© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Europa muß nicht scheitern
Griechenlandkrise: Was kommt nach dem Grexit? Ein Parallelwährungssystem könnte den Euro ergänzen
Bruno Hollnagel

Scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, behauptete Angela Merkel am 19. Mai 2010 in ihrer Regierungserklärung im Bundestag. Deshalb seien die Rettungsmaßnahmen für Griechenland und andere überschuldete Euro-Länder „alternativlos“. Damals lagen die meisten faulen Schuldpapiere in den Depots von privaten Banken und Finanzinvestoren. Griechenland wäre mit etwa 60 Milliarden Euro und einer gleichzeitigen Wiedereinführung der Drachme zu retten gewesen.

Durch die beiden Griechenlandpakete, den Währungsfonds (IWF) und den Rettungsschirm EFSF sind nun bereits 215,7 Milliarden Euro nach Athen geflossen. Nur 12,9 Milliarden Euro davon wurden an den IWF zurückgezahlt. Die Europäische Zentralbank (EZB) druckt Geld und hält die Zinsen tief, damit die klammen Euro-Staaten in der Lage sind, ihre Zinsen zu zahlen. Die EZB betreibt faktisch Staatsfinanzierung. Die No-Bailout-Klausel der Währungsunion (Artikel 125 des AEU-Vertrages) ist damit fakisch obsolet.

„Das Grexit-Szenario ist beherrschbar“

Da der Löwenanteil der Kredite inzwischen aber von den EU-Steuerzahlern verbürgt wird, korrigierte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs vorige Woche das Merkel-Mantra: „Man muß die Dinge nüchtern sehen: Für die Eurozone ist das Grexit-Szenario beherrschbar“, erklärte der CDU-Wirtschaftspolitiker der Passauer Neuen Presse. Wenn die Regierung in Athen die vereinbarten Reformen nicht umsetze, werde kein weiteres Hilfsprogramm aufgelegt: „Das würde dann zum Grexit führen, dem Austritt Griechenlands aus dem Euro.“ Auch IWF-Chefin Christine Lagarde gibt sich entspannt: „Niemand wünscht den Europäern einen Grexit“, so die frühere französische Finanzministerin in der FAZ. Aber man sei beim IWF nicht naiv, „wenn die Griechen unsere Hilfe nicht wollen, drängen wir sie nicht auf“. 

Ein Grexit würde aber bedeuten, daß Griechenland eine neue Währung einführen müßte. Doch diese würde sicherlich schwach sein. In der Folge würden die Euro-Schulden für Griechenland vollends unbezahlbar werden. Die Banken würden wieder Steuergelder zur Stützung benötigen und die EZB sowie alle Euro-Länder hätten große Verluste hinzunehmen. Zudem würde eine Flut von Schadensersatzklagen auf Griechenland zukommen, weil es vertragswidrig den Euro abgeschafft hat.

Deshalb wird seit Jahren über Parallelwährungen diskutiert, die „schwache“ Staaten einführen sollten. Der jetzige AfD-Sprecher Bernd Lucke hat beispielsweise 2012 zusammen mit seinem Bonner VWL-Professorenkollegen Manfred J.M. Neumann im Handelsblatt ein solches Szenario mit einer Neuen Drachme (ND) skizziert: „Griechenland bleibt im Euro-Verbund und hält am vereinbarten Kurs der Haushaltskonsolidierung fest. Griechenland führt aber im unbaren Zahlungsverkehr die ND als eine gleichberechtigte zweite Landeswährung ein. Die Zentralbank bleibt Teil des Euro-Systems, jedoch ohne Stimmrecht in der Geldpolitik.“

