© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Schlußakkord
Alles, was ist, endet: Das Richard-Wagner-Festival in Wels in Oberösterreich hat zum letzten Mal stattgefunden / „Tannhäuser“ verzauberte
Sebastian Hennig

Wer auf einen Opernabend eingestellt ist, der hat bereits den Vorsatz gefaßt, sich bezaubern, wenn nicht gar betrügen zu lassen. In solcher Verfassung nimmt man Dinge so hin, wie sie in der Wirklichkeit unmöglich sein können. Wer also noch nicht gar so oft bei den Vorstellungen des Richard-Wagner-Festivals im Saal des Hotels zum Greif im oberöstereichischen Wels zugegen war, der konnte beim Lesen der Namen dieses letzten Welser Programms von freudigen und grausigem Staunen zugleich angewandelt werden. Denn dort waren in der Besetzungsliste für „Tristan und Isolde“ Gwyneth Jones und Theo Adam angekündigt. Bei der Erwähnung des Orchesters der Staatsoper Prag stutzte der Blick dann endgültig. Die besonnene Suche nach den Umständen bringt an den Tag: Es handelte sich hier um einen pietätvollen Rückblick auf jene Besetzung, mit der das Festival 1995 die szenischen Umsetzungen der Hauptwerke Wagners unter der künstlerischen Gesamtleitung von Günther Schneider-Siemssen eröffnete.

Dieses Jahr spielen die Brünner Philharmoniker den „Tristan“ unter Ralf Weikert, und die Inszenierung stammt wie der „Holländer“ und „Lohengrin“ im vorigen Jahr von Herbert Adler. Doch durchaus etwas überkommen ist Stig Andersen als Tristan. Seine siegvolle und prunkende Fülle, das virile Funkeln eines Helden hat seine Stimme schon eingebüßt. Das war bereits bei seinem Amsterdamer Siegfried in der letzten Saison bedauerlich (JF 8/14). An sich wäre das hinnehmbar. Da jedoch die Isolde Lioba Braun zwar sicher und durchdringend aber auch etwas eintönig singt, kommt es bei den großen Duetten der beiden zu keinem guten Klang. Der schon reichlich morose Tenor von Andersen trifft höchst unglücklich auf den recht einförmigen Sopran von Braun. Anstatt sich gegenseitig über ihre Schwächen zu heben, werden diese um so spürbarer.

Brünner Philharmoniker treffen die Dramatik

Auch ist die gesamte Inszenierung nicht die überzeugendste des Welser Wagnerzyklus. Gleichwohl sind einzelne Züge fast genial. So strömt das Wasser hinter dem fahrenden Schiff mit den Sängern vorbei, während im Hintergrund langsamer die Wolken vorbeiziehen, sich bald zur Gewitterstimmung verdichten, bald auflockern. So entstehen atmosphärische Räume, die zugleich realistisch glaubhaft und metaphorisch bedeutsam sind.

Der Vorder- und Mittelgrund der Ausstattung kann da nicht mithalten. Dort ist manches Grasbüschel zuviel. Die Landzunge verliert sich in einen eigenwillig ornamentierten Überhang, der wie eine untertaute Eisdecke hohl ausgespannt daliegt. Naturalismus und Formalisierung sind zugleich übertrieben. Die Szene wirkt zuweilen wie ein Nierentisch, dem eine Böcklinsche Landschaft mit Zentauren aufgemalt ist.

Auch die anderen Sänger sind eher korrekt, als daß sie mit der Stimme plastisch zaubern würden. Eine große freudige Überraschung bewirken die Brünner Philharmoniker. Sie klingen durchaus eigenwillig, treffen aber damit die Schönheit und innerliche Dramatik der Tristanmusik hervorragend. Es entsteht der Eindruck, als wäre es das tägliche Brot des mährischen Musiklebens. Streicher, Holz und Blech, alle tönen sanft und zugleich stark, zart und doch mächtig. Damit prägt sich das Orchester der Erinnerung weit stärker ein als im Vorjahr. Insgesamt jedoch war Zuschauen und Zuhören statt eines wonnevollen Rausches allenfalls eine erfreuliche Arbeit.

Tannhäuser meisterte

einen bösen Kloß im Hals

Der Zauber ereignete sich dann mit „Tannhäuser“. Die Sänger waren so gut, daß es sich nicht schickt, einen eigens hervorzuheben, der es nicht durch seine Rolle ohnedies schon war. Der Tannhäuser hatte gegen Ende des zweiten Aufzugs einen bösen Kloß im Hals. Aber man mußte schon ganz genau darauf achten, um überhaupt mitzubekommen, mit welchem Heroismus Peter Seiffert diese gefährliche Situation meisterte. Petra Maria Schnitzer hätte als Elisa-beth etwas mehr gekränkte Leidenschaft entfesseln können. Aber je länger man sie beobachtete und ihr zuhörte, um so mehr war man geneigt, diese Schwäche als einen Teil einer besonderen Figurengestaltung aufzufassen.

Bei diesem „Tannhäuser“ war vor allem das Ganze gut. Das begann schon mit dem Ballett im Venusberg der Eingangsszene. Die üppige Liebesgöttin, Judith Németh als Venus, räkelte sich rücklings hinter dem Ritter. Das Festspielballett tanzte in der Choreographie von Daniel Morales Pérez paarweise eine ewige und gültige Darstellung der sinnlichen Liebe, die lüstern und unschuldig zugleich war, ganz in Wagners Sinne.

Die Slowakische Philharmonie zeigt sich ganz auf der Höhe der gestellten Anforderungen. Während des gesamten Abends kam nie das Gefühl für jenes störrische Provisorium des ästhetischen Widerstands auf, welches die Aufführungen in Wels in den letzten zwei Jahrzehnten innerhalb der deutschsprachigen Theaterlandschaft bedeutet haben. Im Gegenteil konnte man sich fühlen wie in einem der großen Opernhäuser in einer europäischen Kapitale. Die letzte Vorstellung in Wels war noch einmal ein triumphaler Schlußakkord für dieses ambitionierte Unternehmen.

Wenn es auch vorerst in Wels keine Wagner-Festspiele mehr geben soll, so ist doch im Programmheft bereits die nächste Vorstellung des Welser „Lohengrin“ für den Herbst angekündigt. Der soll am 20. und 22. Oktober im Royal Opera House zu erleben sein, aber nicht etwa im Londoner Covent Garden, sondern in Maskat im Sultanat Oman. Arabia felix, ist man versucht mit den Alten zu sagen, glückliches Arabien, zumindest im Hinblick auf die Wagnersche Werktreue.