© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Unser versunkenes Kulturerbe wiederentdecken
Torsten Foelsch läßt in einem imposanten Werk die zerstörten Dohnaschen Schlösser Carwinden und Schlodien in Ostpreußen wiedererstehen
Michael Paulwitz

Im Jahre 1901 habe ich diese Blätter geschrieben und bitte spätere Generationen, diese Aufzeichnungen weiterzuführen.“ Über ein Jahrhundert und zwei Weltkriege später hat Torsten Foelsch den Appell der Clara Burggräfin und Gräfin zu Dohna-Schlodien aufgenommen. Sein Werk über die ostpreußischen Schlösser Schlodien und Carwinden setzt nicht nur die Chronik der beiden Häuser bis zum Untergang 1945 fort: Es vereinigt auf über vierhundert reichbebilderten Seiten, was an Zeugnissen, Dokumenten, Bild- und Textquellen die Zeitläufte überdauert hat. Außerdem steuert Foelsch Zeitzeugenberichte, eigene Aufnahmen und Forschungen bei, gibt einen Überblick über die neuesten Bemühungen polnischer Forscher und Konservatoren um das lange vernachlässigte Erbe und über den Verbleib der wenigen geretteten Kunstgegenstände in polnischen Museen und schließt auf diese Weise eine schmerzliche Lücke in der wissenschaftlichen Erforschung der Bau-, Nutzungs- und Kulturgeschichte der barocken Schlösserwelt jenes Landes, das Preußen seinen Namen gab.

Diese Erforschung steckte selbst noch in den Anfängen, als die Kriegswalze Ostpreußen überrollte und den Großteil der Schlösser und Gutshäuser, die seine Kulturlandschaft prägten, vernichtete. Auch das erklärt, warum dieses versunkene Kulturerbe im deutschen Bewußtsein kaum noch vorhanden ist; entsprechend schwierig ist die Quellenlage für jeden Versuch, diese Welt dem Vergessen zu entreißen. Es gibt allerdings Ausnahmen. Einige Schlösser konnten Krieg und Kommunismus überstehen. Einige wenige sind heute sogar in perfekt restauriertem Zustand erhalten. Ein Beispiel ist das Herrenhaus Groß Schwansfeld, ein Sitz der Familie von der Groeben. Andere Schlösser sind immerhin noch erhalten, wenn auch unrestauriert. So ist das Schloß Dönhoffstädt, bis 1816 im Besitz der Familie der früheren Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff, zwar nicht bewohnt und Fassade und Dach heruntergekommen. Ähnlich stagniert auch seit Jahren die Restaurierung des am Mauersee in Nachbarschaft von Führerhauptquartier und Wehrmachts-Oberkommando erhalten gebliebenen Schlosses Groß Steinort der mit den Dönhoffs verschwägerten und dem Widerstand verbundenen Grafen Lehndorff. 

Vom barocken, 1945 ausgebrannten „Idealschloß“ Finckenstein hingegen, das Napoleon nach seinem Feldzug quer durch Preußen den Ausruf „enfin un château“ – „endlich, ein Schloß!“ – entlockt haben soll, stehen dagegen nur noch die Fassadenreste. Schlobitten, das größte der Dohnaschen Barockschlösser, wurde ebenso wie der Dönhoffsche Familiensitz Friedrichstein 1945 von den sowjetischen Eroberern in Brand gesteckt – aus Mutwillen und Haß oder, wie vielerorts geschehen, weil man im südlichen Teil Ostpreußens den als neue Verwalter des Landes ausersehenen Polen die Beute nicht gönnte – und dämmert seither als imposante Ruine hinter den Resten einer traurigen Kolchose.

Mit den ebenfalls untergegangenen Schlössern Schlodien und Carwinden – letzteres durch Kriegshandlungen zerstört und danach bis auf einen Torbau vollständig abgetragen, ersteres nach Plünderung und Vernachlässigung 1986 durch einen Großbrand zur Ruine geworden – rücken die ostpreußischen Stammsitze des Geschlechts derer zu Dohna im ostpreußischen Oberland wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit. 