Der Lucke-Neumann-Vorschlag sollte es „Griechenland erleichtern, durch einen Kurs größerer Flexibilität den wirtschaftlichen Wiederaufstieg zu erreichen“. Die unterstellte Annahme ist, daß die ND innerhalb des Landes zirkulieren würde, während im Außenhandel der Euro zum Einsatz kommt. Doch auch hier würde die Last der Euro-Schulden unerträglich hoch werden und zu den oben gezeigten Auswirkungen führen. Der Grund: Griechenland verdient sein Geld überwiegend in ND. Wertet die ND erwartungsgemäß ab, so steigen in ND gerechnet entsprechend die Schulden Griechenlands. Doch wie sieht dann eine Lösung aus? Starke Länder führen eine Parallelwährung ein; Deutschland beispielsweise die neue D-Mark (NDM). Sie wäre kompatibel zum nach wie vor gültigen Euro. Rechtlich wäre das möglich, wenn gemäß der Verträge von Maastricht und dem Lissabon-Vertrag (Artikel 105a bzw. 106) die EZB per Mehrheitsbeschluß Deutschland den Druck der Währung genehmigte: „Die EZB und die nationalen Zentralbanken sind zur Ausgabe von Banknoten berechtigt. Die von der EZB und den nationalen Zentralbanken ausgegebenen Banknoten sind die einzigen Banknoten, die in der Gemeinschaft als gesetzliches Zahlungsmittel gelten.“

Eigenverantwortlichkeit wird wiederhergestellt

Vertragsänderungen zur Einführung von Parallelwährungen sind demnach nicht nötig. Langwierige und kontroverse Verhandlungen auf Regierungsebene entfielen. Die Neuausgabe einer Parallelwährung erfordert naturgemäß einen Akt der Geldschöpfung. Sie wirkt so lange nicht inflationär, wie ein angemessenes Verhältnis von Geldmenge mal Umlaufgeschwindigkeit zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) gewahrt wird. Dieses neu geschöpfte Geld wird von der Bundesbank in der ersten Phase geschenkt. Der Staat (Bund, Länder und Gemeinden) ebenso wie Private bekommen eine angemessene „Gutschrift“ beziehungsweise ein „Handgeld“, ähnlich wie bei der Einführung der D-Mark 1948.

Die Gutschriften senken die Verschuldung des Staates, der Länder und der Gemeinden entsprechend. In der zweiten Phase erfolgt die Geldmengenkontrolle nach dem bewährten Prinzip unter der Regie der Bundesbank. Die Folgen: Der Euro verliert an Wert, die NDM wird dagegen steigen. Das Maß des Anstieges könnte die Bundesbank durch mehr oder weniger Geldschöpfung steuern. Die Inflation wäre also beherrschbar. Importe werden in Maßen billiger, Exporte teurer. Die Zeiten des Wirtschaftswunders zeigen, daß dies keineswegs zu Lasten des Exportes gehen muß, sondern im Gegenteil die Anstrengungen fördert und belohnt.

Die Einführung der Parallelwährungen könnte geldmengenneutral erfolgen; denn in dem Umfang, wie der Euro aus der Mode kommt, könnte die Geldmenge in der NDM steigen – und wäre nicht inflationär oder deflationär. Weil der Euro nicht abgeschafft wird, kein Zwangsumtausch erfolgt und bestehende Darlehen, Anleihen oder Lieferverträge unverändert gültig bleiben, wird es nicht zu Panikreaktionen oder zu Buchverlusten (Insolvenz von Banken) kommen. Auch werden Klagen wegen einer Euro-Abschaffung vermieden.

Die gleitende Einführung der kompatiblen Parallelwährungen sollte Währungsturbulenzen in Grenzen halten, zumal dann, wenn strengere Spekulationsregeln kreiert werden (Beispiel: Spekulationsgeschäfte müssen mit mindestens 20 Prozent Eigenkapital gedeckt sein). Durch die nationalen Parallelwährungen wird die Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Länder kontinuierlich wiederhergestellt und die Gemeinschaftshaftung kann unterbunden werden – was einst erklärte Absicht der EU-Verträge war. Die Euro-Rettungsschirme könnten dann auslaufen. Der vergangenes Jahr verstorbene Währungsexperte Wilhelm Hankel hat schon 2013 ein Buch (JF 46/13) vorgelegt, das das Thema Parallelwährungen erstmals umfassend beleuchtete. Sein treffender Titel lautet: „Die Euro-Bombe wird entschärft“.





Dr. Bruno Hollnagel ist Wirtschaftsingenieur, Unternehmer und Publizist. Seine jüngsten Bücher sind „Das Geheimnis der Börsenerfolge“ (Herbig Verlag) und „Die spinnen, die Deutschen“ (Überwald Verlag).

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