© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Das Zugpferd tritt ab
Linkspartei: Gregor Gysi hinterläßt mit seiner Rückzugsankündigung eine gespaltene Partei und mahnt DDR-Nostalgiker und Radikale zur Geschlossenheit
Paul Leonhard

Gregor Gysi wird nur noch eine begrenzte Zeit seine Fraktion im Bundestag führen. Am 13. Oktober, wenn bei den Linken turnusgemäß die Fraktionsspitze neu gewählt werden soll, stehe er für ein Vorstandsamt nicht mehr zur Verfügung. Mit diesem angeblichen Paukenschlag ging am Sonntag der zweitägige Linken-Parteitag in Bielefeld zu Ende. Daß seitdem statt über linke Programmatik und den geplanten Griff der Sozialisten zur Macht in Deutschland wieder einmal über Personalien diskutiert wird, könnte ein gezieltes Ablenkungsmanöver für die Öffentlichkeit sein. Denn zumindest dem Parteivorstand war seit Mai 2013 bekannt, so Gysi in seiner Rede, daß er im Herbst 2015 nicht wieder für den Fraktionsvorsitz kandidieren, sondern sich fortan auf die Arbeit in seinem Direktwahlkreis Berlin Treptow-Köpenick konzentrieren wolle.

Von einer „vernünftigen Entscheidung" sprach Gysi und versprach in Bielefeld, die Verantwortung wirklich abzugeben und „nicht heimlich" zu versuchen, „die Fraktion auf indirekte Art weiter zu leiten". Andererseits warnte er der diese doch ohne Not gerade angestoßen hatte – geradezu scheinheilig vor „ausufernden Personaldebatten", die Katja Kipping und Bernd Riexinger die Suche nach einem geeigneten Nachfolger erschweren könnten. Bei den beiden Parteivorsitzenden liegt das Vorschlagsrecht für den oder die neuen Fraktionsvorsitzenden. Bereits am Montag schlug Riexinger Gysis bisherigen Stellvertreter, Dietmar Bartsch, und Sahra Wagenknecht – und damit einen Reformer und eine Stalinistin – als neue Doppelsitze vor. Das war absehbar, hat aber einen Schönheitsfehler: Wagenknecht hatte noch im März dankend abgelehnt. Bleibt es dabei, sei auch ein „völliger Neuanfang" denkbar, so Riexinger. Öffentlich analysiert wird ebenfalls eine mögliche Doppelspitze mit Martina Renner und Jan van Aken. Die Fraktion ist groß genug, bis zum Herbst noch viel Zeit und die Linke immer für eine Überraschung gut.

Interessant sind einige Gedanken, die Gysi den Delegierten mit auf den Weg gegeben hat. Um aus ihrer Oppositionsrolle herauszuwachsen, brauche die Linke ein „zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus, also auch zur DDR". Als politische Ziele nannte er ein Aussetzen der TTIP-Verhandlungen, eine Deeskalation des Verhältnisses zu Rußland und dessen erneute Integration in Europa bei gleichzeitiger Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des ukrainischen Volkes. Eine deutliche Absage gab es an alle Extremisten: „Ich mag leidenschaftliche, engagierte, auch radikale Leute, aber keine Extremistinnen und Extremisten, schon weil sie frei von Humor und Toleranz sind", sagte Gysi: Rechtsextremisten seien furchtbar, aber auch „Linksextremisten können mehr als unangenehm sein".

Gleichzeitig mahnte er die Partei, sich, ohne die eigene Identität zu verlieren, kompromißfähig zu zeigen. Es gelte zur Kenntnis zu nehmen, daß die Linke eine Zehn-Prozent- und keine 50-Prozent-Partei sei und daß sie sich ihre erreichte gesellschaftliche Akzeptanz über viele Jahre schwer erarbeitet habe. Hier schwingt Gysis Angst mit, die Genossen könnten in den kommenden Monaten all das aufs Spiel setzen.

SPD und Grüne zweifeln
an Bündnisfähigkeit

Die von den Sozialisten als Bündnispartner ins Auge gefaßten Sozialdemokraten und Bündnisgrünen zeigten sich von der für sie wirklich überraschenden Rückzugsankündigung verunsichert. Ohne Gysi werde es die Linke schwer haben, sich auf der Bundesebene von der Fundamentalopposition zu verabschieden, sagte Vize-SPD-Vorsitzender Ralf Stegner der Rheinischen Post. Gysis Entscheidung sei „das Eingeständnis, daß sein großes Ziel, die Linke auf Bundesebene zur Regierungsfähigkeit zu führen, gescheitert ist", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.

Allgemein wird befürchtet, daß der von Wagenknecht vertretene linksradikale und politische Zugeständnisse zumeist ablehnende Flügel wieder mehr Einfluß bekommen könnte.Wenn es Gysi nicht geschafft habe, „der Linken Regierungsfähigkeit und Regierungswillen zu vermitteln, schafft das auch niemand anders mehr", sagte Oppermann der Neuen Osnabrücker Zeitung. Mit Wagenknecht als Fraktionschefin sei die Linke auf die Opposition festgelegt und Rot-Rot-Grün noch unrealistischer. Doch in diesem Fall dürfte Gysi, entgegen allen Versprechen, in der Fraktion doch wieder vermitteln. Denn im Bundestag will der 67jährige bleiben, vielleicht sogar noch einmal 2017 um ein Direktmandat kämpfen. Auf den Wahlkampf 2017, twitterte der Politiker, „freue ich mich wie verrückt, in welcher Rolle ich da auch immer dabeisein werde".