Die Burggrafen und Grafen zu Dohna hatten 1402 nach einer Fehde mit den Wettinern die Burggrafschaft der gleichnamigen sächsischen Stadt verloren. Ihr Aufstieg zu einem der begütertsten und weitverzweigten Großgrundbesitzergeschlechter Ostpreußens begann mit dem Niedergang des Deutschen Ritterordens, dem einige von ihnen schon zu dessen Glanzzeiten als Ritterbrüder gedient hatten. Von ihren verbliebenen sächsischen, schlesischen und böhmischen Besitzungen aus unterstützten die Dohnas den Ordensstaat in seinen Auseinandersetzungen mit den polnischen Königen. Als Lohn für seine Dienste erhielt Stanislaus Dohna nach dem Dreizehnjährigen Krieg von 1454 bis 1466 im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts mehrere Dörfer im Kreis Preußisch Holland, unter ihnen Carwinden. 

In Diensten der Hohenzollernschen Herzöge, Kurfürsten und Könige gelangten die Dohnas zu Macht und Einfluß; die Schlobitter Linie wurde 1900 von Kaiser Wilhelm II. in den erblichen Fürstenstand erhoben. Burggraf Christoph zu Dohna war General, Diplomat, Berater und Vertrauter des ersten Königs in Preußen, Friedrich, und erhielt von diesem die Erlaubnis zur Stiftung des Majorats Schlodien – dem auch Carwinden zufallen sollte – als frei verfügbaren und ungeteilt an den Ältesten zu vererbenden Besitz. In der Regierungszeit Friedrichs I. entstanden die bedeutenden ostpreußischen „Königsschlösser“, unter denen Schlodien architekturgeschichtlich eine Schlüsselstellung einnimmt. Statt von einer zentral auf die Front zulaufenden Hauptachse wird das Schloß von einer Querachse erschlossen, die den symmetrischen Hauptbau vom davorliegenden Teich trennt. 

In Polen wächst das Interesse an der Güterkultur

Architekt des Baus, der auf einem H-förmigen Grundriß wie später auch Schloß Friedrichstein ausgeführt wurde, war nach Foelschs Erkenntnissen Jean de Bodt, der die Bauten am Potsdamer Stadtschloß vollendet und in Berlin eine Reihe von Staatsaufträgen erhalten hatte. An der Bauleitung maßgeblich beteiligt war der königlich preußische Landbaumeister Johann Caspar Hindersin, der auch für das zeitgleich umgebaute Schlobitten verantwortlich war und wohl auch in Carwinden mitbaute, das zuletzt als Försterei diente wie das Schlobitter Vorwerk Davids, in dem der Urgroßvater des Rezensenten von 1908 bis 1945 Dienst tat. 1980 von einem polnischen Privatmann wiederaufgebaut, gehört Davids zu den wenigen Hindersin-Bauten, die den Krieg überstanden haben.

Torsten Foelsch beschreibt das Leben auf den Schlössern und ihre Rolle als forst- und landwirtschaftliche Großbetriebe. Erinnerungsberichte lassen ihre bedeutenden Parkanlagen wiedererstehen, zwei polnische Wissenschaftler steuern einen Beitrag bei über die geretteten Ahnenporträts aus den Dohna-Schlössern, die im Museum von Ermland und Masuren in Allenstein konserviert werden. Für die Darstellung der Baugeschichte der Bauten und Innenräume von Schloß Schlodien ist der Autor tief in die in deutschen und polnischen Archiven erhaltenen Bestände gestiegen und hat nicht nur Familienmitglieder und Zeitzeugen interviewt, sondern auch selbst seit 2001 laufend die Schloßruine begangen und fotografisch dokumentiert. 

Als Pächter des „Hotels im Park“ im von Albrecht von Klitzing restaurierten Gut Heinrichshöfen bei Sorquitten im Herzen Masurens (www.masuren-hotel.de) sind Torsten Foelsch und sein Partner Christian Foelsch-Fanselow auch persönlich in der Bewahrung des Erbes der ostpreußischen Güter und Schlösser engagiert, zu denen sie kundige Exkursionen anbieten. Für die von einer polnisch-deutschen Stiftung seit Jahren geplante Rekonstruktion von Schloß und Park Schlodien wäre Foelschs Werk eine unersetzliche Grundlage.

Torsten Foelsch: Schlodien & Carwinden. Zwei Schlösser in Ostpreußen und die Burggrafen und Grafen zu Dohna. Foelsch & Fanselow Verlag, Groß Gottschow 2014, gebunden, 412 Seiten, Abbildungen, 69,80 Euro