© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

„Auch wir müssen unseren Beitrag leisten“
Außenhandel: Deutsche Exporte so hoch wie nie / Mittelständler beklagen Einbußen im Ostgeschäft
Thomas Fasbender

Deutschland ist stolz auf seine Exportwirtschaft. In den achtziger Jahren und dann von 2003 bis 2008 nahm Deutschland sogar den USA ihren Titel Exportweltmeister ab. Erst seit 2009 liegen die Chinesen vorn. Seit 1999 ist der Exportanteil an der deutschen Wirtschaftsleistung von 25 auf 40 Prozent gestiegen. Im März 2015 lagen die Ausfuhren mit 107,5 Milliarden Euro so hoch wie nie zuvor in einem Monat. Vielen Volkswirten bereitet diese Entwicklung allerdings Unbehagen. Der Ökonom Hans-Werner Sinn klagte schon vor sechs Jahren in der Welt: „Die Hälfte der Amerikaner hat mehr konsumiert, als sie an Einkommen hatte. Sie haben sich beispielsweise deutsche Autos gekauft, und zurück zu uns kamen Lehman-Brothers-Papiere, die heute wertlos sind."

Der EU mißfallen die deutschen Exportüberschüsse: 2014 hat Deutschland für 285 Milliarden Dollar mehr aus- als eingeführt. China lag nur mit 150 Milliarden im Plus. Deutschland, so heißt es in Brüssel, müsse künftig mehr im EU-Ausland einkaufen, um so die schwächeren Partner zu stützen. Dabei sind nicht die Niederlande, Irland, Tschechien, Ungarn oder die Slowakei gemeint, die uns mehr liefern als wir zu ihnen: Chronisch defizitär ist der Handel für Großbritannien, Frankreich und Polen, auf die 30 Prozent des deutschen Überschusses entfallen.

Da paßt es manchem ins Konzept, wenn die Ausfuhren in zwei Schwellenländer schwächeln: Nach Rußland sind die deutschen Ausfuhren 2014 um über 18 Prozent eingebrochen – die Ukrainekrise fordert ihren Tribut. Im Fall Brasilien beträgt das Minus drei Prozent. Das dortige Nullwachstum erklärt die Flaute. Andererseits hat der brasilianische Real gegenüber dem Euro aufgewertet – Importe wurden dadurch eigentlich billiger.

Freiwilliger Verzicht aus politischen Gründen?

Das löst bei deutschen Verbandsvertretern keine Panik aus. Deutlich wird das am Beispiel Rußland. In der Tat repräsentieren die Ausfuhren dorthin gerade einmal 2,6 Prozent der Gesamtexporte. Nach Frankreich lieferten deutsche Firmen 2014 Waren für 101 Milliarden Euro, in die USA für 96 Milliarden und nach Großbritannien für 84 Milliarden. Rußland lag mit 29,3 Milliarden auf Rang 13 – hinter Tschechien mit 33,6 Milliarden. Selbst wenn nichts mehr nach Rußland ginge, würden Banker sagen: Peanuts. Selbst die dramatischen Exporteinbußen bei Milchprodukten werden kleingeredet. Denn rückläufige Rußlandexporte stiften doppelten Nutzen: volkswirtschaftlich (sinkende Exportabhängigkeit) und außenpolitisch (transatlantische Bonuspunkte).

Damit das allen klar ist, hat Industrieverbandspräsident Ulrich Grillo jüngst einen Brief an tausend Unternehmens- und Verbandsvertreter geschickt: Signale aus der Wirtschaft, wonach das russische Verhalten „nachvollziehbar oder gar gerechtfertigt ist, tragen definitiv nichts zur Konfliktlösung oder gar zur Wiederherstellung der europäischen Friedensordnung bei". Die Positionierung der deutschen Wirtschaft in kritischen außenpolitischen Fragen, so der BDI-Chef weiter, bekomme mit der neuen Führungsrolle Deutschlands in der Welt zusätzliches Gewicht: „Auch wir müssen unseren Beitrag zur Stabilisierung der internationalen Ordnung leisten."

Mit seinem Brandbrief reagiert Grillo, der nach dem Studium mehrere Jahre bei US-Beratungsgesellschaften gearbeitet hat, auf das wachsende Murren vor allem im deutschen Mittelstand. Viele Firmen nehmen seit einem Jahr sanktionsbedingte Einbußen hin, nur um von ihren russischen Partnern zu hören: Wir können auch ohne.

Langfristige Sorge um
deutsche Investitionen

Und da geht es nicht um Peanuts. Über 6.200 deutsche Firmen sind in Rußland präsent – mit Niederlassungen, Filialen, Repräsentanzen und Gemeinschaftsunternehmen. Keine andere Volkswirtschaft ist dort auch nur annähernd so dicht aufgestellt; die deutschen Unternehmen haben sich in jahrelanger Arbeit, oft seit den frühen Neunzigern, in Rußland einen Schatz an Know-how, Kontakten und Vertrauen geschaffen.

Für den Metro-Saturn-Konzern ist es der größte Auslandsmarkt: 22.000 Beschäftigte in 130 Filialen erwirtschaften einen Umsatz von 4,3 Milliarden Euro. Dax-Konzerne wie Eon und BASF unterhalten eine Vielzahl von Beteiligungen; die Autoindustrie ist mit Produktionsstätten vertreten. Henkel, ebenfalls vor Ort produzierend, setzt über eine Milliarde Euro um. Adidas ist russischer Marktführer. Insgesamt haben deutsche Firmen rund 20 Milliarden Euro in Rußland direkt investiert – mehr als die USA, Frankreich, Italien, Großbritannien, Japan und China zusammen.

Deutsche Manager begrüßen weder den Anschluß der Krim noch den ukrainischen Bürgerkrieg. Zumal viele der in Rußland aktiven Firmen auch in der Ukraine engagiert sind – oder waren: Der Export dorthin ist 2014 sogar um 33 Prozent eingebrochen. Dennoch hält die Mehrheit der in Rußland tätigen Unternehmer nichts von der Sanktionspolitik – nicht aus Profitgier, sondern weil sie Land und Leute kennen. Manche fragen sich, wie biegsam unsere Standards in Sachen Demokratie und Menschenrechte sind, wenn man die Russen abstraft, den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi hingegen nach Berlin einlädt. Der deutsche Export nach Ägypten betrug 2014 schließlich nur ein Zehntel dessen, was nach Rußland ging.

Zu Jahresbeginn wurde in Hamburg sogar ein neuer Verband gegründet, der Deutsch-Russische Wirtschaftsbund. „Viele Familienunternehmer, die bisher in Rußland erfolgreich waren, verzeichnen Ausfälle teilweise im hohen zweistelligen Prozentbereich. Und weder Politik, Verbände noch Medien interessieren sich dafür", klagt dessen Chef, Hans-Dieter Philipowski. Er liefert seit 1985 Anlagen nach Rußland. Und inzwischen geht es heftig zur Sache, wenn BDI, Ost-Ausschuß der Wirtschaft oder die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer mit ihren Mitgliedern zum Thema Sanktionen diskutieren.