© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Haltungsnote
Ein Klosterökonom in Nordkorea
Christian Rudolf

Pater Tassilo Lengger ist ein energischer Mann, als Klosterökonom und Landwirt mit den Realitäten des Lebens vertraut und allen Illusionen abhold. Um 4.30 Uhr beginnt er mit dem Melken im hochmodernen Stall der oberbayrischen Benediktinerabtei St. Ottilien. Auch die Politik ist dem 44jährigen nicht fremd, er vertritt St. Ottilien im Eresinger Gemeinderat. Aber Nordkorea ist nicht Bayern, und ein Gottesdienst in der einzigen zugelassenen katholischen Kirche des kommunistischen Terrorstaates etwas anderes als eine Messe in der freien Welt. Davon durfte sich der Benediktiner kürzlich überzeugen, als er mit Hartmut Koschyk, dem Chef der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe, nach Pjöngjang reiste. In der Changchun-Kirche kommt es prompt zum Eklat, als der angebliche „Pater Francisco" aus der Predigt eine Hetztirade gegen „die Imperialisten" macht, die im Aufruf zu einem „heiligen Krieg" gegen die „südkoreanischen Marionetten" gipfelt, denen er „gnadenlose Strafe" androht. Als ihm ein Übersetzer den Inhalt ins Ohr flüstert, legt Lengger beherzt die Stola ab und verläßt aus Protest den Altarraum. Er ist geschockt, fühlt sich mißbraucht. Politik habe in der Kirche nichts zu suchen. „Das geht nicht, deswegen habe ich abgebrochen."