© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

Eine unendliche Geschichte
Eurokrise: Griechenland braucht frische Milliarden / Kurzfristige Lösung im Schuldenstreit? / Staatsbankrott gefährdet schwache Euro-Länder
Joachim Koch

Es bleibt dabei: Die Bemühungen Deutschlands sind darauf ausgerichtet, daß Griechenland in der Euro-Zone bleibt“, sagte Angela Merkel vorigen Donnerstag in ihrer Regierungserklärung und entzog damit allen Spekulationen über einen baldigen Grexit ihre Grundlage. Internationale Finanzinvestoren wußten schon einen Tag früher, daß kein Grexit droht: Trotz Überschuldung erhält Griechenland weitere 1,3 Milliarden Euro vom Kapitalmarkt. Die Zinsen für die Drei-Monats-Papiere (T-Bills) liegen bei moderaten 2,7 Prozent. Die Auktion der Athener Finanzierungsbehörde Public Debt Management Agency (PDMA) war sogar 1,3-fach überzeichnet.

Gleichzeitig erhöhte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre kurzfristigen Ela-Notkredite für griechische Banken um 1,1 Milliarden auf 84,1 Milliarden Euro. Bereits vor zwei Wochen wurde die Emergency Liquidity Assistance (Ela) um 2,3 Milliarden Euro ausgeweitet. Daß die Ela-Kredite durch Pfänder gesichert wurden, deren Rating unterhalb der Note „Investment Grade“ (BBB) lag, störte die EZB nicht. Wichtig war nur: Das griechische Bankensystem wurde liquide gehalten, die Griechen können weiter Geld von ihren Konten abheben. Von 2009 bis Mai 2015 fielen die Bankeinlagen von über 230 auf 128 Milliarden Euro.

Schon seit fünf Jahren wird der griechische Bankrott immer wieder hinausgezögert. In einem Gutachten vom 2. Mai 2010 bestätigten die EU-Kommission und die EZB, daß Griechenland nicht mehr in der Lage ist, seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Gläubigern nachzukommen. Athen stellte deshalb einen Unterstützungsantrag an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Euro-Staaten.

Untergangsszenarien erzwingen Rettungsschirme

Die Kanzlerin soll damals zunächst einen Ausschluß überschuldeter Staaten aus der Währungsunion und die Vereinbarung einer Staateninsolvenzordnung gefordert haben – doch das wurde vehement abgelehnt. Ob der Sinneswandel auf französischen und amerikanischen Druck oder wegen der eindringlichen Untergangsszenarien aus der Finanzindustrie erfolgte, bleibt Spekulation. Fest steht: In ihrer Regierungserklärung vom 19. Mai 2010 zur Euro-Rettung sagte Merkel erstmals ihren berühmt-berüchtigten Satz: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Die geplanten Maßnahmen seien „alternativlos“.

Im Rahmen des ersten Griechenlandprogramms wurden laut Bundesfinanzministerium 73 Milliarden Euro gezahlt, davon 52,9 Milliarden Euro durch bilaterale Kredite der Euro-Länder und 20,1 Milliarden vom IWF. Der deutsche Anteil (durch die KfW) beträgt 15,2 Milliarden. Das zweite Griechenlandpaket läuft über den IWF und den ersten Euro-Rettungsfonds EFSF. Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität mit einem Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro – deutscher Anteil 123 Milliarden – wurde 2010 installiert, da auch Irland, Portugal und Spanien in die Bredouille kamen. Anders als die bislang 11,9 Milliarden vom IWF sind Zins und Tilgung auf die 130,9 Milliarden EFSF-Schulden bis 2023 ausgesetzt. Um die noch nicht ausgezahlten 30 Milliarden dreht sich der momentane Streit zwischen Athen, Euro-Gruppe und IWF.Nicht angezapft von Athen wurde bislang der zweite Rettungsfonds ESM.

Zudem wurden weitere „unkonventionelle“ (EZB-Chef Mario Draghi) Maßnahmen ergriffen, etwa der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB. Nach Artikel 21 Absatz 1 der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken ist es zwar verboten, „unmittelbar“ Schuldtitel von Mitgliedstaaten oder deren öffentlichen Stellen zu erwerben. Die EZB hat dennoch für 211 Milliarden Euro Anleihen der überschuldeten Euro-Staaten auf dem Sekundärmarkt erworben – der Europäische Gerichtshof (EuGH) bestätigte die Zulässigkeit dieses Vorgehens weitgehend (JF 26/15).

