor der Pleite stehenden Südeuropäern die Tür nicht zugeschlagen werden soll. Offene Kritik an Kanzlerin Angela Merkel gibt es nicht. Die Regierungschefin hat das Heft des Handelns noch in der Hand und setzt erst einmal wie EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker auf das Prinzip Abwarten – zum Beispiel auf das Ergebnis einer Volksabstimmung in Griechenland. Dieses Referendum könnte am Sonntag stattfinden, auch wenn niemand sagen kann, worüber die Griechen eigentlich abstimmen sollen. Denn ein ausgefeiltes Angebot aus Brüssel gibt es genausowenig wie überzeugende griechische Reformvorschläge.

Niemand will die Tür ­zuschlagen

Dennoch scheint klar zu sein, daß nach einem Referendum (oder auch ohne Referendum) weiter verhandelt wird: „Nach einer Volksabstimmung bleibt die Tür natürlich offen“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Er relativierte damit Äußerungen seines Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der zuvor drastisch formuliert hatte, sollten die Griechen nein zum Euro sagen, dann werde es keine Gespräche mehr geben: „Dann finde ich, darf niemand den Eindruck erwecken, dann würden die Verhandlungen fortgesetzt.“ CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder hatte zwar, um den nur verdeckt operierenden Kritikern in seiner Fraktion entgegenzukommen, von der Einführung einer Übergangswährung in Griechenland gesprochen, dürfte aber vermutlich selbst nicht genau gewußt haben, was das sein könnte. Die Tür zuschlagen will Kauder aber auch nicht: „Wenn das Ergebnis der Volksbefragung vorliegt, werden wir abzuwarten haben, was Griechenland sich dann vorstellt.“ Das hatte auch Merkel so gesehen und zugesagt, die Bundesregierung werde sich weiteren Verhandlungen auch nach dem Referendum „nicht verschließen“. Sie wiederholte sogar ihren inzwischen legendären Satz „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Allerdings schränkte sie ein, daß der Euro nicht an Griechenland scheitern werde. Europa sei „robuster“ geworden.

Ein paar Zahlen zeigen, daß es im Fall Griechenland um mehr geht als nur um 1,5 Milliarden, die das Land bereits nicht mehr an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen konnte. Von den internationalen Geldgebern wurden bisher 325 Milliarden Euro in das Land gepumpt. Die Überziehungskredite der Europäischen Zentralbank (Target-Salden) betragen rund 100 Milliarden Euro, die unter dem Begriff ELA bekanntgewordenen Nothilfen der EZB liegen im Bereich von 100 Milliarden. Das Ergebnis dieser Politik faßte die österreichische Zeitung Kurier in wenigen Sätzen zusammen: „Die Wirtschaftsleistung ist um ein Drittel zurückgegangen. Wer noch Arbeit hat, verdient um 50 Prozent weniger. Drei Millionen Griechen haben keine Sozialversicherungen. Ein Viertel der Bevölkerung und über Hälfte der Jungen sind ohne Arbeit, viele davon seit Beginn der Krise.“ Welche Auswirkungen ein endgültiger Ausstieg Griechenlands aus dem Euro auf die Bundesbürger haben könnte, machte die Franfurter Allgemeine deutlich: „Deutsches Verlustrisiko beträgt rund 90 Milliarden Euro.“ Das entspricht knapp einem Drittel des Bundeshaushalts. Es ist allerdings unklar, in welchem Umfang die Verluste bei einem „Grexit“ realisiert werden müßten – etwa durch Steuererhöhungen oder staatliche Ausgabenkürzungen, oder ob Deutschland nicht auch mit einer Bundesbank ohne Grundkapital oder mit negativem Grundkapital zurechtkommen würde.

Allerdings würde die politische Verantwortung mit Merkel und Gabriel nach Hause gehen. Und das ist weder für die SPD, die sich den erneuten Verschleiß eines Parteivorsitzenden nicht leisten kann, akzeptabel noch für die CDU/CSU, in der nicht nur die Euro-Rettung, sondern auch Kanzlerin Angela Merkel derzeit „alternativlos“ ist. Da die innenpolitische Konkurrenz von Eurokritikern wie der Alternative für Deutschland (AfD) derzeit schwach ist, besteht derzeit wenig Sorge um die eigenen Abgeordnetenmandate, so daß von den Hinterbänklern im Parlament zwar ein unzufriedenes Grundrauschen zu vernehmen ist, aber in der Öffentlichkeit sind sie weitgehend ruhig. 

Angst vor der nächsten Krise

Außerdem stehen Regierung und Fraktionen unter erheblichem außenpolitischem Druck: Frankreichs Präsident Hollande will die Griechen im Euro halten, der amerikanische Präsident Barack Obama ebenfalls. 

Und der ungewöhnlich starke Anstieg der Zinsen für italienische und spanische Staatsanleihen (trotz des EZB-Ankaufprogramms) hat den Regierungen in Rom und Madrid in den vergangenen Tagen vor Augen geführt, daß der Euro überhaupt nicht so „robust“ ist, wie das von Merkel in Berlin behauptet wird. Klar ist: Wenn Griechenland geht, dann rückt die Krise zum nächsten Pleitestaat vor. Das könnte angesichts der dramatischen Staatsverschuldung Italien, Spanien oder sogar Frankreich sein. 

Die Konsequenz für Griechenland ahnt Clemens Fuest, Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung: „Alle Akteure haben einen Anreiz, den Konkurs weiter zu verschleppen.“ Von Merkel über Hollande bis zum EZB-Präsidenten Mario Draghi müßten dann alle Verantwortlichen erklären, warum sie den Geldhahn nicht früher zugedreht haben. Was bei der Verschleppungsaktion herauskommen wird, weiß heute schon der ehemalige Chefvolkswirt der EZB, Jürgen Stark. Stark war Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und kennt das Euro-System und seine Verwalter wie seine Westentasche: „Welches auch immer das Ergebnis dieser Posse sein wird, die Abmachungen werden das Papier nicht wert sein, auf dem sie niedergeschrieben werden. Wann sieht man endlich ein, daß Griechenland ein gescheiterter Staat ist?“