© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 25/15 / 12. Juni 2015

Schlappe für Erdogan bei Wahlen in der Türkei
Aus der Traum
Marc Zoellner

Das Warnsignal kam wie immer von der Börse: Kurz nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen zur Wahl des türkischen Parlaments brach der wichtigste Aktienindex der kleinasiatischen Republik schlagartig um knapp sieben Prozent ein. Nur wenig später folgte ihm die türkische Lira in einer beispiellosen Entwertung. Für die Broker am Bosporus stand fest: Die Türkei wird in absehbarer Zeit nicht mehr mit klarem Kurs regiert werden. Erdogan daran die Alleinschuld zu geben wäre jedoch zu simpel. Zweifelsohne spielte seine die Gesellschaft polarisierende und bis ins Exzentrische überstrapazierte Rolle des Patriarchen der Nation eine gewichtige Rolle für das Scheitern der AKP.

Doch auch die Opposition hatte sich im Wahlkampf zu sehr auf Erdogan eingeschossen und es verpaßt, eigene thematische Schwerpunkte zu entwickeln. So allerdings kann sich keine breite Bewegung etablieren, die willens und fähig wäre, die Türkei in eine Nach-Erdogan-Ära zu leiten. Erdogan hat hoch gepokert und hoch verloren. Ihm bleiben nur wenige Optionen: entweder die Bildung einer Koalition unter Aufgabe wesentlicher Positionen der AKP oder Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung. Sein Traum jedoch, der Traum vom Reich Erdogans, ist ausgeträumt. Das Volk selbst hat ihn unsanft aus dem Schlaf gerissen.