© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Frech bis zur Provokation
Vom Straßenpflaster zu den Sternen: Der französische Modeschöpfer Jean Paul Gaultier gastiert mit einer Ausstellung im Pariser Grand Palais
Doris Blum

Die blauweißen Matrosenstreifen sind das Markenzeichen Jean Paul Gaultiers. Ebenso unverkennbar und längst Kult sind sein Korsett mit dem Tüten-BH, der Damenrock für den Mann, die Konservendose fürs Parfum und natürlich der Trenchcoat in immer neuem Look: als hautenger Body ist er quasi ein Dessous, kostbar bestickt, aus Brokat und Seide gefertigt, wird er mit kniehohen derben Angler-Stiefeln kombiniert, und in der jüngsten Frühjahrs-Kollektion zeigt er sich sogar als Tüll-unterlegtes Hochzeitskleid.

Sein Schöpfer Jean Paul Gaultier,1952 im Pariser Arbeiter-Vorort Arcueil geboren, schockiert – und fasziniert – seit fast vier Jahrzehnten die internationale Modeszene: Ein enfant terrible, genial, ungezähmt, alle Normen sprengend, frech bis zur Provokation, die Grenzen des guten Geschmacks gefährlich streifend. Eine verwegene Vermischung von raffinierter Couture und Trash ist heute ein gängiges Rezept der Mode. Doch bei Gaultier ist da auch immer dieses Quentchen Magie, eine sensible Virtuosität und eine gehörige Portion Humor. Betrachtet man seine Kreationen, fühlt sich das Leben plötzlich leicht und spielerisch an. Das macht diesen Mann populär – und dafür lieben ihn nicht nur die Franzosen.

Allein Yves Saint Laurent und Gaultier gelinge es, aus Mode große Kunst zu machen, hatte Andy Warhol erklärt. So verwundert es nicht, daß JPG längst auch Einzug ins Museum gehalten hat. Nach diversen Stationen – Montreal, Dallas und San Francisco, Madrid, Rotterdam, Stockholm, New York, London und Melbourne – zeigt nun das Pariser Grand Palais in einer spektakulären Ausstellung 175 Kreationen aus fast vierzig Jahren. Ihr Motto: „Vom Straßenpflaster zu den Sternen." Auf einem langen Parcours mit acht Themenbereichen taucht man ein in die fabelhafte Welt des Jean Paul Gaultier und findet alles, was ihn inspirierte: von Jacques Beckers Film „Falbalas" (1944), der das Modemilieu aufs Korn nimmt, bis zu den Tänzerinnen der Folies Bergères, der alten Nähstube seiner Großmutter Marie und den Hochglanz-Blättern, aus denen er lernte, denn eine Modeschule hat er nie besucht.

Eine Bedingung hatte JPG jedoch an das Projekt geknüpft: „Ich will kein Leichenbegängnis im Museum. Ich lebe ja noch, auch meine Kleider wollen nicht in die Vitrine, da sähen sie aus wie tot. Sie wollen sich bewegen und getragen werden." So erlebt der Besucher eine bunte, schrille, verrückt inszenierte Multimedia-Show. Angeführt wird sie von seinem alten, abgeliebten Teddybären Nana, für den der Sechsjährige sein allererstes Korsett entwarf: zwei Kegelchen aus Zeitungspapier. Die trägt Nana noch heute auf der spärlich behaarten Brust.

Auf dem mechanisch bewegten Catwalk der Abteilung „Punk Cancan", wo Swinging London auf Pariser Chic und auf den aufgerüschten Cancan trifft, gleiten Mannequins fast lautlos an roten Sesseln vorbei, die reserviert sind für Madonna, Kylie Minogue, Nana Mouskouri, Tina Turner – und die gefürchteten Mode-Redakteurinnen. Cathérine Deneuve moderiert das Defilee aus dem Off.

Ein Höhepunkt ist die Abteilung „Metropolis," ein Kultur-Schaufenster, das Gaultiers Arbeit für Kino und Theater dokumentiert. Lebensechte Puppen mit prächtigen Perücken stecken in Kleidern aus Kultfilmen von Pedro Almodovar, Luc Besson, Jean-Pierre Jeunet und ziehen an Wänden vorbei, auf denen sich Straßenszenen aus Paris und New York abspielen. Die Tänzer aus Maurice Béjarts „Nußknacker" kreuzen auf – alle eindrucksvoll in „Gaultier."

Ein paar Schritte weiter steht, mitten im Saal leicht erhöht, der Meister selbst im Marinepullover aus Nerz und langem schwarzen Rock. Matrosen begleiten ihn. Er heißt die Besucher willkommen, wünscht eine schöne Ausstellung, rollt vielsagend seine blauen Augen, spricht über sich und seine Mode, beruft sich auf Kurt Schwitters, zitiert aus Jacques Préverts Gedicht „Ich bin wie ich bin" den Vers „Ich bin da, um euch zu gefallen, und das wird sich niemals ändern." Das flanierende Publikum ist entzückt, hängt an seinen Lippen.

Doch halt! Sind Gaultier und sein blau-weiß-gestreifter Troß überhaupt echt? Nein. Auf den zweiten Blick entpuppen sie sich als animierte Figuren aus der Trickkiste der kanadischen Theaterfabrik UBU und ihrer Video-Designer. Das Trompe-l’oeil ist gelungen – und der richtige JPG amüsiert sich wie Bolle. Im Grunde ist er immer noch der kleine Junge aus dem Vorstadt-Paris, der gerade dabei ist, sich seinen Traum zu erfüllen: von der Straße zu den Sternen eben.



Die Gaultier-Ausstellung im Pariser Grand Palais 3, avenue du Général Eisenhower, Eingang Clemenceau, ist bis zum 3. August täglich außer dienstags von 10 bis 22 Uhr, So. und Mo. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 39 Euro. Telefon: 00 33 / 1 / 44 13 17 17


www.grandpalais.fr

Jean Paul Gaultier (r., 2014); Skizze eines


Bühnenkostüms (2013): Vom Bürgersteig auf den Laufsteg