© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/15 / 19. Juni 2015

„Zusammen schaffen wir mehr“
Der Widerstand gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg wächst. Am Samstag kämpfen Tausende besorgte Eltern gegen die schulische Sexualisierung ihrer Kindern. Hedwig Freifrau von Beverfoerde hat die „Demo für alle“ mit organisiert
Elena Hickman

Frau von Beverfoerde, was ist denn an „sexueller Vielfalt“ auszusetzen?

Beverfoerde: Wenn beispielsweise  zehnjährige Schüler ihre Lieblingssexualpraktik mitteilen sollen, ist das klar schamzerstörend! Als Standardwerk gilt das Lehrmethodenbuch „Sexualpädagogik der Vielfalt“ von Elisabeth Tuider. Darin sollen Kinder einen „Puff für alle“ planen, inklusive Dildo, Taschenmuschi und ähnlichem. Das Buch enhält haarsträubende Praxisübungen. Diese Art der Pädagogik ist übergriffig. Das ist ein psychischer Angriff auf das Kind. Tut das außerhalb der Schule jemand, wird er wegen Kindesmißbrauchs angeklagt – und zwar völlig zu Recht.

An der „Demo für alle“ nehmen Eltern aus ganz Deutschland teil. Aber es geht doch nur um den Bildungsplan in Baden-Württemberg. 

Beverfoerde: Baden-Württemberg hat eine Vorreiterrolle. Gerade in Bildungsfragen genießt das Land ein hohes Ansehen – ein gutes Bildungssystem, vorbildliche Abschlüsse. Insofern ist es sehr wichtig, daß wir gerade dort gegen schulische Gender-Indoktrinierung und Sexualisierung ein Exempel statuieren.

Wie soll sich die Sexualerziehung denn durch den neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg verändern?

Beverfoerde: In der ursprünglichen Fassung des Bildungsplans 2015 war „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Leitthema vorgesehen. Dagegen formte sich Widerstand mit einer Petition von 190.000 Unterzeichnern und Demonstrationen. Nach unserer ersten „Demo für alle“ wurde der Bildungsplan zurückgezogen und verbal entschärft. Man hat Reizworte wie „sexuell“ herausgenommen und einen neuen Bildungsplan für 2016 vorgesehen. Daraus sind sogenannte Leitperspektiven bekanntgeworden, die heißen jetzt „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“. Allerdings haben sowohl Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann als auch Bildungsminister Andreas Stoch mehrfach bestätigt, an der Forderung nach Akzeptanz sexueller Vielfalt in der Sache festzuhalten. Auch wenn das als Begriff nicht auftauchen soll. Im Grunde soll sich also nichts ändern. Deswegen werden wir weiter auf die Straße gehen. So lange, bis wir sicher sein können, daß die Indoktrination der Kinder mit „sexueller Vielfalt“ aus dem Bildungsplan herausgenommen wird.

Im Schwulenmagazin „Männer“ wird Ihnen vorgeworfen, „die Verankerung sexueller Vielfalt im Unterricht“ mit „sexualisiertem Unterricht“ , also dem Behandeln von Stellungen oder Sexpraktiken, zu verwechseln.

Beverfoerde: Man kann sexuelle Vielfalt nicht erklären, ohne auch Sexualpraktiken mit zu behandeln. Wie wollen Sie das denn machen? Wie wollen Sie den Schülern – ohne dabei die sexuelle Praktik anzusprechen – die unterschiedlichen Arten der „sexuellen Vielfalt“ erklären? Das geht doch gar nicht.

Der neue Bildungsplan will „Akzeptanz und Toleranz“ fördern. Das klingt doch eigentlich nicht schlecht, oder?

Beverfoerde: Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen Akzeptanz und Toleranz. Toleranz ist etwas, das selbstverständlich in der Schule eingeübt werden muß. Das war in den alten Bildungsplänen auch schon enthalten. Allerdings hat die Schule kein Recht, Akzeptanz, hier allen möglichen sexuellen Verhaltens, einzufordern. Toleranz bedeutet, etwas zu dulden und zu ertragen – eine Einstellung oder ein Verhalten von jemand anderem, was man selbst nicht teilt oder selbst nicht mag –, es aber nicht zu bekämpfen. Akzeptanz dagegen bedeutet, daß ich es selbst annehme, also daß ich die Einstellung eines anderen – die ich nicht teile – übernehme. Das ist Indoktrination und dazu hat die Schule keine Befugnis, was das Bundesverwaltungsgericht 2008 noch einmal klargestellt hat. Sie muß das Elternrecht achten, gerade auch in der Sexualerziehung.

Befürworter sagen, der neue Bildungsplan fördere Respekt unter den Kindern. Ist es denn schlecht, wenn Kinder lernen, daß es auch andere Lebensformen gibt?

