© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

Neuland unterm Pflug
CDU-Wirtschaftsrat: Steuerzahler sollen Breitbandausbau finanzieren / Grummeln über Merkels Energiewende
Christian Dorn

Kurt Lauk erwies sich oft als ein Meister sibyllinischer Kritik, doch vorige Woche sprach der scheidende Präsident des CDU-Wirtschaftsrates Klartext: „Deutschland leistet sich mit der Energiewende gerade ein Programm, das zur Deindustrialisierung unseres Landes führt.“ Die Energiekosten seien inzwischen nicht mehr nur Konjunktur-, sondern ein strukturelles Standortrisiko. Großinvestitionen fänden in der deutschen Wirtschaft nicht mehr statt, ein Drittel der energieintensiven Betriebe plane die Produktionsverlagerung ins Ausland. Das von der Bundesregierung propagierte Klimaziel von vierzig Prozent CO2-Reduktion bis 2020 sei „völlig illusorisch“.

Auch der neue Wirtschaftsratschef, Werner Michael Bahlsen, dürfte keinen Frieden mit Angela Merkels Energiewende schließen, zählt doch sein „süßer“ Bahlsen-Unternehmensbereich – im Gegensatz zur „salzigen“ Snack-Gruppe Lorenz-Bahlsen – nicht zu den „begünstigten Abnahmestellen“ im Sinne des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Doch in Anwesenheit der Bundeskanzlerin fiel die Kritik der auf dem jüngsten CDU-Wirtschaftstag vertretenen Konzernlenker und Politiker moderat aus. 

Unmut über Merkels Zielvorgabe „Dekarbonisierung“, also den vollständigen Umstieg auf kohlenstoffreies Wirtschaften, wurde erst – in Abwesenheit der Kanzlerin – auf dem energiepolitischen Podium laut. Hier ließ die Kritik von Sachsen-Anhalts Ministerpräsidenten Reiner Haseloff aufhorchen, der ebenso wie Merkel promovierter Physiker ist.

Das CDU-Vorstandsmitglied verglich die Visionen der Kanzlerin mit der gescheiterten DDR-Planwirtschaft und warnte, das Leben werde uns eines Besseres belehren. Auch sei CO2 nicht der einzige Faktor der Klimaerwärmung. Eine Wirtschaft ohne Erdöl oder Kohle sei schlicht undenkbar. „Wer das bestreitet“, so Haseloff, sei „fernab von dem, was die Physik vorgibt“. Oder praktisch formuliert: Solar Valley in Bitterfeld erwies sich als Flop – die zwei Dutzend Braunkohletagebaue in Sachsen-Anhalt sichern Tausende Arbeitsplätze und Energie.

Freilich verschwand Haseloff rechtzeitig vor der Ankunft der Kanzlerin. Wenig überraschend sah auch RWE-Chef Peter Terium in der geplanten Klimaabgabe eine schamlose „Gewinnabschöpfungsmaßnahme“. Deutlicher wurde ein Unternehmer aus dem Publikum, der die Klimagesetze eine „systematische Behinderung des Mittelstandes“ nannte. Ein Drittel des Investitionskapitals gehe pro Jahr für die EEG-Abgabe verloren, zudem hätten sich die Energiepreise inzwischen verdoppelt. EU-Kommissar Günther Oettinger klagte, daß die Stromkosten in den USA inzwischen nur ein Sechstel des deutschen Preises ausmachten.

„Erfolg, Frau Kanzlerin, ist auf diesem Weg alternativlos“

Der Amerika-Vergleich paßte zum Hauptthema des diesjährigen Wirtschaftstages: der Digitalisierung des gesamten Lebens. Lauk brachte die digitale Revolution mit einem Vergleich auf den Punkt: Es gebe auf der Welt 5,3 Milliarden Smartphones, aber nur 4,1 Milliarden Zahnbürsten. Oettinger, der als EU-Ressortchef für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft einer „Digitalunion“ das Wort redete, warnte vor deutschen Illusionen. In Zeiten von „Big Data“ würden die Datenschutzbeauftragten der Bundesländer von „Datenstaubsaugern“ wie Apple, Facebook oder Google gar nicht mehr ernst genommen.

