© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/15 / 26. Juni 2015

David Goodhart. Der englische Linksintellektuelle kritisiert die Massenzuwanderung
Der britische Traum
Derek Turner

Mit seiner „Ströme von Blut“-Rede setzte der Tory und Altphilologe Enoch Powell 1968 die Einwanderungsproblematik ganz oben auf die politische Tagesordnung. In den drei Jahrzehnten danach wurde sie von den meisten britischen Politikern allerdings weitgehend ignoriert. Erst eine Essayreihe, die Anfang der 2000er Jahre in der Monatszeitschrift Prospect die Masseneinwanderung erstmals aus linker Sicht kritisch aufs Korn nahm, brachte die Debatte wieder in Gang. „Gut möglich, daß die Liebesaffäre zwischen der Linken und dem Multikulturalismus auf Kosten der Werte und sogar der Menschen geht, für die sich ebendiese Linke einst engagiert hat“, schrieb deren Herausgeber David Goodhart und sprach damit an, was seit Powell tabu war: den Schaden, den ungesteuerte Einwanderung der einheimischen Arbeiterklasse zufügt.

Die Klügeren unter den Linken konnten nicht umhin einzusehen, daß sich der 1956 geborene ehemalige Financial Times-Journalist Goodhart, Sproß einer ursprünglich jüdischen Einwandererfamilie, nicht als Rechtsextremist abstempeln ließ, sondern schlüssige Argumente präsentierte. Der spätere Premierminister David Cameron sah sich im Zuge der ausgelösten Kontroverse gar ebenso wie einige Labour-Politiker zu einer öffentlichen Distanzierung vom Multikulturalismus veranlaßt. 2006 postulierte Goodhart schließlich einen „progressiven Nationalismus“, forderte ein Verschleierungsverbot in öffentlichen Gebäuden, eine Probezeit für Neueinbürgerungen und die Wiedereinführung der Wehrpflicht.  

2010 zog sich Goodhart als Herausgeber zurück. Inzwischen bezeichnet er sich als „Postliberalen“. 2011 übernahm er den Vorsitz im Kuratorium der linken Denkfabrik Demos, zudem spielt er eine führende Rolle in der „Blue Labour“-Bewegung (JF 13/12), die sozialpolitische Themen mit kulturellem Konservatismus unter einen Hut zu bringen versucht.

Sein 2013 veröffentlichtes Buch „The British Dream. Successes and Failures of Post-War Immigration“ wurde für den Orwell-Preis nominiert und erhielt viel Zustimmung von rechts, aber auch Kritik von links. Viele Linke hegen hartnäckige moralische Bedenken gegen die christlichen und humanistischen Werte, die Goodhart vertritt. Auch daß er sich für die Meinungsfreiheit einsetzt und einen sinnhaltigen Gemeinschaftsbegriff nur dann für möglich hält, wenn er zugleich Ausschlußkriterien beinhaltet, ist seinen Kritikern nicht geheuer – ganz zu schweigen von Goodharts Einsicht, daß „Arbeitgeber in der Regel Menschen, die ihnen vertraut sind, den Vorzug geben und sich in ihrer Gesellschaft wohler fühlen“. Zwar stimmt es, daß seine „britischen Werte“ ein wenig blaß und kraftlos wirken, jedoch haben seine Kritiker keine überzeugenderen Alternativen anzubieten. So also wird David Goodhart auch in Zukunft eine zentrale Rolle in dieser schicksalshaften Debatte spielen.