© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Der Gegner zollte ihm Respekt
Zweihundert Jahre nach Waterloo: Eine hochkarätige Ausstellung in Ingolstadt präsentiert das wechselhafte Verhältnis Bayerns zu Napoleon
Felix Dirsch

Auf nur wenige Territorien Deutschlands treffen Thomas Nipperdeys vielzitierte Worte „Am Anfang war Napoleon“ (zu Beginn seiner grundlegenden Untersuchung „Bürgerwelt und starker Staat“) so sehr zu wie auf das moderne Bayern des frühen 19. Jahrhunderts. Anfangs bekämpften die Bayern als Verbündete Österreichs den von einigen Optimisten als Friedensbringer begrüßten Erben der Französischen Revolution. Der Vertrag von Bogenhausen machte den Weg für eine Neuausrichtung frei. Die Frage Frankreich oder Österreich wurde zugunsten der linksrheinischen Macht entschieden.

Der 200. Jahrestag des endgültigen Sieges der Alliierten über Napoleon im Juni 2015 bei Waterloo war für die Verantwortlichen des Hauses der bayerischen Geschichte Anlaß, die Vielfalt der Geschehnisse in Form einer großangelegten Ausstellung im Neuen Ingolstädter Schloß einem breiteren Publikum näherzubringen. Dieser Ort, an dem seit 1972 das Bayerische Armeemuseum untergebracht ist, eignet sich deshalb hervorragend für ein solches Unterfangen, weil er in die militärischen Konflikte der damaligen Zeit involviert war. Napoleon ließ die Landesfestung schleifen. Nur das Schloß blieb stehen.

Die auf zwei Stockwerken zu sehende Präsentation beginnt mit einer Karte, die die Lage des Kurfürstentums Bayern im Alten Reich zeigt. Im Verlauf des Rundgangs kann der Besucher eine weitere Karte betrachten, die das Königtum Bayern von 1808 darstellt. Die Unterschiede könnten kaum gravierender sein. 

Viele prächtige Gemälde geben einen Einblick in zentrale historische Ereignisse und in die Biographien von herausragenden Persönlichkeiten. Natürlich steht der aus niederem Adel stammende korsische Offizier im Vordergrund, der es schnell zu Weltruhm brachte. Als Meister der Propaganda ließ er viele Porträts von sich in Umlauf bringen. Eines der großformatigen Bilder präsentiert eine der Folgen des zeitweiligen Bündnisses: Napoleons Stiefsohn Eugène de Beauharnais heiratete 1806 die bayerische Königstochter Auguste Amalie. Die Umbruchsperiode bestimmte auch ihre Ehe maßgeblich.

Viele Exponate sind zu bestaunen: Vasen, Skulpturen, Uniformen aus den vielen Feldzügen der damaligen Zeit, Helme aller Art, Keramikartefakte und einiges mehr. Gemäß den Postulaten der in den letzten Jahrzehnten intensiv betriebenen Sozial- und Alltagsgeschichte schildern etliche Zeugnisse die unzähligen Mühsale der Zeit, vom Hunger über die Vernichtung der eigenen Existenz bis zu Vergewaltigungsschicksalen. Die Not der Epoche schuf wiederum eindrucksvolle Formen der Volksfrömmigkeit.

Einige Darstellungen kehren, didaktisch gut aufbereitet, das Zukunftsweisende hervor. So wird beispielsweise die Frage gestellt, wie sich das Bildungssystem änderte und drei Antworten zur Auswahl gestellt: Die richtige, die durch Aufdecken geprüft werden kann, lautet: Die Schulpflicht wurde eingeführt, wenngleich man sie insbesondere in ländlichen Gegenden lange nicht durchsetzen konnte. Eine weitere Frage beschäftigt sich mit den Bürgerrechten, die nunmehr auch protestantischen Untertanen verliehen wurden.

Das Königtum Bayern erhielt eine Verfassung und eine parlamentarische Repräsentation. Das Wahlrecht war freilich anfangs durch hohen Zensus eingeschränkt. Stark wandelte sich das Militär, nicht zuletzt durch Verbreiterung der Rekrutierungsbasis. Die Verlierer der Epochenwende werden nicht ausgespart. Reichsadel, Reichskirche und Reichsstädte verloren weithin ihre Privilegien. Einer der Höhepunkte der Ausstellung ist die filmische Animation einer Szene aus einem der zahlreichen Kämpfe der Zeit. Dem Besucher wird auf diese Weise das kaum vorstellbare Leid der Soldaten vor Augen geführt. Oft lagen noch Wochen nach den Gefechten viele Leichen und Tierkadaver auf den Schlachtfeldern. Ein würdiges Begräbnis blieb so manchem versagt.

Das zweite Stockwerk des Armeemuseums stellt den Krieg Napoleons gegen Rußland in den Mittelpunkt. Nur wenige der Zehntausende von bayerischen Soldaten, die mit den Truppen des Imperators gen Osten zogen, sahen die Heimat wieder. Auch in diesem Zusammenhang fehlen nicht Stimmen von Betroffenen. Ein Zitat der bayerischen Königin Karoline verdeutlicht, daß die Herrschenden in München das Werk Napoleons ambivalent einschätzten. Früh mutierte der „Weltgeist zu Pferd“ zum Mythos. Selbst der Kronprinz und spätere König Ludwig I. zollte seinem Gegner Respekt. Eine Animation am Ende der Darbietung zeigt diejenigen Denkmäler Bayerns, die an die Spuren Napoleons erinnern.


Die Ausstellung „Napoleon und Bayern“ ist bis zum 31. Oktober im Neuen Schloß in Ingolstadt, Paradeplatz 4, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 336 Seiten und etwa 380 farbigen Abbildungen kostet 24 Euo. Telefon: 08 21 / 32 95 - 0

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