© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/15 / 05. Juni 2015

Moskaus schwarze Liste
Einreiseverbote nach Rußland: Während das EU-Außenamt die „willkürliche“ Aktion tadelt, sieht sich Karel Schwarzenberg geadelt
Thomas Fasbender

Unverständnis, Unmut und Stolz kennzeichnen die Reaktionen europäischer Politiker auf die in der Vorwoche von Rußland überreichte Liste mit Personen, für die ein Einreisebann des Kreml gilt. Eine Sprecherin des EU-Außenamts erklärte, die Einreiseverbote seien „willkürlich und nicht gerechtfertigt“, zudem fehlten Rechtsmittel und Transparenz. 

Die Liste umfaßt 89 Namen: Personen aus dem militärischen und Geheimdienst-Establishment, nationale und Europa-Parlamentarier, hohe Verwaltungsbeamte sowie Politiker und Personen des öffentlichen Lebens. Längst nicht alle haben sich mit rußlandkritischen Äußerungen hervorgetan, so etwa die Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Katrin Suder und der Generalinspekteur der Luftwaffe, Karl Müllner.

Heftige Reaktionen aus Deutschland

Auslöser der Veröffentlichung war die Zurückweisung des CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann am Moskauer Flughafen Scheremetjewo wenige Tage zuvor. Wellmann ist Vorsitzender der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe und hat aus seiner Parteinahme im russisch-ukrainischen Konflikt nie einen Hehl gemacht.

Acht Deutsche stehen auf der Liste: Neben Suder, Müllner und Wellmann noch der Parlamentarier der CDU/CSU-Fraktion Michael Fuchs und CSU-Politiker Bernd Posselt sowie die grünen Europaabgeordneten Rebecca Harms und Daniel Cohn-Bendit. Schließlich der neue europapolitische Berater der Bundeskanzlerin, Uwe Corsepius, bislang Generalsekretär des EU-Ministerrats. Rebecca Harms war bereits im September 2014, nachdem die EU rund 90 Personen aus Rußland und der Ostukraine mit Einreiseverboten belegt hatte, in Moskau die Einreise verweigert worden. Damals hatte der stellvertretende Außenminister Alexej Meschkow von der Existenz einer „schwarzen Liste“ gesprochen, die jedoch aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht werde.

Das Einreiseverbot gegen Wellmann am Pfingstwochenende hatte in Deutschland heftige Reaktionen ausgelöst. Aus dem Außenministerium hatte es geheißen, der deutsche Botschafter in Moskau sei „in der Sache unverzüglich im russischen Außenministerium vorstellig geworden“. Ganz anders war die Reaktion des Außenministeriums, als eine deutsche Journalistin vor wenigen Tagen auf dem Kiewer Flughafen Borispol mit einem dreijährigen Einreiseverbot konfrontiert wurde. Der Konsularbeamte in Kiew, so die Berliner RT DE Productions GmbH, bei der die Journalistin beschäftigt ist, habe mit den Worten „Da können wir auch nichts machen“ reagiert, während das Auswärtige Amt auf die Souveränität der Ukraine verwiesen habe. Auch deutsche Medien berichteten nicht über den Fall. Hintergrund: Die Journalistin arbeitet für RT Deutsch, einen Sender, der für seine rußlandfreundliche Berichterstattung bekannt ist.

Zu den Namen auf der Liste gehören der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg und der französische Philosoph und Publizist Bernard-Henri Lévy. Anhand der Anwesenheit vieler früherer Amtsträger schließen Beobachter, daß die Liste nicht im russischen Außenamt zusammengestellt wurde, sondern sich auf ältere Listen des Geheimdiensts FSB stützt.

Die Reaktion auf die Veröffentlichung fiel erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Die Moskauer Nachrichtenagentur Tass zitierte einen ungenannten russischen Diplomaten, die Maßnahme sei eine Antwort auf die gegen Rußland gerichtete „Sanktionskampagne“ einiger EU-Staaten unter Führung Deutschlands. Die Botschaften der betroffenen EU-Länder habe man bereits vor längerem aufgefordert, je Einzelfall entsprechende Anfragen zu stellen. Davon sei kein Gebrauch gemacht worden. Der Diplomat warf seinen europäischen Kollegen vor, die Veröffentlichung der Liste zu nutzen, „um eine politische Show zu veranstalten“. Er wies darauf hin, daß eine vergleichbare Liste auch für die USA gelte, wobei die USA sich „konstruktiver“ verhielten als die Europäer.

Wie im vergangenen Jahr manche der Russen und Ost-Ukrainer, deren Namen auf der EU-Sanktionsliste stehen, bezeichneten jetzt auch einige betroffene Europäer es als Ehre und Auszeichnung, unter das Einreiseverbot der Gegenseite zu fallen. CSU-Politiker Posselt sprach von einem „Ritterschlag für meine jahrzehntelange Menschenrechtsarbeit, nicht nur in Rußland“. Daniel Cohn-Bendit meinte, es ehre ihn, wenn Rußland ihn als Feind des Totalitarismus brandmarke. Auch der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg sieht sich in guter Gesellschaft: „Ich betrachte das als Belohnung“, sagte er dem Guardian.