© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Beim Hausaufgabenmachen ist Musik Gift
Neuronale Voraussetzungen schulischer Erfolge: Medienkonsum stört die Übertragung von Lernstoff ins Langzeitgedächtnis
Dieter Menke

Kinder gleichen weder Hühnerküken noch Mongolischen Wüstenrennmäusen. Trotzdem, glauben Neurobiologen wie Holger Schulze (Uni Erlangen-Nürnberg), lasse sich beiden Tierarten viel abschauen, was Kindern zu schulischen Erfolgen verhelfe. Denn die allgemeinen Rahmenbedingungen, in denen sich Lernen und Gedächtnisbildung vollziehe, seien so verschieden nicht (Universitas, 2/15).

An Küken wurde der Mechanismus des Prägungslernens entdeckt, dem auch Säuglinge gehorchen. Küken- wie Säuglingshirne bilden wahllos eine unstrukturierte Vielzahl synaptischer Verbindungen der Nervenzellen ihres Gehirns aus, die ausgelegt sind, jeden beliebigen Sinneseindruck zu verarbeiten. Spezifische Tonhöhen bei Versuchsküken wie die Stimme der Mutter bei Säuglingen kräftigen dann die dafür benötigten Strukturen, während alle übrigen Verbindungen abgebaut werden. Im weiteren Entwicklungsverlauf festigen sich „gebrauchsabhängige“ Bahnen des Netzwerkes, ein Vorgang, der sich im Vorschulalter rasch vollzieht und der am Ende der Pubertät abgeschlossen ist.

Zu welchen dramatischen Auswirkungen Defizite in der kortikalen Organisation beim Fehlen entsprechender sensorischer Erfahrungen führen, belegt das bekannte Unvermögen von Chinesen, das Phonem [r] zu sprechen, weil sie es während der erfahrungsabhängigen kindlichen Hirnentwicklung nie hören, denn das Phonem [l] aktiviert statt dessen denselben sensorischen Filter wie [r].

Am Vormittag gelernt, am Nachmittag erinnert

Dementsprechend sei eine besonders breite Förderung mit verschiedenen auditiven, visuellen, sprachlichen Angeboten im Vorschulbereich so „ungemein wichtig“, weil in dieser Phase sich einpräge, was später nie so gut gelernt werde. Dazu lehren Schulzes Mongolische Wüstenrennmäuse, wie Langzeitgedächtnisbildung und Motivation auch bei Kindern funktionieren. Für die Übertragung frisch gelernter Informationen aus dem Kurz- ins Langzeitgedächtnis benötigt die Proteinbiosynthese der Nervenzellen 24 Stunden. Werde die Verarbeitung des am Vormittag schulisch Gelernten nachmittags durch Reizüberflutung, durch Fernseh- und PC-Spielkonsum gestört, habe die Schule keine Chance, „noch etwas Lernstoff in die Köpfe hineinzubekommen“. Medienkonsum, so die simple wie eindringliche Botschaft der Hirnforschung, wirke sich negativ auf Lernen, Lesen, Wortschatz und mathematische Fähigkeiten aus.