Die digitale Revolution sei mit dem Buchdruck zu vergleichen, der hundert Jahre gebraucht habe, um sich durchzusetzten. Auch jetzt würden die Karten neu gemischt – bislang zugunsten der USA, deren fünf große Medienkonzerne die Hälfte des Börsenwerts der 30 deutschen Dax-Unternehmen auf sich vereinigten. Heute sei die „digitale Straße“ dreimal wichtiger als Autobahnen oder Schienen. Unternehmen fehle die neue Figur des CDO (Chief Digital Officer).

Den vielleicht illustrativsten Beitrag zur digitalen Debatte – als Gast war auch Google-Chef Eric E. Schmidt aus den USA mit einer „Keynote“ vertreten – lieferte Siemens-Chef Joe Kaeser, dessen Vorgänger beim Mobilfunk den Anschluß verpaßt hatten. Mit Blick auf das Silicon Valley erinnerte er an die eigentlichen Gewinner des historischen Goldrauschs: „Wir müssen die sein, die die Schaufeln und die Jeans erfinden und verkaufen.“ Nicht zufällig sind beides Produkte, die nicht ohne Energieaufwand zu denken sind. Merkels CO2-Reduktion sei ein „visionäres Ziel“, und „Erfolg, Frau Kanzlerin, ist auf diesem Weg alternativlos“, mahnte der Siemens-Chef.

Die Kanzlerin kann mit solcher Kritik umgehen. Sie dankte Lauk für dessen 15jähriges Engagement als Präsident und bekennt offen: „Einfach war es hier nie.“ Die Kritik an der Energiepolitik überging sie unbeirrt mit wenigen Sätzen, um sich dann der Digitalisierung zu widmen – die sie im Zuge der NSA-Affäre noch selbst als „Neuland“ beschrieben hatte. Bezüglich der Forderung des Wirtschaftsrates, 50 Milliarden Euro in den Breitbandausbau zu investieren, machte die Kanzlerin keine konkrete Zusage – und stellte jedoch auch nicht die Frage, warum das die Steuerzahler tun sollten.

Anders als 2005, zu Merkels erstem Wirtschaftsratsauftritt, wurde die Nationalhymne zum Abschluß nicht mehr von den versammelten 3.000 Unternehmern angestimmt, sondern vom Galatenor Tobey Wilson. Ob das einen weiteren Stargast des Abends, den US-Präsidentschaftsbewerber Jeb Bush, beeindrucken sollte? Aufschlußreicher ist eine andere Begegnung. Direkt nach dem offiziellen Veranstaltungsende begleitet Bahlsen den Google-Chef zum Abendessen. Auf dem Weg dorthin kommen beide am Bahlsen-Stand vorbei, wo der Traditionsunternehmer um Aufmerksamkeit ersucht: „By the way, my business are bisquits n’ cookies“ – doch der digitale Goldgräber Schmidt geht einfach weiter. Bahlsen bleibt nichts anderes, als nebenherzulaufen, als wäre er nicht der Koch, sondern der Kellner.



Keks-König Werner Michael Bahlsen

„Man muß sich nur zum Chef des Wirtschaftsrates wählen lassen, schon klappt das mit dem Treffen“, so kommentierte Werner Michael Bahlsen das angebliche Versäumnis von Angela Merkel, einmal seinem Cello-Spiel zu lauschen. Eine Einladung zur Jagd oder zum Tauchurlaub dürfte die Bundeskanzlerin auch weiterhin ablehnen – doch ignorieren wird sie den Enkel von Urvater Hermann Bahlsen nicht mehr. 52 Zähne hat die Kekslegende, und auch der Karriereverlauf des 66jährigen beweist, daß er sich durchzubeißen weiß. Auf seine Konditorlehre und das Wirtschaftsstudium folgten Praktika in den USA und England, ehe er 1975 Assistent der Geschäftsleitung der Bahlsen Holding in der Schweiz wurde. Er arbeitete in der Abteilung für Kuchenfertigung und wurde schließlich Chef der süßen Sparte des Familienunternehmens Bahlsen GmbH & Co KG mit 2.500 Mitarbeitern. Anders als die ägyptische Hieroglyphe in Bahlsens Firmenlogo pflegt er das schnörkellose Wort. In Hörweite der Kanzlerin kritisierte er, die Wirtschaftspolitik Deutschlands drehe sich „mehr ums Verteilen als ums Erwirtschaften“.