© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Die Medien diskriminieren sich selbst
„Schlank durch Schokolade“ ist wie „schlau durch Zeitungslektüre“ – ein Abgesang auf die „Lügenpresse“
Ronald Berthold

Ein lustiger Spruch unter Journalisten lautet: „Ich lasse mir doch durch die Recherche nicht meine gute Geschichte kaputtmachen.“ Wurde im vorigen Jahrhundert darüber in den Redaktionskonferenzen noch herzlich gelacht und dann doch nachgeforscht, ist dieser Satz heute mehr Maxime denn Selbstironie. Gerade erst schaffte es eine Meldung über eine Schokoladen-Diät in die Schlagzeilen. Angeblich helfe Schokolade beim Abnehmen. Alle großen Medien (etwa RTL, Bild, Focus Online), berichteten in großer Aufmachung über die vermeintliche Sensation. Dabei war die ganze Geschichte eine Erfindung des ZDF. Der Sender wollte damit zeigen, wie unseriös Wissenschaftsjournalismus funktioniert. Experiment gelungen, kann der Zuschauer da nur sagen. Aber auch der eigenen Glaubwürdigkeit weiter geschadet.

Das Institut, das die Diät-Studie vermeintlich herausgab, existiert überhaupt nicht. Also hat nicht einmal die selbstverständlichste Recherche stattgefunden, nämlich ein Anruf bei den Urhebern der Arbeit. Hätten Medien dies auch nur versucht, wäre die Geschichte sofort als Fake entlarvt worden. Doch für die Recherche nimmt sich heute kaum noch jemand Zeit. Dabei ist genau das die Hauptaufgabe von Journalisten: überprüfen, aufdecken und dann berichten. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es wird oft nur noch abgeschrieben, kopiert und eingefügt.

Tröglitz, Sebnitz und       der „Pegida-Tote“

Das ist eine bequeme Methode. Doch in Zeiten der Medien-Skepsis dient die nicht unbedingt dazu, Schlagwörter wie „Lügenpresse“ zu widerlegen und verlorene Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Die Schoko-Diät ist nur eines von vielen Beispielen.

Politisch prominenter sind die Falschmeldungen über vermeintliche rechte Gewalttaten. Nach der Erfindung, daß Skinheads im Sebnitzer Freibad ein Kind vor den Augen vieler Einwohner ertränkt hätten, kam kürzlich die hysterische Geschichte vom ersten „Pegida-Toten“ in Dresden. Tatsächlich hatte ein Asylbewerber einen Landsmann aus Eritrea ermordet, wie sich nur einige Tage später herausstellte. Doch aus all dem – und diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisberges – hat die Branche nichts gelernt: Es folgte die Story von der NS-Brandstiftung in Tröglitz. In dem abgebrannten Gebäude sollten demnächst Asylanten untergebracht werden. Für die Politik und damit auch die Medien als deren Exekutionsorgan stand – ohne Recherche und ohne kriminalistische Ergebnisse – sofort fest, daß es sich um eine politische Tat handelte. Wer, wie Sachsen-Anhalts LKA-Chef, besonnen darauf aufmerksam machte, es müsse in alle Richtungen ermittelt werden, sah sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt.

Ermittler und Journalisten, die sich mit rechtsradikalen Gewalttaten befassen, wissen, daß Neonazis als Täter immer unwahrscheinlicher werden, je länger die Fahndung läuft. Denn die rechtsextreme Szene ist überschaubar, sehr gut überwacht und mit V-Leuten durchsetzt. Gibt es in den ersten Tagen keinen Fahndungserfolg, kann davon ausgegangen werden, daß die Verbrecher woanders zu suchen sind. Erst recht, wenn es – wie im Fall Tröglitz – eine hohe Belohnung von 20.000 Euro gibt. Zwei Monate nach dem Feuer verdichten sich nun die Hinweise auf Versicherungsbetrug oder persönliche Motive.

Politik und Medien sind – wieder einmal – blamiert. Doch vermutlich wird sich nichts ändern. Denn die Festlegung auf einen Täterkreis dient dazu, das politische Empörungssüppchen zu kochen. Journalisten brauchen den seichten Umgang mit der Wahrheit, um den Popanz von der rechten Gefahr künstlich zu beatmen.

Zu Selbstkritik sind nur die wenigsten fähig

Der Schweizer Tagesanzeiger schreibt nun selbstkritisch über Empörungsjournalismus, dieser sei „das perfekte Perpetuum mobile“, weil „nach der Startgeschichte die Konkurrenz aufspringt und der Wettlauf beginnt“. Dann schreiben wieder alle voneinander ab, der Zirkelschluß beginnt von vorn, und die Glaubwürdigkeit nimmt weiter ab.

Journalisten wissen, daß Angstmacherei ein guter Verkäufer ist. Nicht nur Angst vor den unheimlichen braunen Horden. Wider besseres Wissen veranstalteten die Medien solche Panik-Kampagnen auch bei BSE, Feinstaubbelastung, Vogelgrippe, Maul- und Klauenseuche. Motto: Eine Epidemie beziehungsweise Pandemie und ein Massensterben wie bei der mittelalterlichen Pest drohen. Nichts von dem trat ein. Doch an dieser Schraube können Journalisten nicht ewig weiterdrehen. Denn je häufiger sich die Leser hereingelegt fühlen, desto weniger werden sie künftig am Kiosk zugreifen, wenn die nächste Seuche angekündigt wird. Daß Medien aktuell über die von Asylbewerbern eingeschleppte Masern-Epidemie kaum berichten, liegt aber weniger an einer Lehre aus all diesen Affären.

Und so entlarven sich viele Journalisten als Stimmungs- und Panikmacher, denn als Berichterstatter. Wie im Bekanntenkreis werden solche Dampfplauderer anfänglich furchtsam bestaunt, mittelfristig aber aussortiert. Dieses Schicksal haben viele Zeitungen schon hinter sich. Die Auflagen fallen parallel zur Zuverlässigkeit. Das Zeitungssterben setzen Medienexperten mit einem Tod der Meinungsvielfalt gleich. Da fast alle voneinander abschreiben, ist das der nächste große Irrtum – um nicht zu sagen, die nächste Lüge.