© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Wahn, Wahn, überall Wahn
Horst Demmlers Streitschrift gegen die Verirrungen des grünen Zeitgeistes polemisiert kräftig und schüttet dabei das Kind mit dem Bade aus
Heiko Urbanzyk

Wenn es einen Wettbewerb in den Disziplinen Heuchelei, Schamlosigkeit und Selbstgerechtigkeit gäbe, wären die Grünen kaum zu schlagen.“ Der Schlußfolgerung von Horst Demmler nach über 400 Seiten Streitschrift über die Protagonisten der Partei Die Grünen werden manche Leser sicherlich zustimmen. Besonders manchem Konservativen spricht der emeritierte Professor für Volkswirtschaftslehre (Universität Gießen) ganz sicher aus der Seele, wenn er vielen Anhängern der Grünen eines zu bescheinigen weiß: ihre Unfähigkeit zur Selbstkritik. 

Lebhaft zeichnet der Verfasser, Jahrgang 1931, das Bild der moralinsauren, stets sich überlegen fühlenden 68er und ihrer grünen Erben nach. Vor ihren Nazi-Vorwürfen gegen jeden, der nicht die „Gnade der späten Geburt“ (Helmut Kohl) erfuhr, waren selbst NS-Kritiker wie Sebastian Haffner, Erich Kästner und Theodor Adorno nicht sicher. Die grüne Empörungsrhetorik von der angeblichen „Skinheadmentalität“ eines Laurenz Meyer (CDU), der sich zum Asylrecht kritisch äußerte und manch andere rechthaberische Entgleisungen hält Demmler für „moralische Aggressivität in ihrer widerwärtigsten Form“. Der aggressive Moralist sei „guten Gewissens ein zeitgemäßer Inquisitor“. 

Zahlreiche der gesammelten Zitate mögen nicht allen bekannt sein und wenn doch, dann Erinnerungen an alte „Skandale“ hervorrufen. Manche Schilderungen wie die Übernahme der Grünen durch die K-Gruppen oder der Fall Jenninger dürften für viele Leser nichts Neues sein. Zu den interessanteren Seiten gehören Fundstücke wie die „Kleine Anfrage an die Bundestagsfraktion der Grünen“ durch das Berlin Manhattan Institut – mit Hinweisen auf die Spender der Grünen aus der Erneuerbare-Energien-Branche. Letzteres disqualifiziert die Grünen allerdings nicht mehr als alle anderen Bundestagsparteien auch. Letztlich betreibt jede ihre Klientelpolitik.

Leider wirft Demmler bei seinem Kampf gegen den „grünen Wahn“ die grüne Partei mit allen anderen ökologisch Bewegten in einen Topf: Ökologie, das ist für Demmler anscheinend durchweg Marxismus, Dummheit, ökonomisches Unwissen. Das dürfte manchem konservativen Ökologen vor den Kopf stoßen und muß Widerspruch erzeugen. Ob biologische Landwirtschaft, Wachstumskritik oder Erneuerbare-Energien-Gesetz? Alles schlecht, und zwar nur schlecht! Dagegen sein, weil es Rot-Grüne gut finden?

Freilich legt Demmler kein Pamphlet hin. Seine Ausführungen haben Hand und Fuß. Aber manche Argumente wirken wie an den Haaren herbeigezogen. Der Autor beginnt Ausführungen über Biolandwirtschaft mit esoterischen Zitaten des „Okkultisten“ Rudolf Steiner – die freilich nicht jeder seriös finden muß –, und endet ganz selbstverständlich beim Ehec-Skandal. Er scheint es geradezu zu genießen, hierin einen Beleg für eine vermeintliche Gefährlichkeit ökologischer Landwirtschaft vorzufinden.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis der aktuelle und bisweilen hysterische Trend um vegane Ernährung, Tierrechte, Klimawandel, EEG und ähnliche Themen heftige Gegenreaktionen hervorruft. Aber die Eiferer des einen Lagers sind nicht besser als die Eiferer des anderen. Einen Gewinn daraus hat nur, wer sich beide Seiten anhört. Nur wer dazu nicht willens und fähig ist, oder wer von „grünen“ Themen mittlerweile ebenso abgestumpft ist wie Demmler, findet in dem Buch gewinnbringende Tatsachen und Ansichten.

Horst Demmler: Wider den grünen Wahn. Eine Streitschrift. Edition Oetopus, Münster 2015, gebunden, 410 Seiten, 20,40 Euro