© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

In der Nische wird es eng
Biomärkte in Deutschland: Im Kampf um die Kunden verlieren die kleinen Anbieter / Hälfte des Umsatzes machen Aldi & Co.
Elena Hickman

Als Thomas Greim vor 40 Jahren seine Dennree GmbH in Töpen eröffnete, befand sich seine Firma in zweierlei Hinsicht weit ab vom Schuß: Der Landkreis Hof („Bayrisch Sibirien“) zählte zum äußersten Zonenrandgebiet und Biomärkte waren noch eine Seltenheit. Inzwischen ist das Dennree-Zentrallager auf 70.000 Quadratmeter angewachsen, der Firmensitz liegt eingerahmt zwischen den vielbefahrenen Autobahnen 9 und 72, auf halbem Weg zwischen Berlin und München – und in Deutschland schießen überall größere Biomärkte aus dem Boden.

Ob Alnatura oder Denn’s Biomarkt – 2014 wurden laut der Fachzeitschrift Bio Handel nach Jahren der Stagnation 49 Verkaufsstellen mehr eröffnet als geschlossen. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln lag im vergangenen Jahr bei 7,91 Milliarden Euro, so die Schätzungen des Arbeitskreises Biomarkt – ein Anstieg um 4,8 Prozent. Die Industrie- und Handelskammer Berlin hat vorige Woche die Bio Company erneut als einen der besten Ausbildungsbetriebe ausgezeichnet. Der 1999 gegründete Vollsortiment-Supermarkt beschäftigt in seinen 44 Filialen über 1.250 Mitarbeiter, darunter hundert Lehrlinge.

Deutschland nach den USA der stärkste Bio-Markt

Das Geschäft mit den gesunden Lebensmitteln wächst, doch der Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau (FÖL), Michael Wimmer, will dennoch nicht von einem Boom sprechen: „Die Umsatzzahlen steigen zwar kontinuierlich. Aber tatsächlich ist Bio immer noch in einer Nische angesiedelt, auch wenn es sich in vielen deutschen Großstädten anders anfühlt.“

Insgesamt lag der Bruttoumsatz im Lebensmittelhandel 2014 bei 247,2 Milliarden Euro. Davon erwirtschafteten Biolebensmittel gerade einmal 4,4 Prozent, wobei nur die Hälfte in Fachmärkten wie Basic oder der Bio Company verkauft werden. Die andere Hälfte kommt durch Biolebensmittel von Platzhirschen wie Aldi: Dessen Eigenmarke „Gut Bio“ wuchs seit in diesem Jahr um mehr als zwei Drittel auf nun über 50 Artikel.

Die Bio-Branche ist eine beliebte Nische, in die es immer mehr Anbieter zieht. Deutschland ist nach den USA – wo Aldi mit Trader Joe’s den Bio-Markt aufmischt – der umsatzstärkste Bio-Markt weltweit. In den vergangenen 15 Jahren hat sich der Umsatz fast vervierfacht. Im Ranking des Marktforschungsunternehmens Trade Dimensions erzielten nur zwei Bio-Unternehmen eine zweistellige Zuwachsrate und konnten sich damit als klare Wachstumsspitzenreiter profilieren: Greims Dennree-Gruppe, zu der die 150 Denn’s Biomärkte in Deutschland und Österreich gehören, steigerte ihren Umsatz um 19,8 Prozent auf 810 Millionen Euro. Alnatura konnte um 15,5 Prozent auf 766 Millionen Euro zulegen. Wie es mit dieser 1984 gestarteten Marke weitergeht ist allerdings unklar, da ein wichtiger Abnehmer, der umsatzstarke dm-Drogeriemarkt, in diesem Jahr mit seiner 25. Eigenmarke, „dm Bio“, sein Sortiment erweitert hat.

Immer mehr Deutsche legen Wert auf gesunde, biologisch angebaute Lebensmittel und Produkte. „Die Zahl der Verbraucher, die Wert auf einen gesunden und nachhaltigen Lebensstil legen, wächst kontinuierlich“, bestätigt Marktforscher Wolfgang Adlwarth von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Dafür sind sie auch bereit, etwas mehr Geld auszugeben.

Verdopplung der Verkaufsfläche

Biologisch angebaute Produkte sind in der Herstellung und deshalb auch im Verkauf teurer als herkömmliche Angebote. Frei nach dem Motto: Es geht nicht um den Preis, sondern um die Qualität. Allerdings können es sich nur die großen Ketten leisten, im Vergleich zu den kleineren Unternehmen etwas billiger zu sein.

Bio-Produkte sind beliebt, die Nachfrage wächst, und Geschäfte versuchen verzweifelt neue Filialen zu eröffnen. In der Nische wird es immer enger. Außerdem müssen Fachgeschäfte wie Basic oder Bio Company mit den Angeboten von Edeka und Rewe bis hin zu Lidl und Netto konkurrieren.

Der Bio-Markt hat sich in den letzten zehn Jahren stark vergrößert: 2003 war die Verkaufsfläche im Durchschnitt gerade einmal halb so groß wie heute. Am Beispiel von Alnatura wird das Wachstum besonders deutlich: Vor 15 Jahren besaß der Bio-Fachhändler 15 Geschäftsstellen, fünf Jahre später war die Zahl auf 50 angestiegen. Heute sind es 96 Filialen in 42 Städten.

Die Suche der Unternehmen nach neuen, geeigneten Standorten ist nicht einfach. In größeren Städten herrscht ein Kampf um geeignete Ladenräume. Laut Bio Company muß eine Filiale „in Einkaufslagen mit hoher Publikumsfrequenz und stark frequentierten Straßen“ liegen und „dicht am öffentlichen Nahverkehr“ angebunden sein. Für den Denn’s Biomarkt müssen mindestens 30.000 Einwohner im Einzugsgebiet wohnen, Alnatura besteht auf „hochfrequente City-Lagen“. Dessen Gründer Götz Rehn klagte im Handelsblatt: „Wir könnten viel schneller wachsen, wenn wir entsprechende Flächen hätten.“

Die Verlierer im Kampf um einen Platz in der Nische sind die Kleinen – überschaubare Biomärkte, die keiner großen Kette angehören. Drei Bio-Händler aus München haben vergangenes Jahr einen offenen Brief an Alnatura-Gründer Rehn geschrieben: Er betreibe „Expansion ohne Rücksicht auf bereits jahre- und jahrzehntelange Mitbewerber, die die Marke Naturkost mit aufgebaut haben“. Die großen Unternehmen würden sich einen „Kampf um die besten Plätze liefern“, ohne Rücksicht auf bereits vorhandene Läden, so Monika Demgen, Renate Arnold und Heinz-Jürgen Wombacher.

Harter Kampf um die besten Plätze

Diese Anschuldigung wies Alnatura zurück: „Der Immobilienmarkt ist in Großstädten wie München äußerst angespannt“, entgegnete der inzwischen ausgeschiedene Alnatura-Geschäftsführer Wulf Kristian Bauer. Keinesfalls würde Alnatura die Standorte danach aussuchen, ob es dort schon einen Bio-Laden gebe oder nicht. Wer hätte das vor vier Jahrzehnten gedacht, daß aus der Biobewegung einmal ein knallhartes Geschäft wird und Lebensmittel aus der ökologischen Landwirtschaft selbst bei Aldi im Regal stehen.


Statistiken zur „Bio-Branche 2015“:  www.boelw.de

Informationsportal für Verbraucher:  www.oekolandbau.de