Beverfoerde: Kinder müssen vieles erfahren, was ihnen im Leben begegnen könnte. Und da ist die Schule ein Ort, wo das vermittelt werden darf. Aber der Fokus, der jetzt auf die sexuelle Vielfalt gerichtet wird, ist nicht gerechtfertigt.

Könnte das Sprichwort „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird“ nicht auch hier zutreffen?

Beverfoerde: Bereits jetzt empfinden manche Eltern und Kinder die Sexualerziehung in der Schule als übergriffig – schon ohne den neuen Bildungsplan.Wenn Kinder als Hausaufgabe Kondome kaufen sollen, empfinden sie das als sehr, sehr peinlich. Eltern haben sich an uns gewandt, weil in Baden-Württemberg mitunter eine pornographische Schullektüre gelesen werden muß, die auch prüfungsrelevant ist. Das Buch nennt sich „Zweier ohne“ und wurde von Dirk Kurbjuweit geschrieben. Sie können sich vorstellen, wo das hinführt, wenn das auch noch verschärft werden soll.

An der letzten „Demo für alle“ in Stuttgart haben etwa 2.400 Menschen teilgenommen.

Beverfoerde: Ja, und es ist immer eine sehr positive Stimmung dort. Die Leute sind begeistert. Man trifft auf Gleichgesinnte, auf andere ganz gewöhnliche Eltern mit ihren Kindern, die sie vor der zunehmenden Sexualisierung beschützen wollen. Man hat das Gefühl, nicht alleine zu sein. Das ist sehr wichtig. Viele waren zuvor noch nie auf einer Demonstration. Aber sie haben erkannt, daß sie für die Werte ihres normalen Lebens eintreten müssen. Immer mehr Leute begreifen, sie können nicht zu Hause sitzen bleiben und hoffen, daß die Situation von alleine gut wird. Und es ist ein friedliches Ereignis. Jedenfalls auf unserer Seite.

Die Gegenseite ist nicht friedlich.

Beverfoerde: Daß die Polizei da ist, ist gut. Die Gegendemonstranten würden sonst wohl handgreiflich. Bei der ersten Demonstration waren wir über 2.000 Demonstranten, und fast 1000 Polizisten haben auf uns aufgepaßt. Da sieht man auch, daß die Gegendemonstranten das Gegenteil von dem sind, was sie fordern: Sie sind hochgradig intolerant und aggressiv. Und ich finde es interessant, daß sie penetrant für Abtreibung und Homosexualität gegen uns anschreien, obwohl das überhaupt keine Themen bei unseren Demos sind. Daran kann man erkennen, daß es ihnen gar nicht um die Auseinandersetzung mit unseren Anliegen geht. 

Warum liegt Ihnen der Familienschutz so am Herzen?

Beverfoerde: Das kam durch die Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten in Sachsen-Anhalt, durch die auch meine zwei älteren Kinder betroffen waren. Kinder sollten für einen bestimmten Zeitraum in der Schule sein, egal ob sie solange Unterricht hatten oder nicht. Ich dachte, das kann ja wohl nicht wahr sein! Die Schule hat kein Recht, unsere Kinder zwangszubetreuen. Der Unterricht ist Schulpflicht, aber über die Betreuung entscheiden immer noch wir Eltern. Und da hab ich mich zum erstenmal politisch engagiert und gemerkt, wieviel man erreichen kann, wenn man sich einsetzt.

Und als Mutter waren Sie auch persönlich betroffen.

Beverfoerde: Genau. Mein ganz persönlicher Zugang zu diesem Thema ist eben das Elternrecht. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Und das Elternrecht ist durch den Bildungsplan sehr stark betroffen. Es ist Sache der Eltern, zu entscheiden, ob und durch wen das Kind mit Inhalten konfrontiert werden darf, die es in seiner Intimsphäre stark betreffen. Es wird immer eingewandt, viele Eltern erzögen ihre Kinder in diesem Punkt nicht richtig. Aber Sexualerziehung ist originär Elternsache.

Sie haben eben gesagt, die Demonstranten würden für ihr „normales Leben“ eintreten. Was ist denn heutzutage noch „normal“?

Beverfoerde: Ich mache das Normale am Grundgesetz fest. Ehe und Familie stehen laut Grundgesetz unter dem besonderen Schutz des Staates, genauso wie das natürliche Recht der Eltern auf Erziehung ihrer eigenen Kinder. Das sind Grundnormen, die von Befürwortern des Bildungsplans angegriffen werden und die wir verteidigen müssen. Und ich lasse mich nicht als rechtsradikal betiteln, weil ich mich für Ehe und Familie einsetze. Das weise ich zurück! Wer diesen Vorwurf erhebt, der steht selbst nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes.