Seit März läuft ein neues Ankaufprogramm in Höhe von monatlich 60 Milliarden Euro. Dadurch sollen die Banken mit Liquidität in Höhe von mehr als 1,1 Billionen Euro zur Kreditvergabe an die Wirtschaft und Staaten versorgt werden. Flankiert wird dieses Programm durch eine Niedrigzinspolitik von 0,25 Prozent, von der alle Euro-Staaten bei der Finanzierung ihrer Schulden profitieren. Leidtragende dieser Politik sind die Sparer, die Milliardenbeträge verlieren.

Ein ökonomisch fragwürdiger, aber rechtlich unstrittiger Finanzierungsweg ist die von Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn 2012 in seinem Buch „Die Target-Falle“ thematisierte Euro-Kontenverrechnung. Das Target-2-System ist eine elektronische Plattform, mit der Zahlungen von Geschäftsbanken im Euro-Wirtschaftsraum und von Zentralbanken des Euro-Systems miteinander verrechnet werden. Seit Beginn der Finanzkrise im nahmen die Target-2-Nettoforderungen der Bundesbank stark zu. „Im Januar und Februar 2015 stiegen die griechischen Targetschulden um fast eine Milliarde pro Tag, und Ende April lagen sie bei 99 Milliarden Euro“, errechnete Sinn. Gegen das Anwachsen dieses Saldos ist die Bundesbank machtlos. Sie kann auch die Salden des Target-2-Systems nicht fällig stellen. Falls ein Euro-Staat aus der Währungsunion ausscheidet, drohen der Bundesbank erhebliche Ausfälle.

Durch die Euro-Rettungspolitik sind dreistellige Milliardenbeträge geflossen. Im Gegenzug mußte Athen sich zu drastischen Spar- und Reformprogrammen verpflichten, deren Umsetzung von der EU-Kommission, der EZB und dem IWF überprüft werden. Doch die Kredite, die Griechenland bekommen hat, mußten zum Großteil für die Rückzahlung fällig werdender Kredite eingesetzt werden.Dadurch wurden die bisherigen privaten durch öffentliche Gläubiger, also letztlich durch deren Steuerzahler ersetzt. Die Banken, Hedgefonds, Versicherungen und Privatpersonen mußten dabei zwar 2012 einen nominellen Schuldenschnitt von über 100 Milliarden Euro hinnehmen, doch bei einem Staatsbankrott hätten sie noch weniger erhalten. Findige Spekulanten, die ihre Griechenpapiere kurz zuvor zu einem viel niedrigeren Kurs gekauft hatten, verdienten sogar an dem Schuldenschnitt.

Staatsverschuldung auf 330 Milliarden Euro gestiegen

An der Misere hat dies nichts geändert. Im Gegenteil, die Staatsverschuldung ist in den vergangenen fünf Jahren um 50 Milliarden auf heute 330 Milliarden Euro gestiegen. Das entspricht einer Quote von etwa 175 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Beim Euro-Beitritt 2001 waren es „nur“ 150 Milliarden Euro gewesen. Die auferlegten Sparmaßnahmen lähmen die Wirtschaftsentwicklung. Das verursacht Rückgänge bei den Steuereinnahmen und damit weitere Haushaltsdefizite.

Die notwendigen Reformen seiner staatlichen Strukturen gingen weder die Sozialisten noch die Konservativen (ND) in ihrer Regierungszeit an. Im Dezember 2011 veröffentlichte die OECD einen erschütternden Bericht über die griechische Zentralverwaltung: Es gibt keine arbeitsfähigen Strukturen und nur unzureichende Kenntnisse der Verhältnisse im Lande. Es fehlen Kataster und Grundbücher, für die Finanzverwaltung ist die Steuererhebung schwierig. Es gibt bis heute auch keine verläßliche nationale Buchführung. Dessen ungeachtet erhält Athen auch unter seiner linksgeführten Syriza-Regierung weiter neue Milliarden – notfalls auch ohne Buchführungsreform. Für eine Fortführung der Rettungspolitik ist auch maßgebend, daß im Fall einer Insolvenz Griechenlands die bisher von den Euro-Staaten gewährten Garantien für die Kredite und ihre Forderungsausfälle sofort auf ihre Budgets durchschlagen werden.

Deshalb werden auch Regierungsmeldungen aus Athen als Erfolge ausgegeben: Von Januar bis Mai sei nicht wie erwartet ein Haushaltsdefizit von 556 Millionen, sondern ein Überschuß von 1,51 Milliarden Euro angefallen. Die Kanzlerin sieht Griechenland deshalb auf „einem guten Weg“. Daß der griechische Primärüberschuß die Zinsen im Etat nicht berücksichtigt und die Steuereinnahmen statt 19 nur 18 Milliarden Euro betrugen, stört dabei kaum.