Aber in den letzten Jahren hat sich doch auch viel verändert. Ist das Grundgesetz in dem Zusammenhang überhaupt noch aktuell?

Beverfoerde: Nur weil sich die Lebenssituation von manchen Bürgern verändert hat, bedeutet das nicht, daß das Grundgesetz nicht mehr stimmt. Drei Viertel aller Kinder wachsen wie eh und je bei ihren leiblichen Eltern auf, mit Vater und Mutter. Es wird so getan, als ob abweichende Familienverhältnisse überwiegen würden. Das stimmt einfach nicht.

Der Alltag der Kinder sieht also ganz anders aus?

Beverfoerde: Genau. Die Kinder sollen jetzt in der Schule ein völlig neues Familienbild eingeprägt bekommen, und zwar fächerübergreifend, was aber mit ihrem Alltagserleben allenfalls am Rande zu tun hat. Oder jedenfalls nicht in der Gewichtung. Da wird etwas künstlich aufgebaut, und das ist Gender-Propaganda.

Auch durch die Medien?

Beverfoerde: Eindeutig ja. Man kann klar sehen, daß die Medien – mit einigen Ausnahmen – auf der Seite derjenigen stehen, die den Bildungsplan durchsetzen möchten.

In einer Sendung des Bayerischen Rundfunks wurden Sie und andere als Menschen bezeichnet, die „hart an der Grenze zum Rechtsradikalismus unterwegs sind“. Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?

Beverfoerde: Ich lasse das nicht so nah an mich heran, weil es absurd ist. Die meiste Kritik kommt aus dem LSBTTIQ-Spektrum, also von Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Transgenderaktivisten und so weiter. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß gerade diese Leute sehr empfindlich sind, wohl aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation. Viele können nicht zwischen objektiven Tatsachen und ihren subjektiven Empfindungen unterscheiden. Ich nehme den Leuten die Kritik persönlich aber nicht so übel. Es ist eben ein sehr gefühlsbeladenes Thema.

Denken Sie manchmal daran aufzugeben?

Beverfoerde: Nein. Das kann man auch schlecht, wenn man so was mal angefangen hat. Ich hab das Aktionsbündnis zusammengebracht, das jetzt die „Demo für alle“ veranstaltet. Auch weil ich schon viele Kontakte zu Personen und Gruppen hatte, die mir vertrauen, konnte sich dieses Bündnis schnell formieren. Ich habe offene Türen eingerannt, weil wir alle wissen, daß man zusammen mehr schafft als alleine.

Sie sind Sprecherin der Initiative „Familienschutz“.Was fordert Ihre Initiative konkret?

Beverfoerde: Die Initiative setzt sich für eine familienfaire Sozialreform ein, für das Betreuungsgeld und allgemein für Themen, die das Elternrecht betreffen, beispielsweise gegen die Kita-Pflicht oder jetzt eben auch die Bekämpfung der Sexualisierung. Eltern und sogar Großeltern aus allen Schichten und aus jedem Bundesland engagieren sich bei uns. Wir bündeln die Aktivitäten und Kampagnen Gleichgesinnter für eine Familienpolitik, die diesen Namen verdient. Denn die jetzige Familienpolitik schadet mehr, als sie nützt.




Hedwig Freifrau von Beverfoerde, ist die Sprecherin der Initiative „Familienschutz“ (Logo rechts). Sie wurde 1963 im Sauerland geboren, hat drei Kinder, ist studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und ehemalige Marketingfachfrau. 2001 erreichte eine von Beverfoerde gegründete Bürgerinitiative die Rücknahme des Gesetzes zur Betreuungspflicht von Grundschulkindern in Sachsen-Anhalt. 2005 war ihre Bürgerinitiative dort am Sieg beim Volksentscheid in Sachen Kita-Betreuungszeit beteiligt. Geplant war die Ausweitung des Rechtsanspruchs auf eine Kita-Betreuung von fünf auf zehn Stunden täglich für alle Kinder. Als Antwort auf die aktuelle Debatte um die „Homo-Ehe“ in Deutschland hat die „Initiative Familienschutz“ zuletzt die Petition „Ehe bleibt Ehe“ ins Leben gerufen – ein Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Forderung nach der „Ehe für alle“ abzulehnen (mehr zu diesem Thema auf Seite 6). 


 www.demofueralle.de

 www.familien-schutz.de

Foto: Protestierende Bürger bei der „Demo für alle“ im März in Stuttgart: „Das Elternrecht ist durch den Bildungsplan stark betroffen. Es ist Sache der Eltern, zu entscheiden, ob und durch wen das Kind mit Inhalten konfrontiert werden darf, die es in seiner Intimsphäre stark betreffen“

 

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